Jan 282019
 

»The Favourite – Intrigen und Irrsinn«

Wenn Yorgos Lanthimos bislang für ein Kino stand, in dem Stil vor Substanz kommt, scheint sich das in »The Favourite« umzukehren. Das soll nicht sagen, dass die künstlerischen Mittel hier weniger effektvoll wären als etwa in »The Lobster« (2015) oder »The Killing of a Sacred Deer« (2017). Die Musik schwankt zwischen Harmonie und schriller Beklemmtheit, die Kamera reproduziert diese Stimmung durch nicht vorhersehbare, impulsive Fahrten sowie einen häufigen Wechsel von Weitwinkel und Fisheye auch bei Innenszenen. Die Beleuchtung nutzt, inspiriert von Kubricks Arbeit an »Barry Lyndon« (1975), ausschließlich natürliche Lichtquellen, was der Orientierung im Raum oft nicht zuträglich ist.

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Jan 192019
 

»Fahrenheit 11/9«

Im Juli 2016, als praktisch alle Umfragen eine Niederlage des Kandidaten Trump anzeigten, sagte Michael Moore dessen Sieg voraus. Rufer in der Wüste gibt es wie Sand daselbst. Doch hier war kein Kokettieren mit einer Außenseitermeinung im Spiel, kein Berauschen am Szenario eines Hampelmanns im Weißen Haus, der dem Kapitalismus endlich das passende Gesicht gebe, kein Clinton-ist-eigentlich-schlimmer-Unsinn, keine Verwechslung des übergreifenden Interesses am Weltfrieden mit der partikularen Position der imperialistischen Macht Russland gegen die imperialistische Hegemonialmacht USA. Moores Text nannte fünf substantielle Gründe. In »Fahrenheit 11/9« liegt jetzt der Versuch vor, diese Gründe retrospektiv auszubreiten. Aus »5 reasons why Trump will win« wurde »How the fuck did this happen?«

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Nov 302018
 

Mit jeder neuen Ausgabe der Bahamas erklären die Gegner, zumeist an denselben Deformationen leidend und lediglich die Gewichte etwas anders setzend, dass die Zeitschrift nun endgültig gestorben sei. Sie irren damit, wie sie nur können, denn was tot ist, kann nicht sterben. Die Bahamas war von jeher eine unpolitische Veranstaltung, so dass man sie besser ästhetisch fasse. Continue reading »

Nov 242018
 

»Ich glaube, wir müssen uns davon verabschieden, dass Berlin für alle bezahlbar bleibt. Wenn ich es mir nicht mehr leisten kann, egal, ob wegen wirtschaftlicher Einbußen oder einer Mieterhöhung, dann muss ich das akzeptieren. Es gibt kein Naturgesetz, das mir das Recht gibt, für immer in meiner vertrauten Umgebung zu bleiben.«

Carsten Brückner, Vorsitzer von Haus & Grund Berlin

Es gibt übrigens auch kein Naturgesetz, das Carsten Brückner und der Truppe, deren Interesse er zu artikulieren hat, das Recht gibt, unausgesetzt die Mietpreise in die Höhe zu treiben. Es gibt ein beinahe natürliches Gesetz, demnach die Masse derer, die man unterdrückt, sich das nicht ewig gefallen lässt und das Verhältnis irgendwann umkehrt. Vielleicht erlebt Brückner dann selbst, wie sich eine erzwungene Umsiedlung anfühlt. In dem Fall mögen seine eigenen Worte ihm etwas Trost spenden. Ich werds nicht tun.

Nov 152018
 

»Loro – Die Verführten«

Es ist bemerkt worden, dass das Sujet doch längst verbrannt sei. Ich denke, da liegt ein Missverständnis. Wenn Sorrentino einen Film über Berlusconi macht, will er nichts anderes als bei einem über Andreotti: eine geschichtliche Figur verstehen, und dazu muss er sie in ihrer Besonderheit zeigen. Als politisches Kampfmittel käme »Loro« zu spät. Tatsächlich kommt er viel zu früh, denn Italien steckt mit der Hälfte seines Stiefels noch immer in dieser Epoche. Continue reading »

Nov 142018
 

»Die andere Seite von allem«

Im Zentrum von Belgrad gibt es eine Wohnzimmertür, die seit 70 Jahren verschlossen ist. Auf der anderen Seite wohnen fremde Nachbarn, auf dieser Srbijanka Turajlić, deren Eltern vor 1945 noch die gesamte Wohnung gehörte. Im Zuge der Verstaatlichung wurde die Fläche geteilt; statt einer konnten nun vier Familien dort leben. Bürgertum und Proletariat, sagt Srbijanka, hatten zuvor in Belgrad praktisch keine Berührung. Mit der Teilung der Wohnung, lässt sich sagen, hat man die Teilung der Klassen angegriffen. Continue reading »

Okt 262018
 

»Der Affront«

Der undichte Abfluss eines Balkons bringt zwei Männer in der Sommerhitze Beiruts gegeneinander auf. Yasser, Palästinenser und Vorarbeiter einer Baustelle, repariert eigenmächtig Tonis Abflussrohr. Toni, christlicher Libanese und Anhänger der rechtskonservativen Forces Libanaises, zerstört die Installation. Im Affekt beschimpft Yasser ihn, worauf Toni bei Yassers Vorgesetztem eine Entschuldigung verlangt. Dass Yasser nur zögerlich dem Verlangen nachgibt, scheint Tony weiter zu beleidigen, und er reagiert auf die halbherzige Entschuldigung mit einer politischen Entgleisung, woraufhin Yasser ihm mit einem Schlag zwei Rippen bricht. Der Fall geht vor Gericht, aber Yasser wird freigesprochen. Tony verliert im Gerichtssaal die Beherrschung … Continue reading »

Sep 222018
 

Es gibt eine Sache an Merkel, die dann doch zu loben wäre. In ihrer Position kann sie nichts anderes sein als eine Charaktermaske, die die Logik der kapitalistischen Gesellschaft bei Strafe des eignen Untergangs exekutieren muss, und so wie sich das Wertgesetz überhaupt erst durch die Abweichung des Preises vom Wert durchsetzen kann, ist die individuelle Aktion im Regieren bloß die Gelegenheit zur Korrektur durch die unerbittliche Logik des Kapitals. Merkel oszilliert sozusagen um diese Logik. Continue reading »

Sep 122018
 

»Styx« als Lehrstück zur sogenannten Flüchtlingskrise

Eröffnung im nächtlichen Gibraltar. Affen klettern über einen Zaun, laufen durch die Straßen. Was vorderhand nichts mit der folgenden Filmerzählung zu schaffen hat, scheint tatsächlich als Symbolbild gemeint. Hier, an den Säulen des Herakles, liegt die Frontstadt der Festung Europa, wenige Seekilometer zum nördlichen Afrika, von wo aus Flüchtlinge über die hohe See setzen und höhere Zäune überwinden. Continue reading »

Sep 072018
 

Kunst, Spektakel und Revolution No. 6

[Rezension]

Theater Realität Realismus – ein Subjekt, ein Objekt und deren Beziehung. Nur nicht die Beziehung schlechthin, sondern sie ist hier zugleich Forderung. Denn ebenso wie jedes andere Subjekt kann Theater gar nicht anders als sich auf Wirklichkeit zu beziehen. Der Realismus aber regelt, auf welche Weise dieser Bezug herzustellen sei, indem er die Forderung aufstellt, dass ein Erfassen oder Abbilden oder Widerspiegeln der Realität unbedingtes Kunstziel sei. Es gibt adäquates und weniger adäquates Abbilden. Durch den Realismus wird die Realität zum Maßstab. Zum Maßstab allerdings der Erkenntnis, nicht zwingend auch zum Maßstab politischer Norm. Ein Werk kann einen intimen Komplex einer Zeit empfindlich anrühren und so viel Realismus befördern, dass es selbst zum Politikum wird, und kann sich dennoch, grundsätzlich, affirmativ zur eigenen Zeit verhalten. Das vernichtende Urteil der »Heiligen Johanna« und das profunde Einverständnis von »Adam und Eva« trennt mehr als es eint, gleichwohl wird man beide Werke nicht anders denn realistisch nennen können. Um diesen Komplex, der sich nach verschiedenen Seiten konkret ausspitzen lässt, kreisen die 9 Beiträge dieses Heftes, das auf eine Konferenz zurückgeht, die am 22. und 23. Juli 2016 in Berlin stattfand, organisiert von der Arbeitsgruppe Kunst und Politik, und in das es leider nicht alle dort gehaltenen Vorträge geschafft haben. Continue reading »

Aug 232018
 

Am Kinofilm »Gundermann« stimmt alles, bis auf das Ganze

Das Leben selbst hat keine Dramaturgie. Wer eins verfilmen will, muss den krausen Stoff zuschneiden. Entweder verengt man es auf ein bestimmtes Thema, oder man wählt einen dramaturgisch geeigneten Ausschnitt. Dresens »Gundermann« tut beides. Nicht dass, sondern worauf der Film sich konzentriert, ist sein Problem. Continue reading »

Jul 102018
 

Von allem, was gegen Kommunisten vorgebracht wird, ist der Vorwurf der Unbelehrbarkeit der albernste. Natürlich ist 1 Vorgang der Geschichte nicht mit den Möglichkeiten der Welt in eins zu setzen, ist also auch 1 stattgehabte Niederlage noch kein Hinweis darauf, dass sie sich stets wiederholen müsse. Und natürlich haben Menschen, deren Perspektive über das Gegenwärtige nicht hinausgehen will, die geringsten Aussichten, die Welt als eine Menge von Möglichkeiten aufzufassen, indem das Vorhandene als kleiner Teil des Möglichen verstanden und das Notwendige ebenso wie das Unmögliche aus dem Denkbaren gesondert wird. Nicht wir sind unbelehrbar, ihr seid es. Und deswegen geht es gar nicht darum, Verhältnisse anzustreben, deren Funktionieren davon abhängt, dass erstmal der Mensch sich zu emanzipieren hätte. Es geht darum, Verhältnisse einzurichten, die den Menschen ermöglichen, im Rahmen ihrer bescheidenen Mittel ein wenig zu wachsen. Die ihnen ermöglichen, human zu werden, ohne dass sie dazu aufhören müssen, Mensch zu sein.

– Ich gebe zu, es ist etwas zu lang für einen Grabstein, aber schreibt es mir bitte trotzdem drauf.

Jun 162018
 

Dem Fußball scheint Ähnliches zu blühen wie Apple, Sushi oder Netflix. Er läuft nach wie vor, und irgendwie auch ganz gut, doch das symbolische Kapital schwindet. Längst hat sich Verdrossenheit unter die Begeisterung gemischt, ist das Mythische im Alltäglichen ertrunken und der Reiz verloren, mehr darin zu sehen als darin ist. Die Fahnen, diese elenden, sind heute dünner gesät denn je, und während die WM vor 8 Jahren allgegenwärtig war, ist das einzige, was sich heute noch aufdrängt, das bierselige Antlitz Thomas Müllers beim Rewe. Continue reading »

Mai 172018
 

Die Dokumentation »The Cleaners« wirft Licht auf eine Schattenindustrie

Als Saul Ascher 1818 seine »Idee einer Preßfreiheit und Censurordnung« vorlegte, war er von einer wohlbekannten Zerrissenheit befallen, die Freiheit zwar zu wollen, nicht aber die damit gegebene Möglichkeit zu Verleumdung und Aggression. Sein Vorschlag lautete, dass Zensur nie den Inhalt, sondern die Form anzutasten habe. Jeder sage, was er will, doch man sorge, dass gewisse Grenzen nicht überschritten werden. Ascher wollte also trennen, was sich praktisch nicht trennen lässt. Wer ein Medium für das Gute öffnet, öffnet es auch fürs Schlechte, und wenn schon im täglichen Betrieb beides stets ineinandergreift, so scheint erst recht unmöglich, dies Chaos in ein allgemeines Handlungsgesetz zu überführen. An eben dieser Schnittstelle setzt exakte 200 Jahre und 1 Internet später die Dokumentation »The Cleaners« an. Continue reading »

Mrz 232018
 

In »Die stille Revolution« versuchen es Kapitalismus und New Age noch einmal miteinander

Vögel zwitschern, weites Waldland, norddeutsche Gezeiten, Füße im Watt. Diese Dokumentation über den Wandel der Arbeitswelt beginnt mit Bildern, die denkbar weit von dem liegen, was menschliche Arbeit ausmacht. Ist das schon Vergangenheit oder noch Zukunft? Wir sehen die Geschichte des Unternehmers Bodo Janssen, der eines Tages von seinen Angestellten gemocht werden wollte. Er krempelt seine Firma um, und seither sind alle glücklich. Continue reading »