Jul 162012
 

Ich kann keine zehn Jahre alt gewesen sein, als ich mit meinem Vater bei einer sommerlichen Radtour durch den wunderschönen Ort Poritz fuhr. Von einer erhöhten Stelle aus machte die langgezogene Ortsstraße ihrem Namen auch bildhaft alle Ehre. Über sowas konnten wir damals lange lachen. Vorletzten Sommer fuhr ich durch Südfrankreich und näherte mich, wieder von einem erhöhten Standpunkt, dem Ort Gap. Auch der machte seinem Namen alle Ehre. So sann ich jäh, ob da nicht eine Möglichkeit war, das Gap von Gap elegant zu bridgen. Gab es aber nicht; ich mußte hindurch. Und das Lachen war mir auch vergangen.

Mit Löchern im Sommer kann ich nicht umgehen. Wenn es heiß wird, scheint jeder zu schlafen: Keine Veranstaltungen, keine Aufträge, kein Geld. – Keine Themen. Es ist, als hätte die Menschheit sich vorgenommen, zwischen Juni und September nicht auf der Welt zu sein. Man muß nicht in jedes Loch springen, das sich vor einem auftut. Aber in das Sommerloch springen wir jedes Jahr aufs neue. Nur das Sommerloch bleibt an seinem eigenen Rand stehen, weil es weiß, was passierte, wenn es von sich selbst verschluckt würde.

Überhaupt kann ich mit dem Sommer nicht umgehen. Der Mensch im allgemeinen und ich im besonderen, wir sind nicht für diese Jahreszeit gemacht. Dazu ist sie entschieden zu heiß, und große Hitze hindert mich am einzigen, das ich irgendwie doch ein bißchen kann: Denken. Entweder denke ich Unsinn, oder ich denke gar nichts. Und im schlimmsten Fall denke ich Unsinn über gar nichts. Es kann zum Beispiel nur ein Sommer gewesen sein, der mich vor einigen Jahren zu den folgenden vier Zeilen vermocht hat:

Wo Enge ist, dort ist die Lücke.
Wo Dichte ist, dort ist das Loch.
Ein Nicht kann nur durch Etwas sein.
Fragt doch den Hegel, fragt den Bloch!

Ich muß immer lachen, wenn ich irgendwo das Wort Sommer-Akademie lese. Es ist ein Widerspruch in sich. Als ich noch ein unschuldiger Erstsemester war, gab mir ein älterer Student den Rat: Halte dich an die Dozenten mit dem blassen Teint, die arbeiten nämlich auch im Sommer. Ich war, wie gesagt, unschuldig. Ich wußte noch nicht, daß im Sommer arbeiten genauso sinnvoll ist wie im Sommer nicht zu arbeiten.

Und trotzdem muß ich es tun. Denn das Sommerloch schluckt alles – alles, bis auf meine Arbeit. Und so sitze ich und schwitze ich. Wer mich sieht, könnte fast meinen, ich arbeite. Aber nicht alles, wobei man schwitzt, ist auch Arbeit. Genau darin liegts. Im Sommer schwitzt man so oder so, und also denkt man sich wohl: Wenn ich ohnehin schon schwitze, wozu dann noch arbeiten? Und dann macht man Unfug. Zum Beispiel schreibt man einen Text wie diesen.

Vom Schreiben leben, das ist wirklich die Hölle. Man ist dazu verdammt, Einfälle zu haben. Nur, Einfälle haben wir nicht, die Einfälle haben uns. Sie kommen uns besuchen, ohne sich vorher angemeldet zu haben und unser Teil Schuld an der Sache beginnt frühestens bei der Frage, was wir aus ihnen machen. Schlimm ist es, wenn in der Welt nichts passiert. Man sitzt und hat die Leere im Kopf, weil der Kopf nur voll sein kann, wenn die Welt gefüllt ist. Ein guter Einfall etwa ist, über die Einfallslosigkeit zu schreiben. Zum Beispiel kann einer, der am Sommerloch leidet, über das Sommerloch schreiben und vielleicht fallen ihm genügend Pointen ein. Aber das geht genau einmal, und im nächsten Jahr sitzt er wieder da und hat denselben Ärger mit dieser Öffnung. Und spätestens dann bleibt ihm wirklich nichts weiter als zu warten, daß das Sommerloch die ersten Löcher bekommt und die Welt wieder Welt zu werden beginnt.

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