Nov 282018
 

»Das krumme Haus«

Mitten hinein in die drohende Welle neuer Poirot-Filme von & mit Kenneth Branagh stößt, als kleiner Brecher, diese vorderhand bescheidene, tatsächlich exzellent temperierte Verfilmung eines bislang unberührten Christie-Stoffs: »Das krumme House« bzw. »Crooked House«, wie der Roman im Original mehrdeutig heißt. Mit dem Bruchteil des Budgets eines Branagh machen der Regisseur Gilles Paquet-Brenner und seine Autoren so gut wie alles richtig.

Dabei ist das Erbe des Christie-Kinos gar nicht so drückend. Zieht man Wilders »Witness For the Prosecution« (1957) und Lumets »Murder On the Orient Express« (1974) ab, verbleiben neben ein paar ganz netten mehrheitlich missratene Filme. Selbst die Rutherford- und die Ustinov-Reihen überzeugen eher aufgrund ihrer Hauptdarsteller denn als filmische Werke, und man war ja schon dankbar, wenn die Adaption sich einigermaßen an die Vorlage hielt und nicht etwa, wie »And Then There Were None« (1974), salopp den Schluss änderte. »Das krumme Haus« nun bleibt erfreulich nah am Buch. Die elementare Regel jeder Christie-Verfilmung lautet: Versuche nicht schlauer zu sein als Agatha, du bist es nicht. – »Sie hatte«, sagt Produzent Joe Abrams, »für alles einen guten Grund, und wenn man einen Baustein verändert, dann passt der nächste nicht mehr.«

Das Setup klingt zugegeben nach einem gewöhnlichen Christie-Plot. Aristide Leonides, der schwerreiche Besitzer eines Catering-Imperiums, stirbt unter seltsamen Umständen. Seine Enkelin Sophia (Stefanie Martini) engagiert den Privatdetektiv Charles Hayward (Max Irons), diese Umstände aufzuklären. Auf dem Anwesen der Familie, jenem krummen Haus, bewegt sich Charles zwischen nicht weniger als 11 Personen, die sämtlich Motiv, Gelegenheit und Kenntnisse hatten, den Mord am Oberhaupt der Familie zu begehen. – Was die Geschichte ungewöhnlich macht, entsteht durch einige Nuancen; sie und die können aber nur funktionieren, weil von der Anlage her ein strenger Whodunit vorliegt.

Dieses Genre, das seine Wurzel bei der griechischen Tragödie »Oidpus Tyrannos« hat, lebt ganz von der Konstruktion; Psychologie und Philosophie sind zweitrangig. Die eigentliche Handlung (das Verbrechen) passiert früh, manchmal noch vor Beginn der erzählten Ereignisse. Der Hauptakteur (der Ermittler) ist dabei nicht wirklich Teil des Geschehens, er tritt ihm gegenüber. Was aussieht wie eine Handlung, besteht vielmehr aus zweien: der Ermittlung eines kriminellen Treibens und der verdeckten Fortführung dieses Treibens. Die Erzählweise des Whodunit muss folglich personal sein, und es zeigt sich, dass das vermeintlich objektivste Genre tatsächlich das subjektivste ist. So weicht auch im »Krummen Haus« die Kamera nur selten von der Seite des Detektivs, wodurch der Zuschauer kaum mehr Informationen erhält als Charles. Auch die typische Einheit von Ort, Handlung und Zeit bleibt weitgehend gewahrt; diese Abgeschlossenheit ermöglicht eine strenge Konstruktion der Handlung, die sich andernfalls in der Weite des Raums und der Ereignisse verflüchtigte.

Die Besonderheit der routiniert gebauten Story entsteht erst in der Bewegung. Zum einen unterscheidet sich Charles vom gewöhnlichen Christie-Ermittler darin, dass er kein Genie ist. Anders als bei Hercule Poirot, Miss Marple oder Anthony Cade scheitert er beim Versuch, Herr der Lage zu werden. Er löst den Fall nicht, die Lösung fällt ihm vor die Füße. Zum anderen funktioniert der typische Twist weniger aufgrund einer absonderlich gewieften Konstruktion, sondern vor allem vermöge eines psychologischen Spiels mit den Erwartungen des Publikums. Hier wird die Grenze vom Krimi zum Thriller überschritten, ohne dass die Genre-Form sich ändert. »Das krumme Haus« reicht tiefer, ist schmutziger als Christies andere Werke, und die Inszenierung wird dem gerecht. Schauspiel, Musik, Szenenbild befördern eine Düsternis, die allerdings nie zum Grusel verkommt. Alles auf dem Anwesen ist britisch-schräg und beißt sich mit dem amerikanischen Stil der Exposition, der eher an Stoffe Chandlers, Spillanes oder Hammetts erinnert.

Der Star ist das Haus. Die Kamera nutzt die vorhandenen Winkel, um die Architektur der Räume sichtbar zu machen. So entsteht auf der bildlichen Ebene ein Pendant zum verwinkelten, komplizierten Geflecht der Menschen, die darin leben. Auffällig sind die verschieden eingerichteten Zimmer. Philip, der Historiker, wohnt im Kolonialstil; Magda, die Schauspielerin, zwischen Empire-Möbeln; Clemency, die Chemikerin, modern und symmetrisch; Brenda, die viel zu junge Witwe, in mondänem Kitsch der frühen Sechziger. Alle leben unterm selben Dach, aber jeder schafft sich seine Nische. Hier steht, erklärt die von Glenn Close verkörperte Edith, ein Treibhaus unterdrückter Leidenschaften. Das Szenenbild macht die Architektur begreifbar, als Parabel eines zerfallenen Empires, und legt so die Substanz einer Autorin frei, deren konservative Einfalt nicht verhinderte, die politischen Kämpfe der Zeit abzubilden.

»Das krumme Haus« [»Crooked House«]
Großbritannien 2017
Regie: Gilles Paquet-Brenner
Drehbuch: Julian Fellowes, Tim Rose Price, Gilles Paquet-Brenner
Darsteller: Glenn Close, Max Irons, Gillian Anderson
Länge: 115 Minuten
Starttermin: 29. November 2018

—-

in: ND v. 28. November 2018.

Sorry, the comment form is closed at this time.