Jul 042013
 

Die Romantik, jenes wildwuchernde Gewächs, das das Denken befällt und einen Zustand scheinbarer Aktivität bewirkt, der zu nichts führt und dennoch schrecklich anstrengend ist – nicht fruchtbar, aber furchtbar –, diese Romantik hat viele Gesichter. Sie gehört nicht einer politischen Richtung allein, sie hat an allen teil. (An manchen ist sie die Hauptsache, bei anderen unvermeidliche Begleiterscheinung.) Es gibt nie nur eine romantische Antwort auf die Weltlage.

Der Romantiker liebt es, sich vorzustellen, er sei der Gute, und da er – wie auch sonst keiner auf der Welt – nicht durchweg gut sein kann, braucht er konsensfähige Negativobjekte, gegen die er sich erhaben machen kann. Wer immer es sei: Banker, Sozialschmarotzer, Umweltschützer, Israel, USA, China, die GEMA, das staatliche TV, Dieter Graumann, Margot Käßmann, kriminelle Jugendliche, Natascha Kampusch oder oder oder.

Die NSA ist eine Organisation, an der nichts auszusetzen ist. Sie macht einen ordentlichen Job. Ich billige den Staat nicht, in dessen Dienst sie steht, weil dieser Staat eine Gesellschaftsformation schützt, die sich meiner Abneigung sicher sein kann. Aber diese Abneigung genießen zur Stunde 192 weitere Staaten ebenso. Die NSA hingegen ist bloß das Werkzeug, und Werkzeuge benutzt jeder. Es ist albern, sich über die Mittel zu erregen. Ein Geheimdienst, der die Mittel, die ihm zur Verfügung stehen, nicht nutzt, wäre ein schlechter Geheimdienst. Dienste unterscheiden sich bloß hinsichtlich der Möglichkeiten, die sie haben, nicht in ihren Zielen. Hätten sie Skrupel, wären sie kaum Dienste.

Es ist nun durchaus romantisch, einem Dienst vorzuwerfen, daß er ein Dienst ist. Nicht minder romantisch ist aber die abgeklärt sein sollende Manier, in der der Pastor Gauck dem Informatiker Snowden »puren Verrat« vorwirft. Nicht, daß er nicht recht hätte. Was Snowden tat, war Hochverrat. Doch er, Gauck, der die Hysterie gegen staatliche Überwachung mittels der nach ihm benannten Behörde zu seinem Lebenszweck und seiner Erwerbsquelle gemacht hat, besitzt von allen Menschen das geringste Recht, der NSA nicht vorzuwerfen, was er am MfS so verwerflich fand. Des Pastors Doublethink wird allerdings noch übertroffen vom geschäftsmäßigen Jammern der Geschwister Augstein. Jakob klammert die alte Wunde der Deutschen, indem er sie einmal mehr zu Opfern erklärt, und Franziska liefert in der SZ das passende Bildmaterial zur These.

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Um aber auch das noch festzuhalten: Natürlich wäre es eine noble Geste, wenn sich ein Staat fände, der dem Hochverräter Snowden dauerhaft Asyl gäbe. Daß Moral und Politik nichts miteinander zu schaffen haben, bedeutet ja nicht, daß sie keine Geltung gegeneinander haben.

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