Aug 152014
 

Der Pazifismus und die Wirklichkeit

Den Waffennarr unterscheidet vom Friedensaktivisten, dass er keine moralischen Vorwände benötigt, militärisches Material im Zustand der Erregung zu besichtigen. Man wundert sich durchaus, was den meisten Kriegskritikern bereits eine Nachricht ist. Das Bild eines toten Kindes, das Video einer einschlagenden Rakete, das Interview eines Dirigenten, der feierlich das Ende aller Kämpfe fordert, die Mitteilung, dass im Krieg auch Zivilisten leiden, die Forderung, dass die Gewaltspirale gebrochen werden müsse. Wie wenig bliebe von all jenen umlaufenden Artikeln, Interviews, Reportagen, Podcasts, Blogeinträgen und Social-Network-Kommentaren, zöge man das simple Bekenntnis zum Frieden und das blanke Bekunden des Entsetzens ab. Wie wenig: das stattlich bestückte Areal eines Sammlers von Militaria. Die Logik lässt uns hier nur zwei Auswege. Sind die Friedensbewegten von morbider Faszination am Krieg getrieben, oder sollten sie am Ende doch sein, was wir nie zu denken wagten: sehr einfältige Menschen?

Es geht nicht darum, Mitleid zu haben. Es geht nicht darum, für den Frieden zu sein. Das sind Selbstverständlichkeiten. Worauf es ankommt, ist, den Gedanken des Friedens und der Menschlichkeit im Vorhandenen zu denken und nicht als abstrakte Setzung dagegen. Die Forderung nach Frieden ohne die Frage nach seinen Bedingungen ist irrational. Unvermittelte Forderungen sind nur mittels irrationaler Weltvorstellungen zu halten, und die führen zur bedingungslosen Bereitschaft, sich jedem anzuschließen, der ähnlich schwammig formulierte Ziele hat oder als Gegenstand der Hoffnung herhalten kann, denn selbst die blanke Utopie muss einen Punkt im Vorhandenen suchen, in dem sie ihr Wollen vergegenständlichen kann. Sie sucht zwanghaft einen Nachweis, dass sie mehr ist als bloß Utopie. Da, der da, dort ist doch der Punkt, an dem man ansetzen kann; mit diesen Leuten ginge es; da ist der Beweis, dass ich nicht bloß träume. So untertrifft sie spielend das Erfordernis zu verstehen, worüber sie urteilt, und erzeugt jene seltsame Paradoxie, dass die Friedensbewegten zugleich ganz ideal und ganz pragmatisch über einen Konflikt denken können, dass sie einerseits, mittels Äquidistanz ihre Unverdächtigkeit demonstrierend, von der Besonderheit der Konfliktlinien nichts wissen wollen und sich anderseits einer der beiden Parteien (der schwächeren zumeist) an den Hals werfen und ganz aus deren Perspektive denken. Sie steigen nur deshalb aufs Pferd, damit sie gleich wieder herunterfallen können, und sie fallen stets nach der Seite, nach der es sein Wasser abschlägt.

Ich habe, es war zu merken, mal wieder einen Absatz von Jakob Augstein gelesen. Ich mache ja schon Fortschritte. Angefangen habe ich mit vollständigen Texten, und bald werde ich sicher bloß noch seine adverbialen Nebensätze lesen, um mich irgendwann gänzlich auf seine Interjektionen zu beschränken, die überhaupt das Wesentliche an ihm sind. Das Gelesene, leider, ist durch Reduktion nicht besser geworden, meine Zeit hingegen etwas wertvoller. Der Passus geht so:

»›Wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg vor.‹ Das war immer eine gefährliche, unsinnige Lehre. Es wird Zeit, die alten Römer hinter sich zu lassen. Es gibt eine Alternative. Sie lautet: ›Wenn du den Frieden willst, bereite den Frieden vor.‹«

Wann haben wir eigentlich damit begonnen, uns von Leuten, die die Welt nicht nur nicht begreifen können, sondern es vorsätzlich nicht wollen, sagen zu lassen, wie wir die Welt zu begreifen haben? Ist in dem Satz ›Wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg vor‹, so halb er als Wahrheit auch ist, wenigstens noch eine Art dialektischer Zugriff auf die politische Wirklichkeit zum Ausdruck gebracht, besteht sein Witz gerade in der Anerkenntnis, dass es in der Wirklichkeit oft keinen geraden Weg zum Frieden gibt, so bedeutet ›Wenn du den Frieden willst, bereite den Frieden vor‹ nichts anderes als auf die simple Ebene der Identitätsphilosophie zurückzufallen, in der 1 eben immer 1 ist und nichts weiter und die daher die abstrakteste und weltfremdeste von allen ist.

Nicht Frieden ist scheiße, Augstein ist scheiße. Man sollte sich von den Friedensbewegten den Frieden nicht vermiesen lassen. Politische Romantik gibt sich nicht notwendig im falschen Ziel zu erkennen, immer aber im falschen Weg. Die Heiligung des Friedens und die Dämonisierung des Krieges bedingen sich und schließen einen politischen wie erkenntnismäßigen Realismus gleichermaßen aus. Das passiert, wo eine Utopie nicht als Utopie erkannt und infolge der Verwechslung in den Ring geworfen wird, als sei sie etwas wie ein praktisches Konzept. Frieden als solcher bedeutet gar nichts, und es kommt immer auf den gesellschaftlichen Zustand an, in dem er durchgesetzt ist; es gibt Friedenszustände, die viel grauenhafter sind als z.B. Kriegshandlungen, die zu ihrer Beseitigung beitragen.

Was wäre denn erstrebenswert an einem gesellschaftlichen Frieden, der weder Freiheit noch Wohlstand noch Gerechtigkeit hat? Was nützt das Schweigen der Kanonen, wenn dennoch Menschen verschwinden, Hungers Leiden oder in hässliche Lappen gewickelt durch die Straßen laufen müssen? Krieg wiederum ist eine von verschiedenen Methoden, politische Ziele durchzusetzen. Neben der Diplomatie, der Intrige, der Abstimmung, dem Streik und anderen. Dort aber, wo eine Gegenpartei entschlossen ist, Krieg zu führen – ich erwähne etwa, auch wenn solche Beispiele bei einem Antikommunisten wie Augstein nicht ziehen, das Unternehmen Barbarossa –, oder, wie beim ISIS, der Krieg gar nicht mehr Mittel, sondern eigentlicher Zweck der politischen Handlung ist, wird Frieden unmöglich. Denn (wie ich einmal schrieb und immer wieder schreiben werde) um Krieg zu führen, reicht schon einer, zum Frieden braucht man zwei.

Ist nicht der Friede längst verkündigt,
Und weißt du nicht, dass jeder sündigt,
Der immer noch gerüstet geht?

Was Augstein als großen Gegenentwurf vorstellt, ist das Feldgeschrei von Autisten, die zwar vom Frieden schwärmen, aber keine Vorstellung davon haben, wie man ihn erreichen soll. Weil sie nicht begreifen können, dass Frieden ebenso wie Krieg nur ein Mittel ist, politische Ziele zu erreichen. Da sie aber nur geistig und nicht körperlich außer der Welt sein können, machen sie sich damit praktisch zu Handlangern derer, die auf solche Freunde des Friedens nur allzu gern bauen.

Eine Produktion der Firma ISIS & Friends. Demnächst auch in 3D.

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