Okt 302020
 

Zu »The Americans«, letzte Staffel

»The Americans« ist eine elegant und mit unwahrscheinlichem Sinn für Details inszenierte Serie, zudem über Staffeln hinweg so erzählt, das sich kaum je die fürs Serien-Genre üblichen Effekte von Abnutzung, Retardation und sturer Langweile einstellen. Gewiss, im Laufe der Zeit übernahm das visuell Schöne die Vorherrschaft gegenüber dem Konzept, den visuell authentisch Eindruck der Achtziger zu inszenieren; es sah dann manchmal einfach zu gut aus. Damit lässt sich leben, weil der Eindruck einer fremden Zeit doch immer erhalten blieb. Continue reading »

Jun 062020
 

Kritik an Fake News leidet am selben Webfehler wie ihr Gegenstand

Als die Redaktion mich fragte, was mir zu Rezo einfalle, stand ich erstmal auf dem Schlauch. Und damit sind wir schon mittendrin. Rezo würde diesen Rezzo-Witz nicht verstehen, während ich nicht einmal weiß, dass man seinen Namen anders ausspricht, und überhaupt aus dem, was Influencer bei Youtube so dahinreden, selten schlau werde. Das liegt vielleicht an der hektischen Sprechweise dieser Leute und gewiss an den behandelten Problemen, die für mich meist gar keine sind. Bei Rezos aktuellem Video (»Die Zerstörung der Presse«) ist das etwas anders. Hier nimmt er sich ein hinlänglich bekanntes Thema vor, das schwierige Verhältnis von Medien und Wahrheit. Continue reading »

Jan 302020
 

»Little Women«

Viel schon wär erreicht, wenn ein Film von, über und mit Frauen nicht gleich auch einer für Frauen sein muss. Wenn Frauenthemen nicht als partikular gelten, während Männerthemen für universell genommen werden. Und wenn man von einem solchen Film nicht mehr erwartet, dass an ihm auch gleich die Welt gesunden müsse. In der turnusmäßigen Aufregung vor den Oscars schlug, nachdem »Little Women« als einziger Film einer Frau fürs Best Picture nominiert wurde, die Stunde des Sonntagsfeminismus. Continue reading »

Jan 162020
 

»1917«

Film ist ein Ding, das tut, als sei es Vorgang. Oneshot eine Szene, die tut, als sei sie Film. »1917« nun ein Film, der tut, als sei er Oneshot. Spielerei mit Weltkrieg also? Es fing ja früh an, mit Hitchcocks »Rope« (1948), wo die Bemühung einer kontinuierlichen Einstellung noch durch die Laufzeit der Filmrollen begrenzt war. Folglich musste er genau das machen, was Sam Mendes jetzt freiwillig tut – einen Film schneiden, der wie ein ungeschnittener aussieht. Genauso verhält es sich bei »Birdman« (2014) und dem zu Recht kaum beachteten »Bushwick« (2017). Tatsächlich ungeschnittene Filme wie »Russian Ark« (2002), »Victoria« (2015) oder »Utøya 22. Juli« (2018) verenden dagegen, weil die Produktionsnotiz zur Hauptnachricht wird. Was »One Cut of the Dead« (2017) wenigstens ins Witzige wendet, insofern dieser Film die eigene Entstehung miterzählt. Der tatsächliche Oneshot bleibt beschränkt; man kann nicht das beste Material wählen, muss auf die szenischen Möglichkeiten der Montage verzichten, zeitlich gebunden bleiben. Der scheinbare Oneshot ist die größere Herausforderung; seine Schnitte müssen elegant verborgen, alles im Takt und am Ort gehalten sein. Wen interessiert, was am Set passierte? Entscheidend ist auf der Leinwand. Continue reading »

Jan 092020
 

»Little Joe«

Es mag nicht klug sein, bereits in der ersten Januarwoche den klügsten Film des Jahres auszumachen, doch ich fürchte, es könnte dabei bleiben. Was Inszenierung und ideelle Struktur betrifft, kann Jessica Hausners »Little Joe« einer der großen Filme 2020 werden, dessen leichte Schwächen im Erzählerischen mit durchrutschen. Continue reading »

Dez 122019
 

»Gundermann Revier«

Da die Formel gesamtdeutsch=westdeutsch gültig bleiben muss, wo eine Vereinigung nie stattgefunden, der unveränderte Staat vielmehr sich bloß nach Osten hin ausgedehnt hat, droht jeder Versuch, dem westdeutschen Publikum einen ostdeutschen Künstler bekannt zu machen, diese Asymmetrie zu reproduzieren. Die neuen Bürger hatten alles über die alten zu lernen, die alten nichts über die neuen. Dagegen anzuarbeiten ist Andreas Dresen mit »Gundermann« (2018) nicht gelungen, und vielleicht lässt sich zu seiner Verteidigung vermuten, dass er das nie vorhatte. Vielleicht wollte er genau jene Unterwerfung vor dem bornierten Selbstverständnis der Bundesrepublik, kenntlich an der Entscheidung, die marginale, für Gundermanns Biographie unwesentliche Episode um die MfS-Tätigkeit ins Zentrum zu rücken. Nur so erträgt man den Ossi – im Kampf mit den Ärgernissen des Sozialismus bzw. mit der Stasi-Vergangenheit hadernd. Dass Gundermann wie kein anderer Liedermacher die in der kapitalistischen Expansion vollzogene kulturelle, politische und ökonomische Planierung des Ostens reflektiert hat, konnte die selbstgefällige Rezeption bloß stören. Continue reading »

Okt 182019
 

»Born in Evin«

Vorm Hintergrund erst des Wissens, wie entscheidend der frühkindliche Abschnitt für die Entwicklung jeder Persönlichkeit ist, erhält dieser Film seine Tragweite. Ungemein persönlich tritt er auf, gleichwohl exemplarisch. Maryam Zaree – Regisseurin, Autorin, Protagonistin – wurde als Kind inhaftierter Dissidenten 1983 im Evin-Gefängnis nahe Teheran geboren und verbrachte dort die ersten Jahre ihres Lebens. Heute arbeitet sie als Schauspielerin in der Bundesrepublik und findet, da kaum jemand mit ihr über diese Jahre reden will, für angezeigt, ein solches Reden zu erzwingen. Ich denke, so muss man diesen Film fassen. Als letztes Mittel eines Menschen, sein Recht auf Wissen durchzusetzen. Continue reading »

Mai 282019
 

Zur politischen Intention des Märchens »Liebkind im Vogelnest«[i]

Der junge Mann heißt Leberecht, das Mädchen Liebkind, der Hund heißt Kasper. Wir haben, wie so oft bei Hacks, eine Dreiteilung. Und wie ebenfalls üblich bedeutet diese hier wieder was Eigenes. Selten hat Hacks dieselbe ideelle Konstruktion zweimal verwendet, so dass man seine Werke nicht nach stets demselben Schema deuten kann. Auch »Liebkind« lockt den routinierten Hacks-Leser ein wenig auf die falsche Spur. Einiges erkennt man sogleich, doch dann schaut man wieder hin und sieht, es geht noch um mehr. Continue reading »

Apr 172019
 

»Der Fall Collini«

Wenig überraschend blieb die öffentliche Aufmerksamkeit dieser Tage vor allem an der Besetzung der Hauptrolle hängen. Bislang war Elyas M’Barek kaum anders denn in seichten Stories zu sehen, und dafür, dass er jetzt als Strafverteidiger Caspar Leinen etwas Reparation treiben kann, hat man der Figur aus Schirachs Romanvorlage einen türkischen Hintergrund eingeschrieben. Deutsche Angelegenheiten. Ich meinesteils freue mich stets, Franco Nero zu sehen, der mir durch »Zwiebel-Jack räumt auf« (1975) zum Helden der Kindheit wurde. Meine Angelegenheiten.

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Apr 122019
 

»Niemandsland«

Dass der deutsche Verleihtitel den zeitlichen Ausdruck in eine räumliche Metapher überträgt, mag dem Notstand geschuldet sein, im Deutschen keine griffige Entsprechung für »Aftermath« zu haben. Jenes Nachwirken als höchst aktives Fortwirken der Vergangenheit im Gegenwärtigen meint in diesem Film zweierlei: die politische Situation nach dem 2. Weltkrieg und den Seelenzustand einer Frau, die ihr Kind verloren hat. Der in Hamburg stationierte Offizier Lewis Morgan erhält Besuch von seiner Frau Rachael. Die britische Armee beschlagnahmt die Villa des Architekten Stefan Lubert als Wohnraum für das Paar, doch Lewis schlägt vor, dass Lubert und seine Tochter Freda mit ihnen unter einem Dach wohnen bleiben. Ziemlich bald verlieben sich Rachael und Lubert, am Hass der strammen Freda und dem Desinteresse des stets beschäftigen Lewis vorbei.

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Feb 202019
 

»Vice – Der zweite Mann«

Es beginnt 1950 in Wyoming, wo die Welt nicht heil, aber noch in Ordnung war. Der Landarbeiter Dick Cheney gerät betrunken in eine Polizeikontrolle. Es ist der Moment, in dem sich sein Leben ändert. Seine Frau Lynne stellt ihn vor die Wahl: Entweder mache er was aus sich, oder sie werde ihn verlassen. So lernt er bei Donald Rumsfeld das Handwerk einer Politik ohne Inhalt. Ein halbes Dutzend Wahlperioden später erkennt er in George W. Bush einen gut zu führenden Frontmann, hinter dem er als Schattenpräsident das Land regieren kann. Dick trifft auf Doof, das ist die Lesart.

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Feb 072019
 

»Drachenzähmen leicht gemacht 3: Die geheime Welt«

Die unbestreitbare Schönheit dieses Films konzediert, scheint nicht verkehrt, anstelle einer Rezension die gesamte Reihe in Blick zu nehmen. Dean DeBlois selbst gibt an, dass er mit den drei Filmen eine übergreifende Story erzählen will. Gelungen ist ihm viel mehr als das. »Drachenzähmen« zeichnet, vielleicht unwillentlich, ein Sittenbild dieser Epoche. Im Kunstwerk decken sich Absicht und Ergebnis nie ganz. Erzähler packen die Welt oft intuitiv und könnten es nicht begrifflich machen. Zum anderen folgen sie der Logik des Erzählens, wodurch sie unvermeidlich Bedeutung herstellen. »In der Kunst«, schreibt Peter Hacks, »verändern Sachverhalte ihr Wesen; sie hören auf zu sein und fangen an zu bedeuten.« Wie Literatur übersetzt Film Strukturen der Wirklichkeit in Ideenstrukturen. Die Frage ist nicht, ob, sondern wie gut er das tut.

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Jan 312019
 

»Green Book«

Man könnte das Ganze für eine lustvoll verkehrte Adaption von »Miss Daisy und ihr Chauffeur« (1989) halten, wenn der Stoff nicht historisch wäre. Tatsächlich hatte der von Mahershala Ali verkörperte Pianist Don Shirley den von Viggo Mortensen nicht minder genial gespielten Arbeiter und Kleinganoven Tony Lip im Herbst 1962 für eine Tournee durch den Süden der USA als Fahrer engagiert. Und tatsächlich wurden beide dadurch und hernach Freunde fürs Leben. Aus diesem Setup entsteht mal Komik, mal Spannung, denn in den Zeiten der Rassentrennung war das Bild eines schwarzen Gentlemans, der sich von einem weißen Arbeiter chauffieren lässt, unvermeidlich irritierend. Noch gut, wenn der Südstaatler mit dem Anblick bloß überfordert war – dieser ruhige, witzige, gar nicht effekthaschende Film hat gleichwohl bedrohliche Szenen, die den Alltag schwarzer Bewohner in den Sundown Towns widerspiegeln.

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Jan 282019
 

»The Favourite – Intrigen und Irrsinn«

Wenn Yorgos Lanthimos bislang für ein Kino stand, in dem Stil vor Substanz kommt, scheint sich das in »The Favourite« umzukehren. Das soll nicht sagen, dass die künstlerischen Mittel hier weniger effektvoll wären als etwa in »The Lobster« (2015) oder »The Killing of a Sacred Deer« (2017). Die Musik schwankt zwischen Harmonie und schriller Beklemmtheit, die Kamera reproduziert diese Stimmung durch nicht vorhersehbare, impulsive Fahrten sowie einen häufigen Wechsel von Weitwinkel und Fisheye auch bei Innenszenen. Die Beleuchtung nutzt, inspiriert von Kubricks Arbeit an »Barry Lyndon« (1975), ausschließlich natürliche Lichtquellen, was der Orientierung im Raum oft nicht zuträglich ist.

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Dez 272018
 

»Shoplifters«

Dass in Cannes die Palme wackelt, sagt noch nichts über Goldregen in L.A. Dennoch dürfte ein Oscar für »Shoplifters«, trotz starker Konkurrenz bei den Einreichungen (»The Guilty«, »Roma«, »Burning«, »Dogman«, »Waldheims Walzer«), im nachhinein so selbstverständlich scheinen wie vor drei Jahren bei »Son of Saul«. Das hängt nicht zuletzt am sozialen Tonfall. Koreeda Hirokazu zeigt moralisch nicht eindeutige Menschen und macht keine Vorschrift, wie man sie zu finden hat. Gleichwohl sind die punktgenauen, lakonischen Sentenzen, die Sprache der Szene und das Schauspiel des gesamten Ensembles so manipulativ, dass ein Rückzug in bloß anschaulichen Naturalismus unterbunden wird.

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