Apr. 152015
 

Noch einmal denkt, noch einmal, liebe Freunde! Es war vorauszusehen, daß Grassens Tod zu Witzen führen wird. Es war vorauszusehen, daß das Leute ärgern wird. Ich versuche, diesen Widerspruch so gerecht, wie mir möglich, zu behandeln, weil ich beides, den Spaß und den Ärger über den Spaß, ein wenig verstehen kann. Nun wird, wie ich sehe, auf den sozialen Netzwerken stark darüber diskutiert, ob, wann, wo & wie Witze über einen Frischverstorbenen in Ordnung sind. Continue reading »

Apr. 112015
 

Lyzis, der amüsante Haßprediger, maßt sich an, meinen Essay übern Selbstverlag sozusagen mitverfaßt zu haben. Der Wunsch, Urheber eines Textes zu sein, den man selbst nicht hätte hervorbringen können, ist so alt wie das Schreiben selbst. Insofern. Auch Lyzis’ zähe Versuche, mittels Beleidigungen um meine Aufmerksamkeit zu betteln, seien ihm geschenkt. Ich habe mich, seit er mir und meinen Freunden einmal zugelaufen ist, daran gewöhnt und beziehe das nicht auf mich. Ich kann nichts dafür, daß seine Bemühungen um Hypotaxe vor allem beweisen, wie sehr er mit der deutschen Sprache zu kämpfen hat. Ich kann nichts dafür, daß er, wie einer jeden seiner Polemiken anzumerken, in der analen Phase hängen geblieben ist. Ich kann nichts dafür, daß er, wie mehr als einmal erklärt, Argumente für bürgerlichen Schwachsinn hält, weil es allein auf die richtige Position ankomme. Ich kann nichts für seinen subjektiven Müll und seinen unbewältigten Schmerz, oder dafür, daß er uns alle am liebsten ins Lager stecken möchte. Ich kann nichts für seinen mediengerechten Stalinismus, den er mit sich Continue reading »

Apr. 012015
 

Der lange Marsch des Antideutschen (Kurzfassung)

Der Wechsel des hochbegabten Kolumnisten Deniz Yücel von der taz zur Welt ist wenig überraschend. Er passt dorthin. Zumindest ein Teil von ihm, und ich glaube, das ist der größere. Yücel hat sich insbesondere in den letzten Jahren als zunehmend anschlussfähig an dieses Blatt, sein Milieu und seine Linie gezeigt. Auch deswegen haben viele Leser – meist verärgert, mitunter erfreut – gleich nach seiner letzten taz-Kolumne den logischen Schluss gezogen. Istanbul, das ist klar, ist hierbei nur der Umweg in die Dutschke-Straße. Continue reading »

März 282015
 

Mauern haben Vorzüge. Sie spenden Schatten, geben allerlei Moosen eine Heimat, gewähren Staaten Schutz vor Feinden, schirmen Siedler gegen ihre Nachbarn ab. Vor allem aber gibt es ohne sie keine Mauerblümchen. In der Tundra fühlte sich nicht mal ein Veilchen klein. Ich rede, wie Sie unschwer bemerkt haben, vom Buchmarkt. Continue reading »

März 082015
 

Je nun. Schaun wir uns also Til Schweiger und seine Puller-ab!-Fanboys etwas genauer an. So tief kann man sinken. Doch daß dieser Todenhöfer der Unpolitischen es vermag, hier dennoch zum Gegenstand der Betrachtung zu werden, liegt daran, daß alles politisch ist, auch das Unpolitische. Der Gegenstand ist durch und durch ekelhaft, und genau meint hier daher tatsächlich: genau, nicht ausgiebig. Ich habe keine Lust, die Zeugnisse der Unvernunft auch noch zu dokumentieren. Jeder kann selbst die Facebookprofile ruchbarer Verbalvigilanten besuchen, wie eben Schweiger, Hans Sarpei oder Jan Leyk, von deren Existenz man leider & gottseidank außerhalb solcher Zusammenhänge niemals Zeichen erhält – Schweiger macht Filme mit Dieter Hallervorden, Sarpei hat für Schalke gespielt, und von Leyk weiß ich nicht einmal, ob es ihn überhaupt gibt. Jeder kann sich zugleich auch vom Geschrei ihrer Anhänger ein vitales Bild machen. Ich will demnach nicht über Edathy reden, zu dem mir bei allem auch hier berechtigten Ekel nun wirklich nichts Mitteilenswertes einfällt. Es geht nicht um ihn, die Kinder oder die bundesrepublikanische Rechtspflege, es geht mir nicht einmal um Schweiger selbst, sondern allein um das, was sich in den volkstümlichen Reaktionen auf den Fall des Edathy zum Ausdruck bringt. Wer schreit da, und was schreit da?

Sofort fällt auf, daß die große Mehrheit derer, die nach Abschiebung, lebenslanger Haft, Todesstrafe, Kastration oder simpel körperlicher Gewalt rufen, Männer sind. Es finden sich auch einige Frauen in der Menge der Empörten, aber weder in der Breite noch in der Spitze halten sie mit. Das ist insofern bemerkenswert, Continue reading »

Feb. 242015
 

Menschen, die mit dem Unterleib denken, gibt es gar nicht so wenige. Da ist nämlich kein günstigerer Nährboden für politische Irrationalität als das Gefühl der Ohnmacht, und ohnmächtig samma alle. Deshalb sind es so viele – und so viele aus der weiß-nichts-kann-nichts-Abteilung. Muss man sich mit ihnen beschäftigen? Nun sicher, es gibt Wichtigeres. Das Weltall zum Beispiel. Doch wenn sie auch nichts zu sagen haben, sie haben dauernd das Wort, und wer redet, hat Macht. Das Problem dabei ist, dass man sich im Verfolgen von Unterleibsgedanken stets vorkommt, als schnüffle man an einer Unterhose. Man fühlt sich wie ein Belästiger, also belästigt. Continue reading »

Jan. 202015
 

Ich nehme die Frage mal ernst. Warum ist dieses Bild so reizvoll wie reizlos? Was erwartet man denn von einem Kunstwerk? Es muß ja nicht gleich die Wirklichkeit sein, die es abbilde, aber es sollte doch etwas abbilden, und das Makellose ist beinahe ebenso langweilig wie das Vorzugslose. Die Ästhetik, die hier vorgestellt wird, ist eine negative. Schönheit wird nicht als Vorhandensein von Vorzügen gedacht, sondern als Abwesenheit von Makeln. Das ist der Grund, aus dem diese antik sein wollende Skulptur nicht nur unverkennbar nicht antik ist, so daß keiner auf die Idee käme, sie könne etwas anderes sein als von einem zeitgenössischen Nachahmer hergestellt, sondern auch an maschinelle Verfertigung erinnert mit seinem Mangel an Besonderheit, an deren Stelle das Stereotyp tritt – ein urbanes Pendant des röhrenden Hirschs, Kitsch mit Titten. Es ist die Ästhetik der Cosmopolitan, es ist zu sexy, um schön zu sein. Das glatte Gestein gestattet keine Furche, keinen Riß, keine Struktur, in die der Zuschauer seine Widerhaken bringen kann. Die Gesichtszüge, ohne Besonderheit und ausdruckslos wie ein Fisch an Land, fügen sich diesem Prinzip vollauf. Es gibt keine Individualität ohne Besonderheit, und Besonderheit erlangt nicht, wer durchgängig im Metrischen bleibt. So wird Maß zum Mittelmaß. Wie ein Musikstück ohne disharmonische Momente, wie ein dramatischer Held ohne Hamartia, wie eine Pointe ohne Trottel. Continue reading »

Jan. 062015
 

Das größte Verbrechen des Ohrwurms ist, daß er in keinem Zusammenhang zur Qualität des Songs steht, der ihn verursacht. Schlechte Melodien setzen sich ebenso fest wie gute. Der Wurm ist unberechenbar, und das stört selbst dann, wenn es nicht stört. Mein aktueller ist das Thema von »Postman Pat«. Es ist unmöglich, etwas gegen Pat zu haben, und doch merke ich nach ein paar Tagen, daß es geht. Ich hatte auch einmal zwei Wochen lang ein Livesolo von Mark Knopfler im Ohr, und obgleich Knopfler neben Mozart und Prokofjew der größte Komponist der Weltgeschichte ist, war ich für eine Weile bis zum Rand gefüllt mit Knopflerhaß.

Die Wirkung des Ohrwurms ist in der Tat der Haß auf den Urheber der Melodie. Es ist ja sehr gegen die Anschaulichkeit, eine Folge von Tönen, die zudem nicht darum gebeten hat, in die Welt Continue reading »

Dez. 062014
 

Über die Gereiztheit des Zoophagen

Die wörtliche Übersetzung von Dioskuren lautet: die Boys von Zeus. M&M wiederum heißt nicht, wie es müsste, Maxeiner & Maxzweier, sondern Maxeiner & Miersch. Der autoritäre Liberalismus ist noch jung und gerade erst dabei, seine Folklore zu entwickeln. Ich bin mir sicher, dass man dereinst, wie heute schon in den MEW, in den MMW blättern wird, und irgendwann im Nachlass mag wohl ein fleißiger Adlatus das unveröffentlichte Vorwort zu einem veröffentlichten Buch entdecken, worin Maxeiner über Miersch oder Miersch über Maxeiner schreibt: »Er war das Genie, wir anderen allenfalls Talente.« Continue reading »

Nov. 132014
 

Zur durch und durch hässlichen Anatomie des Kunden

Wer in den zurückliegenden Wochen Bahn gefahren ist, in die üblichen Schmierblätter geblickt oder sonstwie verrückte Dinge getan hat, um mit der Erlebniswelt jener fleischgewordenen Fiktion namens Ottonormalverbraucher in Kontakt zu kommen, mochte sehen, was nach dem kurzzeitigen Hoch des WM-Siegs und der sich anschließend mächtig zurückmeldenden Spaltung durch die Ukrainekrise die deutsche Volksgemeinschaft ein weiteres Mal zu einen imstande ist. Lokführer nämlich. Continue reading »

Nov. 092014
 

Das geläufige Argument manifester Antizionisten, daß die Juden infolge der Diaspora kein Volk seien und daher nie einen Anspruch auf ein eigenes Land hätten erheben dürfen, sollte in der nachvollziehbaren Absicht, diesem zweckgebunden und willkürlichen Diktum etwas entgegenzusetzen, nicht reproduziert werden. Das geschieht aber dort, wo vom erfundenen Volk der Palästinenser geredet wird. Richtig ist, darauf hinzuweisen, daß die Verwandlung der Araber in die Palästinenser Ende der sechziger Jahre ein doppelter Propagandakniff Arafats war. Erstens sollte die arabische Bevölkerungsgruppe mit der Region verschmolzen werden, indem nicht mehr zwischen Juden und Arabern in Palästina, sondern zwischen Palästinensern und Juden in Palästina unterschieden wurde. Bereits im Namen also wurde der Vorrang beim Anspruch aufs Land kenntlich gemacht. Zweitens ging es darum, die palästinensischen Araber östlich des Jordans, die ihren eigenen Nationalstaat schon 1923 (und zwar fast 80% des ursprünglichen Mandatsgebietes) erhalten hatten, von denen westlich des Jordans zu trennen, weil sich natürlich Terror im Namen eines Volks, das nach wie vor Continue reading »

Okt. 152014
 

Ich habe Enzensbergers »Schreckens Männer« gelesen. Er versucht, einen begrifflichen Zusammenhang zwischen dem westeuropäischen Amokläufer und dem islamistischen Attentäter herzustellen und findet den in der Figur des radikalen Verlierers. Das ist weder besonders neu (auch 2005 nicht, als der Essay erschien) noch gut ausgeführt. Der Text ist, ehrlich zu sein, erstaunlich schlecht organisiert und bleibt weit hinter dem Niveau der glanzvollen Stücke in Sammlungen wie »Mittelmaß und Wahn« oder »Politische Brosamen« zurück. Natürlich ist Enzensberger immer etwas brillant, seine Stärke von jeher, Psychologisches anschaulich zu machen; er kann Theorie konkret erzählen. Und das funktioniert auch dann gut, wenn es auf der begrifflichen Ebene nicht funktioniert. Continue reading »

Okt. 022014
 

Ringelnatzens »Bumerang« wäre wahrscheinlich das komischste Gedicht aller Zeiten. Allein das Weglassen der Artikel vor »Bumerang« und »Publikum« ist ein Meisterstück, das die debile Wirkung des doppelten Anapästs (»Bumerang | flog ein Stück«) sowie des im Anschluß evozierten Bildes von stundenlang auf einen davon gesegelten Bumerang wartenden Zuschauern ins Maximum steigert.

Es bleibt daher unerklärlich, warum das Gedicht statt seiner starken vier Verse noch zwei einleitende hat. Verse, die den Witz unnötig strecken, indem sie Continue reading »