Jan 102010
 

Die Maya sind ein merkwürdiges Völkchen. Sie wußten nichts von der Welt und kannten doch ihr Ende. Sie hatten einen merkwürdigen Kalender, der das Ende der Welt für den 21. Dezember 2012 vorsah. Leider ereignete sich das Ende dann ein paar hundert Jahre früher, und die wiederkehrenden Götter waren kaum größer als die Maya und sprachen Spanisch. Wie wir aber durch den Echtzeithelden und Träger des Agent-Mulder-Ordens II. Klasse, Erich von Däniken, belehrt sind, muß das Ende der Welt nicht notwendig am 21. Dezember 2012 eintreten. Die Umrechnung des Maya-Kalenders in den unseren könne schließlich auch falsch sein. Baut da schon jemand insgeheim vor für den Fall einer peinlich ausbleibenden Katastrophe am 21. Dezember 2012? Die Grundregel aller geschäftstüchtigen Propheten lautet: Sage nichts voraus, das noch zu deinen Lebzeiten eintreffen müßte. Und überhaupt, 21. Dezember! Hätte man nicht wenigstens bis Weihnachten warten können? Wie? Wer kurz vor dem Ende der Welt noch Weihnachten feiern wolle? Ich natürlich! Und wenn ich wüßte, daß morgen die Welt in tausend Stücke zerbräche, ich zöge noch heute los, einen Weihnachtsbaum zu fällen.

O doch, ich hab es gesehen, das neueste Bildwerk Roland Emmerichs, des amerikanischsten aller Nichtamerikaner. 2012 ist ein spektakulärer Film. Die Story ist genrebedingt gebaut, die Zweitklassigkeit der Darsteller (den stets erstklassigen John Cusack ausgenommen) ist statthaft, denn hier kommt alles auf die Bilder der großen Naturkatastrophe an. Technisch ist der Film vollkommen, die Effekte gekonnt, was nach Maßgabe der naturalistischen Gattung Film bereits hinreichend sein müßte. Bilder zu machen, das ist die eigentliche Tugend des Films. Aber diese eigentliche Tugend ist eben nur bedingt kunstfähig, will sagen: Auch die besten Bilder retten einen Film dort nicht, wo keine gute Handlung sie zusammenhält. Und wie sich an dem technisch gleichfalls Maßstäbe setzenden Avatar sehr gut nachvollziehen läßt, verdrießt selbst bildhafte Perfektion, wenn das Werk sich der läppischen Weltanschauung eines JJ Rousseau bedient und von einer dramatisch unergiebigen Handlung getragen werden muß.

Natürlich gab und gibt es Einwände gegen 2012. Wissenschaftliche z.B. Die Authentizität heischende Begründung einer Erwärmung des Erdkerns durch einen Anstieg der Neutrino-Emission ist natürlich Unsinn, aber wer (wie erstaunlich viele Kritiker) das gegen den Film ins Feld führt, hat nicht begriffen, worum es in einem dramatischen Kunstwerk geht. In der Kunst geht es um die Wirklichkeit immer nur nebenbei. Ihr Hauptzweck ist es, des Menschen Verhältnis zur Wirklichkeit zu zeigen, die unterschiedlichen Weisen des Umgangs mit der Welt, das also, was man Haltungen nennt. 2012 tut das, indem gezeigt wird, wie unterschiedliche Charaktere sich in der Extremsituation eines sich abzeichenden Untergangs der Menschheit verhalten. Es spielt keine Rolle, wie dieser Untergang begründet wird; entscheidend ist die Frage, ob der Mensch und die vielen Seiten des Menschlichen darin dargestellt werden können. An dieser Aufgabe letztlich scheitert 2012, weil der Film in seinen Figuren unsäglich platt bleibt und weil er seine Überlänge nicht dazu nutzt, das breite Tableau des Menschlichen sinnfällig zu machen.

Zweifellos: Es gibt für die Kunst ergiebigere Fragen als die, wie Menschen sich in einer Extremsituation, die ihre Existenz bedroht, verhalten. Doch ist diese Frage eine jener Dauerfragen, die der Menschheit wohl auch in tausend Jahren noch Interesse abzunötigen in der Lage ist. Sie ist menschlich, weil sie menschliche Bedürfnisse betrifft, und damit ist sie per definitionem kunstfähig. Das Szenario einer aussterbenden Menschheit muß indes nicht an den großen Krawall einer Sintflut, eines die Erde kollidierenen Kometen oder sonstwas der Art gebunden sein. Beim Besichtigen von 2012 ist mir merkwürdigerweise ein anderer Film in den Sinn gekommen: Children of Men. Auf ein ganz andere Weise behandelt dieser Film dasselbe Thema, und warum ich ihn für ungleich gelungener halte als die jüngsten Bildwerke von Roland Emmerich und James Cameron, will ich in in meinem nächsten Eintrag begründen.

  3 Responses to “Vom Ende der Welt”

  1. Also, wenn Roland eines kann, dann ist das ja wohl den Apokalypso tanzen. Es mag verwundern, wieso er das Thema ein ums andere mal in Angriff nimmt, denn wirklich kunstfähig ist es ja tatsächlich nicht. Es kracht und brambouriert immer gewaltig, Himmel und Erde öffnen sich, schlingen und speien gleichzeitig, geben ihr gewohntes Dasein auf und vor dieser lärmenden Kulisse bewähren sich oder scheitern eine Handvoll flach skizzierter Charaktere, Endegelände.

    Die Frage steht, ob die Charaktere tatsächlich flach sein *müssen*. Ich meine, im Wesentlichen, sie müssen. Am Untergang der Welt interessiert nämlich im Wesentlichen das Getöse mit dem sie zu Ende geht. Das hat die Gemüter seit jeher beschäftigt und war schon immer ein Born zügellosen Gestaltungsdranges.

    Es gibt einen mittelmässigen Witz, wo ein Rabbi seine Gemeinde ein ums andere mal am Sabbat nach Hause schickt, er könne keinen Gottesdienst abhalten, denn er müsse nachdenken. Als er schliesslich vom Denken ganz ausgezehrt ist, ruft er die Gemeinde und verkündet ihnen das Resultat seines Sichversenkens: „Stellt Euch vor, alle Bäume der Welt wären ein Baum und alle Meere und Seen der Welt wären ein Meer und alle Äxte der Welt wären eine Axt und man haute mit dieser riesenhaften Axt diesen unglaublichen Baum um, so dass der in das unermessliche Meer stürzte: Was das für einen Platsch geben würde!“

    Ich bin überzeugt, nichts anderes treibt Roland um. Er weiss um die Faszination dieser Dinge; dass vor ihrem Hintergrund auch noch Menschen herumspringen müssen, ist nur insofern notwendig, als dass es den Reiz des Lärms erhöht, wenn er von menschlichem Geheul untermalt wird. Ansonsten ist es lästig. Ist ja auch irgendwie albern: Im Angesicht der letzten Zuckungen des Planeten findet sich der Mensch. Wozu denn dann noch?

    Es gibt eine einzige kunsthafte Gestaltung des Themas: In Jura Soyfers Komödie „Der Weltuntergang oder Die Welt steht auf kein‘ Fall mehr lang“. Sie ist nur deshalb kunsthaft, weil der Weltuntergang dann doch nicht eintritt; der Komet, der auf Befehl der Sonne die Erde zerschmettern soll („sie hat Menschen“), kehrt um. Er hat sich in die Erde verliebt. Es gibt also in diesem zwar eine Verumständung, durch dessen Auftreten alle bisherigen Werte auf den Prüfstand kommen, aber diese Gesellschaftsentlarvung hat nur einen Sinn, wenn ihr danach auch wieder eine Chance gegeben ist. Das jüngste Gericht ist ja, weil es erst am Ende aller Geschichte stattfinden soll, eine höchst sinnlose Einrichtung.

    Eschatologie, mit anderen Worten, ist wenig kunstfähig; sie hat einen inhärenten Drang zum monströsen, kitschigen, sie lässt wenig Raum für feinsinnige Abwägung, sie ist nichteinmal wirklich kathartisch, weil sie nicht fallhaft sein kann, sondern allumfassende Endgültigkeit markiert. Es gibt, wenn es zu Ende geht, keinen gestaltbaren Widerspruch, sondern nur verschiedene Arten, den Niedergang zu ertragen. Stoisch, hysterisch, resignierend, etc. Aber jede Haltung wird entwertet, wenn sie nichts mehr bewirken kann; zwar schämen wir, die Betrachter, uns vielleicht für niederträchtige oder feige Handlungsweisen im Angesicht der Apokalypse, aber wir tun dies nur, weil wir in einer Welt leben, in der es ein Morgen gibt und in der verschiedenartige Haltungen tatsächlich einen Unterschied machen. Mit anderen Worten, nur, weil wir nicht vollständig in das Weltuntergangsszenario eintauchen, nur, weil wir einen inneren Abstand wahren, hat es überhaupt einen Sinn, unterschiedliche Haltungen in Bezug darauf zu untersuchen und vor uns hinzustellen. Aber was ist das für ein Kunstgegenstand, der zu seiner Kunstfähigkeit einen solchen Abstand benötigt? Vergleichen Sie das mit Musik oder einem realistischen Roman oder einem klassischen Drama und Sie wissen, was ich meine: Diese Gegenstände werden desto intensiver und reicher, je näher man sie bedenkt und befühlt. Das ist der Unterschied zwischen höher- und minderwertiger Kunst.

  2. Dein Link zu „Children of Men“ funktioniert nicht. Bei WordPress immer ein „http://“ vor das „www“ setzen!

    Abgesehen davon war CoM ein wirklich erschreckender und gleichzeitig guter Film. Im Gegensatz zu 2012 zeigte er etwas, was durchaus real sein könnte. Selbst wenn die Kinderlosigkeit ausbleibt.

  3. Erratum: Natürlich geht es nicht, Musik oder ein klassisches Drama gegen ein Kunstwerk zu setzen, das in irgendeiner Form vom Weltenende handelt. Dies ist eine Kunstsorte resp. Form, jenes ein Sujet. Den Fehler zugegeben und alles draus resultierende Falsche zurück genommen bleibt doch der unabweisbarer Gedanke übrig, dass zum eschatologischen Kunstwerk ein innerlicher Abstand gewahrt werden muss, damit es überhaupt sinnvoll ist und wirken kann, während zu anderen Inhalten, die tatsächlich Fallstudien über Haltungen und deren Implikationen sind, steigende Nähe ein intensiveres Kunsterleben ermöglicht.

    Ebenfalls unbedacht, aber durch den CoM-Einwurf schon angedeutet: Die Art, wie die Menschen zugrunde gehen. Sollte es beispielsweise geschehen, dass im Large Hadron Collider versehentlich ein schwarzes Loch erzeugt wird, welches die Erde im Bruchteil einer Millisekunde einsaugt, nun dann ist es einfach wie Erde abschalten, bzzzp, aus. Keine Vorankündigung, kein Nachher: Vollkommen ungeeignet zur Kunst. Es wäre, als würde in einem Drama, sagen wir mitten im Hauptmonolog eines Protagonisten, der Vorhang fallen: Stück wegen Weltuntergang beendet. (Jedoch ohne letztere Erläuterung und unter gleichzeitiger instantaner Einäscherung des Publikums.)

    Also das wäre schonmal ganz grosser Blödsinn. Wirklich sinnvoll für die Kunst – und auch im Sinne eines realistischen Geschehens – sind nur eschatologische Irrtümer (angetäuschte Weltuntergänge) oder langsamer Verfall mit Hoffnung auf Abwendung des endgültigen Unterganges.

    Die CoM-Story übrigens ist ein ziemlich alter Hut. Ich erinnere mich mindestens an Robert Merles „Insel der geschützten Männer“, aber irgendwie klingelt da noch mehr im Gedächtnis. Ein Virus, bzw. eine Krankheit sind übrigens tatsächlich wesentlich bedrohlicher, als alle plötzlichen Katastrophen. Die einzige sichtbare Dellen hat die Bevölkerungskurve der Menschheit nur durch die Seuchen im Hochmittelalter erfahren; der zweite Weltkrieg zB. ist überhaupt nicht erkennbar und spielte, so makaber es klingt, populationstechnisch keine Rolle.

    Im Übrigen glaube ich auch nicht an die Meteoritentheorie zum Aussterben der Saurier. Sowas kann lokal wirken und es kann auch z.B. durch globale Abkühlung die evolutionären/ökologischen Nischen bestimmter Arten zerstören, so dass diese dann aussterben. Aber dass es ganze Gattungen trifft, kann nur durch das Leben selbst, d.i. Konkurrenz, Krankheit und Fressfeindschaft bewirkt werden. Man darf nicht vergessen, das Aussterben der Saurier hat Tausende von Jahren in Anspruch genommen. Aus der Vielfalt der Saurier hätten während dieser Zeit neue, angepasste Arten entstehen können, nicht nur die Vögel. Wennste mich fragst, ich tippe auf Seuchen. Seuchen und Säuger, das war vielleicht die Todesformel.

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