Jun 062020
 

Kritik an Fake News leidet am selben Webfehler wie ihr Gegenstand

Als die Redaktion mich fragte, was mir zu Rezo einfalle, stand ich erstmal auf dem Schlauch. Und damit sind wir schon mittendrin. Rezo würde diesen Rezzo-Witz nicht verstehen, während ich nicht einmal weiß, dass man seinen Namen anders ausspricht, und überhaupt aus dem, was Influencer bei Youtube so dahinreden, selten schlau werde. Das liegt vielleicht an der hektischen Sprechweise dieser Leute und gewiss an den behandelten Problemen, die für mich meist gar keine sind. Bei Rezos aktuellem Video (»Die Zerstörung der Presse«) ist das etwas anders. Hier nimmt er sich ein hinlänglich bekanntes Thema vor, das schwierige Verhältnis von Medien und Wahrheit. Continue reading »

Okt 152019
 

Man kommt recht bald dahinter, dass Utopien tatsächlich nicht realisierbar sind, sie aber als Kompass benötigt werden, wenn man mehr als bloß verwalten will. Auch die Magnetnadel zeigt auf einen Punkt hinterm Horizont, der nicht erreichbar ist, doch besser, man folgt ihr als gar keiner Richtung im wahllosen Herumzukreuzen. Continue reading »

Sep 232019
 

»Ad Astra«

Dieser Film wird enttäuschen, ohne tatsächlich enttäuschend zu sein. Wer hier ins Kino findet, rechnet gewiss nicht mit Historien wie »Apollo 13« (1995), »Die Zeit der Ersten« (2017) oder »First Man« (2018), deren Handlung naturgemäß physisch ausgelegt ist. Auch nicht mit ganz entrückten Szenarien wie »Forbidden Planet« (1956) und »Journey to the Far Side of the Sun« (1969). Aber wohl doch mit etwas wie »Gravity« (2013) oder »The Martian« (2015), worin eine stark dosierte Nah-Utopie gerade so viel Raum schafft, dass ein physischer Plot sich entfalten kann. Sicher werden einige die Tiefe oder Breite von »2001: A Space Odyssey« (1968), »Silent Running« (1972), »Solaris« (1972), »Interstellar« (2014) erwarten. In der Tat ist »Ad Astra« nichts von all dem, auch nichts dazwischen. Der Film gerät zu tief, um breit, nicht breit genug aber, um wirklich tief sein zu können, und so physisch, dass er symbolisch genommen werden muss. Das klingt paradox, was daran liegt, dass es das ist. Continue reading »

Aug 312019
 

»Frau Stern«

Ahuva Sommerfeld, 1937 in Jerusalem geboren, hat drei Leben gelebt: eines in Israel, eines in Ostafrika und eins in Deutschland. Mit Frau Stern in »Frau Stern« spielte sie die erste Filmrolle ihres Lebens. Da war sie 81 Jahre alt; kurz nach dem Ende der Dreharbeiten starb sie. Der Film handelt übrigens von einer alten Frau, die den Endpunkt ihres Lebens selbst bestimmen möchte. Continue reading »

Mai 282019
 

Zur politischen Intention des Märchens »Liebkind im Vogelnest«[i]

Der junge Mann heißt Leberecht, das Mädchen Liebkind, der Hund heißt Kasper. Wir haben, wie so oft bei Hacks, eine Dreiteilung. Und wie ebenfalls üblich bedeutet diese hier wieder was Eigenes. Selten hat Hacks dieselbe ideelle Konstruktion zweimal verwendet, so dass man seine Werke nicht nach stets demselben Schema deuten kann. Auch »Liebkind« lockt den routinierten Hacks-Leser ein wenig auf die falsche Spur. Einiges erkennt man sogleich, doch dann schaut man wieder hin und sieht, es geht noch um mehr. Continue reading »

Mai 172019
 

Auf Fragen, die man erst haben kann, wenn man den Film gesehen hat

Ein spekulativer Inhalt kann nicht in einem einseitigen Satz ausgesprochen werden, schreibt Hegel. Gibt es Grenzen des spekulativen Zugangs? Oder konkreter gefragt: Ist die Shoa spekulativ zu denken?

Es gibt Gegenstände, die nicht im spekulativen Zugriff aufzuheben sind. Weniger aus theoretischen Gründen, sondern weil es sich moralisch verbietet. Dass dem Antisemitismus keine produktive Seite abzugewinnen sei, versteht sich praktisch und muss nicht begründet werden. Für Antisemiten ist die Begründung nicht möglich, für Nicht-Antisemiten ist sie nicht nötig. Continue reading »

Mrz 022019
 

Der Ausdruck ›Etatistische Splitter‹ verkörpert selbst jenen Notstand, gegen den er angeht. Insofern der Gedanke der Staatlichkeit weit über das einfache Bedürfnis nach Sicherheit, Wärme oder Geborgenheit hinausreicht (das bereits in der Familie ganz erfüllt werden kann) und vielmehr die Idee setzt, dass es ein Ganzes gibt, demgegenüber man sich verhalten muss, ob man es anerkenne oder nicht, ob man ihm beifalle oder nicht, steckt im Etatismus stets der Anspruch, dieses Ganze zu denken. Und damit hat er zwei Seiten. Continue reading »

Nov 122018
 

»Rememory«

Was sind Erinnerungen? Wie bestimmen sie unsere Entwicklung? Was wäre, wenn fortgeschrittene Technik ihre präzise Aufzeichnung ermöglichte?

»Rememory« ist einer jener Filme, bei denen man phasenweise den Eindruck erhält, in einem Seminar gelandet zu sein. Anders als »Anon« (2018), der dasselbe Thema anpackt, setzt der Film tief an, nimmt häufig das Tempo aus der Erzählung und gewährt den physischen Elementen des Plots keinen Überhang. Auf die Art konserviert er geschickt das Gleichgewicht von Kriminalstory und Charakterdrama, wo »Anon« bloß mit geläufigem Dystopiepomp aufwartet, dessen philosophisches Fundament die ein paar mal zu oft verhandelte Frage bildet, was vom Menschen bleibe, wenn man ihn der Privatsphäre beraubt. »Anon« artikuliert einen Protest gegen das Erfassen von Erinnerungen. »Rememory« fragt, was das Erfassen von Erinnerungen für den Menschen bedeutet. Continue reading »

Mrz 222018
 

Mehr als ein Biopic: »I, Tonya« zeichnet eine hintergründige Karikatur des Amerikanischen Traums

Filmische Biographien müssen enttäuschen. Sie provozieren die Erwartung, getreu zu erzählen, wie es war, und langweilen, wenn sie das tun, weil das Ende doch immer schon bekannt ist. Jeglicher Film über Jesus wird dessen Tod am Kreuz zeigen, jeder Film über Tonya Harding den Hergang des Attentats auf Nancy Kerrigan erzählen. Also kommt es hier mehr noch als in der reinen Fiktion darauf an, wie die Sache erzählt wird. Was immer sich sonst für oder gegen »I, Tonya« vorbringen ließe, dieses Problem hat der Film exzellent gelöst. Continue reading »

Mrz 212018
 

Wozu braucht man einen Hacks? Zum 90. Geburtstag eines abwesenden Dichters

Über den sollte Raoul Peck mal einen Film machen, sage ich in einem jener Momente, worin es schon aus Gründen der Uhrzeit bloß noch um die Punchline geht. ›Le jeune Hacks‹, da klingelt was. Saxophon in Schwabing, Party in der Berliner ›Möwe‹, Sex, Cognac, Verbote durch Adenauer und Ulbricht. Während der Abspann läuft, darf geweint werden: Was ist bloß aus dem Mann geworden? Continue reading »

Mrz 162018
 

Daniel Rapoports »Anteil des Redens an der Affenwerdung des Menschen«

Wer nach dem Thema dieses Buchs fragt, wird nicht glücklich werden. Es hat nicht keins, sondern nicht eins, es hat viele. Sechs stattliche, drei kurze Essays, und den roten Faden findet nur, wer ihn schon kennt.

Es ist die Breite und Verschiedenheit, das Überraschende und Ungewöhnliche, worin Rapoports Denken fruchtbar wird. Er denkt systemisch, hat aber kein System. Er baut vielmehr mit jedem Text ein neues. Wichtiger als eines zu haben ist ihm, eins hervorbringen zu können. Nichts anderes bezeigt das Buch, wenn es bald um das Entstehen von Ressentiments, bald um Sprache, Messfieber, Fortschritt, Kunst oder Gott geht. Das Umblättern der Seiten macht einen Wind von Friedell, Kraus, Lichtenberg, aber das ist nur Geklingel. Es ist bekannt, dass sie Rapoports Vorbilder sind, und dass sein Schreiben an sie erinnert, folglich kein Zufall. Das Wesentliche aber, der rote Faden, gehört ganz ihm. Continue reading »

Jan 052018
 

Manchmal, wenn eine Sache so blöd ist, dass ich nicht weiß, wo ich anfangen soll, mache ich einen Witz. Das ist meine Art, mit den Augen zu rollen. Manchmal ist eine Sache so blöd, dass mir nichtmal ein Witz einfällt. In dem Manuskript, das ich gerade lektoriere, steht das Wort »Neger«. Das Protokoll von Word 2016 markiert vermeintliche Rechtschreibfehler mit rot gepunkteten Linien und vermeintliche Fehler der Grammatik mit durchgezogenen blauen. Hier unter besagtem Wort sehe ich zum ersten Mal eine braun gepunktete Linie und dürfte etwa ausgesehen haben wie Pete Sampras vorm Aufschlag, als ich das Wort mit der rechten Taste anclickte: »Neutrale Sprache« & »Sie sollten den Ausdruck ersetzen«. Continue reading »

Aug 072017
 

Erste Überlegungen zu Sorrentinos »The Young Pope«

Und plötzlich ist da dieser junge Papst, der als Waisenkind aufgewachsen ist, die Eltern aber nicht verloren hat, sondern von ihnen verstoßen wurde, der die Liebe folglich im Leeren sucht, während er zugleich Liebe zurückweist, der als Mensch mit steter Ironie und eher modern auftritt, in seiner Kirchenpolitik aber das genaue Gegenteil ist, der eine Fluppe nach der nächsten raucht, ganz so, als wolle er im aufsteigenden weißen Rauch immer wieder den siegreichen Moment des Konklaves festhalten. Warum ist das alles so gut, so gut gedreht, so gut erzählt, warum beschäftigt es einen so nachhaltig?

Der Teufel weiß es und kann es nicht begründen. Gott kann es begründen, weiß es aber nicht. Von den ganz weltlichen Dingen nämlich Continue reading »