Sep 202019
 

Der Irrsinn dieser Tage lässt sich in einen Satz fassen: Die Wir-sitzen-alle-in-einem-Boot-Fraktion und die Das-Boot-ist-voll-Fraktion werfen sich gegenseitig ihre Dummheiten an den Kopf und begründen in der gemeinsamen Annahme, dass ein Drittes nicht gegeben sei, ihre furchtbare Doppelherrschaft über alles andere.

Dagegen wär zu begreifen, dass man politische Fragen als politische Fragen stellen muss. Das »Wir« schon ist die Illusion, nach der alles weitere nur falsch werden kann. Es gibt kein Wir, es gibt eine in Klassen gespaltene Gesellschaft. Und im gemeinsamen Kampf gegen die reale Gefahr von rechts liegt die andere Gefahr, sich der Volksfront zu unterwerfen, die politischen Ziele, den Kapitalismus zu beseitigen, und ganz besonders alle Fragen darüber, wie das passieren soll, zugunsten eines negativen Konsens zu unterdrücken.

Jenes Dritte, das nicht greifbar zur Zeit, aber bereits gegeben ist, muss lernen, den heraufziehenden Faschismus zu bekämpfen, ohne sich der bürgerlichen Konsenspracht und ihrer Logik zu unterwerfen. Es ist an der Zeit, dass jemand ein neues »Was tun?« schreibt. Und es muss geschrieben werden. Lenins Kritik an Luxemburg zielte u.a. darauf, dass jede Lage ihre eigenen Methoden fordert. Das galt damals schon im Gefälle zwischen Russland und Deutschland, das gilt erst recht heute im Gefälle zu damals. Die Pointe von »Was tun?« ist gerade, dass es immer wieder neu geschrieben werden muss.

Natürlich kann man von den Merkel-Linken dabei nicht erwarten, dass ihnen die so gezeichneten Wege angenehm oder gangbar scheinen. Oder dass sie sich nicht angegriffen fühlen von dieser Diagnose. Der Stiefel passt ja nicht nur, sie haben ihn längst an. Es treibt sie mehr als bloß Unterwerfung. Da ist ein Weltbild, das überhaupt nicht mehr zulässt, über das Bestehende hinaus zu denken. Wer daran (aber nicht darunter) leidet, kann nicht wissen, dass das überschreitende, revolutionäre Bewusstsein mehr sei als lediglich radikaler und konsequenter. Weil hinter dem Kapitalismus, dank des erwähnten Lenin z.B., mehr liegt als blanke Utopie. Die Erfahrungen eines schon mal realisierten Sozialismus nämlich. Zugleich in seiner Zeit und außerhalb ihrer zu stehen, das ist nicht nur kämpferischer, es ist komplexer und anspruchsvoller. Ganz im ideologischen Rahmen der Gegenwart verharren, dagegen, das kann versiert oder weniger versiert passieren, gemessen an dem, was tatsächlich zu denken ginge, wird es immer platt und naiv bleiben.

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