Nov 172009
 

Einen Berg zu besteigen ist wie Dichten. Da ist ein Gebirge. Da sind einige Berge. Jeder Berg ist Teil des Gebirges, aber er steht – gleich den poetischen Gattungen – immer auch für sich. Es gibt stets mehrere Wege nach oben. Es gibt aber an jedem Berg nur einen Weg bis ganz nach oben.

Die Bergsteiger nähern sich dem Berg gewöhnlich von verschiedenen Seiten, meist von derjenigen, auf der sie wohnen, und so nehmen sie also verschiedene Wege nach oben. Von denen, die auf den Wegen treten, die nicht bis ganz nach oben führen, schreiten einige in dem Wissen nach oben, daß sie die Spitze nie erreichen werden, andere hingegen leugnen das und erachten das Ziel ihres Weges für die eigentliche Spitze. Wieder andere leugnen, daß es überhaupt eine Spitze gibt und kraxeln munter um den Berg herum und probieren sich an all den Pfaden aus, die horizontal verlaufen. Und wieder andere bekommen es, sobald sie auf einen Weg treffen, der nach oben führt, mit der Angst zu tun, der Weg könne nicht bis ganz nach oben führen und meiden folglich den wie alle anderen, die nach oben führen.

Es muß jetzt aber noch erwähnt werden, daß jeder Weg auf dem Berg ausgeschildert ist. Schließlich wird der Berg in aller Regel seit Jahrtausenden schon bestiegen. Continue reading »

Jul 182009
 

Der Wert einer Gesellschaft läßt sich darin messen, wie sie mit ihren Werten umgeht, mithin darin, was sie für Werte erachtet. Werte sind nicht nur Zeichen, die sich auf Registrierkassen abbilden lassen. Ein Wert ist immer unersetzbar. Wäre er ersetzbar, wöge er nicht, was er wiegt. Denn nur, was kann, was kein anderes kann, verdient, Wert genannt zu werden. Werte erlangt man seltener, als man sie verteidigt. Jeder geschichtliche Abschnitt – der eine, mag sein, mehr als der andere – hat dem Schatz der Menschheit bisher Werte hinzufügen zu können. Und ein jeder hat mehr Werte von seinen Vorgängern übernommen, als er selbst hervorbrachte. Der vernunftgemäße Zustand der Menschheit ist daher die Verteidigung der Werte.

Die Gefahr, bereits gesicherte Werte zu verlieren, ist groß. Viel größer als man denkt. Es gibt viele Beispiele, an denen man das zeigen kann. Meines ist die Überlieferung literarischer Werte. Continue reading »

Jun 192009
 

Als aber die frühgeborene erschien, die rosenfingrige Eos …

Aller Anfang ist schwer, heißt es, und müßte doch heißen: Aller Anfang ist falsch. Der Anfang ist eine widersinnige Sache, in der gesetzt wird, was doch erst späterhin erlangt werden kann. Vielleicht war es dieser Gedanke, der Parmenides zu jenem Ausspruch brachte, wonach dorthin, von wo aus er anfange, er jedenfalls auch wieder zurückkehren werde. Fasse ich spätere Philosophen ins Auge, die ebenfalls die Frage nach dem Anfang gestellt haben – Aristoteles etwa, Kant und Hegel – so sehe ich, daß auch sie es darin nicht viel weiter gebracht haben als Parmenides. Mag sein, sie haben die Frage bereichert; die Antwort nicht. Continue reading »