Apr 122019
 

»Niemandsland«

Dass der deutsche Verleihtitel den zeitlichen Ausdruck in eine räumliche Metapher überträgt, mag dem Notstand geschuldet sein, im Deutschen keine griffige Entsprechung für »Aftermath« zu haben. Jenes Nachwirken als höchst aktives Fortwirken der Vergangenheit im Gegenwärtigen meint in diesem Film zweierlei: die politische Situation nach dem 2. Weltkrieg und den Seelenzustand einer Frau, die ihr Kind verloren hat. Der in Hamburg stationierte Offizier Lewis Morgan erhält Besuch von seiner Frau Rachael. Die britische Armee beschlagnahmt die Villa des Architekten Stefan Lubert als Wohnraum für das Paar, doch Lewis schlägt vor, dass Lubert und seine Tochter Freda mit ihnen unter einem Dach wohnen bleiben. Ziemlich bald verlieben sich Rachael und Lubert, am Hass der strammen Freda und dem Desinteresse des stets beschäftigen Lewis vorbei.

Bereits als Charakterstory ist das sehr dünn. Das Motiv des entfremdeten Paars, das den Verlust des gemeinsamen Kindes nicht bewältigen konnte, reicht nicht, eine ganze Erzählung zu tragen; zumal es zum Standard der Filmgeschichte zählt. Aufgeladen mit Scham und Schuldzuweisung drückt die Trauer auch als solche, indem der Mittrauende zur weiteren Belastung gerät. Dass »Niemandsland« die Intensität ähnlich situierter Filme wie etwa »Wind River« oder »Manchester by the Sea« nicht erreicht, mag auch im Schauspiel liegen. Allein Jason Clarke schafft einen runden Charakter. Keira Knightley wirkt, wie oft, viel zu kindlich und in ihrem Schmerz einfach nicht reif. Flora Thiemann hat mit einer undankbar stumpfen Rolle zu kämpfen. Alexander Skarsgård verwechselt Rätselhaftigkeit mit Indifferenz, so dass man sich irgendwann nicht mal mehr fragen will, was es eigentlich mit seinem Charakter auf sich habe. Entsprechend kann auch Luberts Romanze mit Rachael nicht packen, zumal die weder richtig angebahnt noch temposicher entwickelt ist. Ähnlich die Beziehung zu Freda. Es entsteht kaum Interaktion, und bereits die Prämisse funktioniert nicht: Diese Tochter eines angeblich nie mit den Nazis sympathisierenden Humanisten gibt sich noch Monate nach dem Krieg als fanatisches BDM-Kind. Der Kontrast könnte ja gewollt sein, wird aber nicht gespielt noch erklärt. All das macht schwer, zu diesen Figuren eine Art Beziehung aufzubauen.

Etwas aufgefangen werden die Schwächen von Plot und Figuren durch die Inszenierung. Das Szenenbild überwältigt. Auf der einen Seite jenes elegante Anwesen, in dem die vier Personen leben, auf der anderen das grundzerbombte Hamburg mit rieselnder Asche und Schutt bis hin zu verkohlten Körpern. Beleuchtung und Kamera arbeiten dagegen; sie glänzen es auf. Beide Kulissen wirken damit für sich authentisch und noch eben fremd genug für unsere Augen. Die Koexistenz zweier visueller Stile im selben Film erinnert an Ridley Scotts »All the Money in the World«, der sich hier auf die Rolle des Produzenten beschränken musste. Auch bei den Kostümen lebt der Film von Oppositionen. An Rachael sitzt jedes Stück, sind die Farben gerade so, dass sie dezent heraussticht. Senf oder gedecktes Blau geben dem Look etwas Vergangenes ohne Tristesse, was zu ihrer Neigung passt, in der Erinnerung zu leben. Dagegen wirkt Lewis regelrecht grob; kaum je sitzt die Uniform richtig, was den ganz nach vorn gerichteten, tatkräftigen Charakter ausdrückt, der sich Erinnerung und Reflexion nicht gestattet.

Das persönliche Verhältnis des Paars nun wird auf der politischen Ebene reproduziert. Lewis steht für Versöhnung ein, während Rachael sich den Deutschen gegenüber kalt zeigt. Erzähllogisch ist klar, dass das nicht so bleiben kann, doch damit zerfällt alles, was irgend hätte relevant werden können. Die Liebe eines Deutschen und einer Britin, die beide einen geliebten Menschen an den Krieg verloren haben, macht den reaktionären Kern der Story. Ohne weiteres Zutun, einfach durch die dramatische Konfiguration, werden die Parteien des Weltkriegs in Analogie gebracht. Zudem herrscht an unwidersprochenen Bemerkungen, die die Handlungen beider Seiten gleichsetzen, kein Mangel. Den Machern scheint das selbst klargeworden, und pflichtschuldig werden noch rasch im Vorbeigehen die KZs erwähnt. Davon ab könnte der Film irgendwo spielen.

Und dann stimmt es noch nicht mal. Der nachträgliche Traum einer gründlichen Aufarbeitung der Nazizeit in den westlichen Sektoren ist ebenso fromm wie vergiftet. Gerade die Liason zwischen Lubert und Rachael könnte als Sinnbild der sich gegen den bewährten Feind Moskau vereinenden imperialistischen Mächte genommen werden, als Janusbild des liberalen und faschistischen Antlitz der bürgerlichen Gesellschaft, aber ausgerechnet so ist das hier nicht gemeint. Selbst während der kurzen Phase zwischen dem Ende der ersten Amtszeit Churchills und der Truman-Doktrin war der heraufziehende Kalte Krieg als Hintergrund bestimmend. Man sollte nicht vergessen, dass Hollywood es einmal konnte. Der Aftermath-Klassiker »Judgment at Nuremberg« (1961) erzählt, wie der reanimierte Antikommunismus die Entnazifizierung blockierte, jener historische Abschnitt also nicht nur das Ende eines vorangegangenen Krieges, sondern den Anfang einen neuen markiert.

»Niemandsland« [»The Aftermath«]
USA, Großbritannien 2018
Regie: James Kent
Drehbuch: Joe Shrapnel, Anna Waterhouse
Darsteller: Keira Knightley, Jason Clarke, Alexander Skarsgård
Länge: 109 Minuten
Starttermin: 11. April 2019

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in: junge Welt v. 12. April 2019.

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