Sep 262019
 

»Gelobt sei Gott«

Wie die Genrebezeichnung lässt sich auch das Thema eines Kunstwerks als Vertrag mit dem Publikum verstehen. Gewiss kann man Verträge brechen, und mitunter liegt genau dort der Reiz. Nur gibt es Zusammenhänge, da gehört sich das einfach nicht. Wo ein Film als Film für die Opfer antritt – wo es also nicht ums Investigative und nicht um den modus operandi des Täters geht –, dort sollte er dann auch wirklich von den Opfern handeln. Das große Drama »Spotlight« (2015) war, bei aller Sensibilität, eine Missbrauchs-Exploitation, um seinem eigentlichen Thema, dem investigativen Journalismus Huld zu tun. »Utøya 22. Juli« (2018) blieb dagegen strikt in der Perspektive der Opfer, geriet aber zum Festspiel der Eitelkeit, das den gesetzten Zweck sabotiert. »Gelobt sei Gott« nun ist nichts weniger als ein Lehrbeispiel. Eines Films nämlich, der sich durch seinen guten Zweck nicht zu falschen Mitteln verführen lässt.

Sein Thema ist der historische Missbrauchs-Skandal von Lyon um den katholischen Priester Bernard Preynat. Der Film erzählt die Geschichte von Menschen, die Jahrzehnte nach den Vorfällen gegen den Täter vorgehen, davon, wie sie das jeweils tun, welche Kollisionen mit gesellschaftlichen Interessensgruppen wie auch unter den Betroffenen selbst entstehen. Der Priester wird beim Namen genannt, seine realen Opfer werden von fiktiven Figuren repräsentiert. Auf die Art öffnet sich ein Raum fürs Idealtypische, wodurch die Geschichte wahrer werden konnte als das, was konkret passiert ist. Die Hauptfiguren sind exemplarisch für verschiedene Weisen der Bewältigung.

Die dramatische Konstruktion bleibt ungewöhnlich, aber wirkungsvoll. Drei Männer stehen im Mittelpunkt des Geschehens. Der Film führt sie nicht alle gleich zu Beginn ein, lässt sie vielmehr in einer Art Treppendramaturgie aufeinander folgen, wobei das Handeln der Späteren dem der Vorausgehenden aufruht.

Das erste Drittel der Erzählung gehört Alexandre (Melvil Poupaud), der als loyaler Katholik vor allem persönliche Klärung will. Im zweiten Drittel wechselt der Focus unvermittelt auf François (Denis Ménochet), der in die von Alexandre angestoßenen Vorgänge verwickelt wird. Zunächst unwillig beschließt er, der Atheist, den Kampf organisiert zu führen, nicht als Einzelner also, und gegen das System des Missbrauchs, nicht bloß gegen einen Einzelnen damit. Sein vitaler, fast heiterer Aktionismus kaschiert eine große Traurigkeit. Am Beginn des letzten Drittels wechselt die Perspektive ein weiteres Mal, nun zu Emmanuel (Swann Arlaud), der in den jetzt schon organisierten Kampf verwickelt wird. Allein wäre er nie tätig geworden, der Missbrauch hat ihn bis ins Körperliche traumatisiert, und anders als François und Alexandre fehlen Emmanuel die nötigen Geldmittel für einen Rechtsstreit auf eigene Faust. So zeichnet sich gleich einer Lawine, die aus dem Schneeball kam, eine Klimax ab, die beim zivilen Kampf eines Einzelnen beginnt und zum Kampf einer Organisation führt, die stark genug ist, die Vereinzelten da draußen zu erreichen. Andere Motive – der giftige Opferneid, das verlogene »Warum nach all den Jahren erst?« – werden beiläufig gestreift, das große Gewicht liegt auf der Frage: Wie soll man kämpfen?

Das erst macht den Film zu einem der Opfer. Man zeigt die Betroffenen nicht allein als Leidende, zeigt sie als Aktive, sich Wehrende, und überlässt ihnen dabei ganz die Bühne. Auch artistisch herrscht Zurückhaltung, die dem sensiblen Spiel der Darsteller wie den starken Gedanken förderlich ist: ohne Spielerei, geradewegs inszeniert und ganz konzentriert auf das Drama. Alles greift ineinander, keine Szene ist zu viel. Es ist ein gedanklicher, fast kühler Film. Da fallen Sätze, die hängenbleiben: »Wenn meine Frau und ich heute Sex haben, sind wir immer zu dritt«. Und die schlagen ein, gerade weil alles sonst so sehr für den Kopf ist.

Diese Eigenschaft widerspiegelt sich formal, indem »Gelobt sei Gott« gewissermaßen die Struktur eines Briefromans nachbildet. Unablässig schreiben Personen einander, reden miteinander, selbst das Voiceover hat immer eine Adresse. So bleibt das Geschehen durchweg ruhig, selbst in den intensiveren Szenen. Wie leicht wäre hier Wut via Einfühlung zu haben gewesen. Die Erregung aber entsteht ganz von selbst und lässt eine Begleitung durch Gedanken zu, die nicht erst aus ihr kommen.

»Gelobt sei Gott« [»Grâce à Dieu«]
Frankreich, Belgien 2018
Regie und Drehbuch: François Ozon
Darsteller: Melvil Poupaud, Denis Ménochet, Swann Arlaud
Länge: 137 Minuten
Starttermin: 26. September 2019

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in: ND v. 26. September 2019.

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