Jun 242017
 

»Meta Morfoss« & das Motiv der Metamophose in den Überlieferungen[i]

 

Der Name

Die Geschichte handelt von einem Mädchen, das die Fähigkeit besitzt, seine Gestalt zu wechseln, von den Schwierigkeiten, die die Gesellschaft damit hat, sowie darüber, auf welche Weise beide, das Mädchen und alle anderen, damit leben können. Der Name des Mädchens ist derselbe wie der des Märchens: Meta Morfoss.

Es bedarf keiner besonderen Ausbildung, ihn zu entschlüsseln. Ebenso wenig täte hier ein fundierter Zugriff auf Ovids »Metamorphosen« Not. Abgesehen vom Titel selbst enthält die Erzählung, soweit ich sehe, keine spezifischen Anspielungen auf diesen antiken Katalog, zumal die Differenzen zwischen Meta und den Gestalten Ovids recht groß sind. Mitgedacht werden als Hintergrund kann das Werk Continue reading »

Feb 222017
 

 

Villeneuves »Arrival«

Wer breitbeinig flaniert, lädt dazu ein, dass man ihm in die Kniekehlen tritt. »Arrival«, dieser Film über die Sprache, das Universum und den ganzen Rest, scheint viel zu wollen. Daher darf man auch mehr von ihm wollen. Indessen ist, wer nicht vorhat, ihn wie einen gewöhnlichen Film zu behandeln, gezwungen anzugeben, wie er Filme gewöhnlich behandelt. Continue reading »

Dez 222016
 

Opportunismus und Reife

Wahrscheinlich ist es ein Fehler, beim Opportunismus immer gleich an Diederich Heßling zu denken. Er ist zwar stumpfsinnig und eine Petze, doch der eigentliche Opportunist ist Napoleon Fischer, der schlaue, der witzige, der durchaus nicht servile. Opportunismus ist Verrat, Opportunismus ist Fall. Es kann nur Opportunist sein, wer einmal Idealist gewesen ist. Erst dort, wo eine politische Idee verwirklicht werden soll, wo einer was will, das über das Bestehende hinausweist, geht von Opportunismus zu sprechen. Keine Destruktion ohne Konstruktion. Wer Visionen hat, solle zum Arzt gehen, sagt Helmut Schmidt und trifft damit auf verdrehte Weise. Wer Visionen hat, hat immerhin noch einen Grund, den Arzt aufzusuchen; wer keine Visionen hat, braucht nicht deswegen nicht zum Arzte zu gehen, weil er etwa gesünder wäre, sondern er kann sich den Besuch schenken, weil er schon lange tot ist, ehe er stirbt. Continue reading »

Nov 072016
 

Zur Deutung der Digression des »Theaitet« (172c–177c)[1]

Einleitung

Haben wir denn nicht Zeit, fragt Theodoros den Zeitvertreiber Sokrates, als befänden sie sich gleichsam auf dem Zauberberg, wo alles stillsteht und folglich die großen Fragen verhandelt werden können. Es scheint so, entgegnet ihm der andere, und man sollte nicht übersehen, daß, während das gesprochen wird, der junge Theaitetos anwesend ist und dem Disput der beiden Älteren lauscht wie Hans Castorp dem Streit zwischen Settembrini und Naphta. Wie interessant kann eine Erörterung sein, die man vor allem deswegen führt, weil man die Zeit dazu hat? Wir werden sehen, daß Sokrates, und mit ihm Platon, meint, daß gerade diese Art Gespräche die interessantesten sind. Wo nichts anderes zwingt, muß es die Sache selbst sein, die zur Abhandlung drängt. Wo etwas anderes zwingt, bleibt für die Sache kein Platz. Über sechs Stephanusseiten erstreckt sich jene Abschweifung in Platons »Theaitet«[2], die unter der Bezeichnung Digression[3] bekannt geworden ist und die da nicht stünde, hätten die Teilnehmer des Gesprächs nicht befunden, daß sie die Zeit besitzen, diesem Exkurs nachzugehen. Inmitten der streng auf die Frage, wie Wissen definiert werden könne, gerichteten Gesprächsführung setzen Sokrates und Theodoros die Erörterung dieses erkenntnistheoretischen Problems aus und beschäftigen sich mit einer Betrachtung, die eher dem Bereich der praktischen Philosophie zuzuordnen wäre: der Gegenüberstellung zweier Lebensweisen, der theoretisch-philosophischen und der praktisch-politischen. Dem nichtigen Treiben der Polis wird das erhabene Geschäft der Philosophie entgegengehalten; allein die Philosophie besitze einen wahren Begriff von Gerechtigkeit und ermögliche auf die Art das gute Leben. Was Wissen ist, erfahren wir in der Digression nicht. Continue reading »

Mai 302016
 

Ist es nicht eigenartig, dass im 1. Buch Mose der Ausdruck erkennen als verklemmter Euphemismus für ficken steht?[i] Euphemismus – kann man das eigentlich so nennen, wenn eine schöne Sache eine andere schöne beschreibt? Soll der Ausdruck bloß verdecken, oder ist da mehr im Spiel? Lässt sich über den Gedanken der Verklemmtheit hinaus ein Zusammenhang zwischen beiden denken? Wie erkennt Adam denn Eva, während er die eine oder andere sexuelle Übung mit ihr durchführt? Als was erkennt er sie? Zunächst doch wohl als Frau. Und spielt sich das Ganze nicht ab, nachdem die beiden vom Baum der Erkenntnis gekostet haben? Nur dass der Baum nicht einfach der der Erkenntnis ist, sondern der Erkenntnis von Gut und Böse. Zur Liebe und zur Erkenntnis tritt also eine sittliche, gewissermaßen politische Komponente. Im Paradies ist keine Politik. Mit dem Biss in die verbotene Frucht beginnt alles erst. Liebe ist, wie späterhin politisches Streben und Erkenntnis, der autoritärste Seelenzustand, der sich denken lässt. Ein Vorzugsverhältnis. Wer alles liebt, liebt nichts. Wer vieles liebt, liebt weniger. Wer liebt, wertet das, was er nicht liebt, ab. Zum ersten Mal erkennt Adam sein Weib als Weib und damit den ganzen Rest gleich mit. Continue reading »

Jun 082015
 

Meine Abschlußarbeit, geschrieben 2011, auf Publikationsform gekürzt 2013, gedruckt jetzt, 2015. Als die Mühen der Gebirge hinter mir lagen, folgten die Mühen des Schaukelstuhls.

»The study aims to offer a rational explanation for the appearance of the so-called ‘digression’ in Plato’s Theaetetus and in so doing raises the question of whether it is indeed a digression. The starting point of the inquiry is the argumentative structure of the digression itself, which in the course of the inquiry will be made apparent, internally, through references to the Theaetetus itself and, externally, through references to similar passages in other dialogues of Plato. In a first step the theoretical content of the passage is analysed in detail under four aspects (the polis, epistemology, metaphysics, ethics). This analysis is followed by the speculative application of what has been established, by pursuing the question of what function the ‘digression’ fulfils in the Theaetetus. The study reaches the conclusion that it has four distinct functions: the digression is an ethical dimension of the concept of knowledge, a component of the critique of the homo mensura dictum, the performative expression of philosophical process and – most importantly – an indirect link to the Platonic system.« Continue reading »

Okt 012014
 

 

Daniel Rapoport hat mich für den Lobster Award hemmungslos renominiert. Er zuckt, und ich muß.

Die Fragen

1: Kurzbegründungen: Kaffee oder Tee? Meer oder Berge? Dostojewskij oder Tolstoi? Beatles oder Stones? Welches ist Dein liebster Beatle?

Kaffee – Meer – Tolstoi – Beatles – George Harrison.

Kurzbegründungen: Kaffee zwischen 7 & 15, Tee zwischen 15 & 22. Also 8:7 für Kaffee. – Meer riecht und klingt schöner, Bewegung überdies schlägt Stillstand, und im Odenwald habe ich Berge genug. Norwegen hat allerdings beides, weshalb Slartibartfast seinen Preis ja auch vollkommen zu Recht bekommen hat. – Dostojewski ist raffinierter, tiefer und Continue reading »

Sep 292014
 

Mark P. Haverkamp, der sich hierdurch mit Dank überschüttet fühlen soll, hat mich für den Liebster Award nominiert, was eine schöne Sache mit schrulligem Namen ist. Ich mag die Fragen wie die Möglichkeit, selbst Fragen zu stellen, tue folglich, was ich kaum je tue: mitmachen. Aber ich ändere den Namen. Der Preis heißt ab jetzt Lobster Award, meint aber im übrigens alles, was sein Vorgänger auch meint.

Die Antworten

1. Bei welcher deiner Meinungen (von der du sehr überzeugt bist) stimmen die meisten anderen nicht mit dir überein?

Staatsbegriff, Demokratie, Sozialismus, Deutschland, Israel, politische Romantik, Miroslav Klose (in ascending order).

2. Wo wärest du jetzt gern?
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Sep 012014
 

Es kommt im Leben schon mal vor, daß einer einen fragt, warum er mit einem anderen befreundet ist, und mit dieser Frage durchaus nicht Interesse, sondern Mißbilligung bekundet. Wenn einer Ärger mit einem hat und nun von der gesamten Welt erwartet, sie möge an diesem Ärger teilnehmen, ist darin eine alte Sehnsucht zum Ausdruck gebracht; nämlich mehr zu können, als man selbst kann. Die eigene Macht endet direkt hinter der eigenen Handlung, man wünscht sich einen Fortgang, ein Wirken über sich hinaus. Warum sollen nicht alle einsehen, was ich eingesehen habe? Continue reading »

Apr 042014
 

Ich hatte eine Weile lang den Ehrgeiz, ein Buch zu schreiben über klassische Fehler oder eristische Kniffe in Diskussionen. Material sollten öffentliche Streits im Web 2.0 sein, vornehmlich über politische Themen. Ich bin von dem Vorhaben abgekommen, weil das Material endlos ist und ich zu anderen Dingen mehr Lust hatte. Hinzu kommt, daß die wirklich bemerkenswerten Klassiker fehlerhafter bzw. eristischer Figuren – etwa die petitio principii, die self-fulfilling prophecy, das hysteron proteron oder die conversio simplex – längst im Bewußtsein der Allgemeinheit angelangt sind. Diese Fehler werden tatsächlich nur von Dummköpfen begangen und von jedem halbwegs Befugten sogleich erkannt.

Einer jener Klassiker aber scheint mir bislang nicht hinreichend bewußt und nicht selten auch von klugen Köpfen in Gebrauch genommen zu sein. Ich meine die Verwechslung von Name und Begriff. Die ist nach meiner Beobachtung eine der häufigsten Fehlerquellen für gescheiterte Diskussionen insgesamt. Ich bin vor einiger Zeit bei William von Ockham auf eine Continue reading »

Apr 032014
 

Das Genie ist immer kreativ. Was es auch in die Finger bekommt, es macht etwas daraus. Es macht aus wenig viel; es kann gar nicht anders. Deswegen wirkt es immer viel gebildeter, als es eigentlich ist, und kann dabei nie so gebildet sein, wie es gerne wäre.

Die Fähigkeit, die das Genie zum Genie macht, nennt sich Sagazität. Das ist das Vermögen, in eine fremde Materie einzutauchen und ziemlich schnell die Hauptpunkte an der erkennen zu können. Bildung und Erkenntnis sind nach meiner Erfahrung gegenläufig. Bildung ist Aufnehmen von Material. Erkenntnis ist Verarbeiten von Material. Wer aus wenig Material viel machen kann, den schläfert das Aufnehmen schnell ein. Der kann keine Stunden und Aberstunden jeden Tag philosophische Werke konspektieren und lesen bis zum Einschlafen. Der ist nach einer Seite schon so voller Gedanken, daß er schreiben muß, schreiben und schreiben. Das Hirn will unablässig Theorie hervorbringen, das hindert ihn daran, welche aufzunehmen. Continue reading »

Mrz 262014
 

 

Das klassische Streben nach einer Gattungsordnung und ihre rational begründete Dekonstruktion

Peter Hacks und Gérard Genette1

 

Vor drei Jahren habe ich den Versuch unternommen, das zu umreißen, was den Begriff der Klassik bei Peter Hacks ausmacht, und dabei die unbewiesene Behauptung aufgestellt, daß Hacksens Beschäftigung mit der Gattungstheorie weniger im Zusammenhang mit der Installation seines klassischen Credos zu sehen ist als vielmehr mit dessen Verteidigung gegen einen als bedrohlich wahrgenommenen Zeitgeist, der von Hacks in dem Codewort Romantik zusammengefaßt wurde.2 Ich will diese These auch heute nicht beweisen, denn sie ist nicht beweisbar, aber ich will sie ein wenig mit Material unterfüttern und damit vielleicht ermöglichen, daß sie von einer anderen Seite her beleuchtet werden kann. So soll sich die Reichweite der Hacksschen Gattungstheorie zeigen, und das erledigt, möchte ich – denn jedes Licht wirft Schatten – einen Blick hinüber werfen zu Gérard Genette und dessen Wiederbelebung der aristotelischen Kategorien. – Durchaus nicht, weil das Zusammenbringen Continue reading »

  1. Vortrag, gehalten am 2. November 2013 im Berliner Magnus-Haus; abgedruckt in: Die Götter arbeitslos gemacht. Peter Hacks und die Klassik. Sechste wissenschaftliche Tagung der Peter-Hacks-Gesellschaft, hrsg. v. Kai Köhler, Berlin 2014, S. 26–46. []
  2. Selbst auf den Schultern der Gegner. Der Klassik-Begriff von Peter Hacks im Umriß, in: Topos 34 (2010), S. 33–51, hier: S. 44f. []
Feb 182014
 

In den Wochendbeilagen der jungen Welt führt Reinhard Jellen eines seiner rübensirupzähen Standgerichte in mehreren Teilen durch. Das Opfer diesmal, sehr löblich, Markus Gabriel. Allerdings schafft Jellen es, noch hinter den zurückzufallen. Die sicher dringende Dekonstruktion jener merkwürdigen Ansichten Gabriels, die von Presse und Eigenwerbung in kraftmeierischer Anmaßung als neu und revolutionär bezeichnet wurden, sollte auf einem Niveau vonstatten gehen, das dem Gegenstand zumindest ebenbürtig ist. Jellen, man kennt ihn, tut genau das, was er Gabriel vorwirft, nämlich »aus sämtlichen Positionen, die ihm nicht passen, einen Popanz« zu zimmern. Mehrfach wiederholt er den ziemlich ausgebrannten Witz vom Idealisten, der sich im Alltag, z.B. beim Überqueren der Autobahn, sehr wohl wie ein Materialist verhalte. Da paßt es auch ins Bild, daß Jellen ernstlich glaubt, mit der Bibel des gemeinen Menschenverstands, Lenins »Materialismus und Empiriokritizismus«, gegen Gabriels Ansatz etwas ausrichten zu können. Dieses Buch, gewiß nicht Continue reading »

Feb 142014
 

Homophobie und Naturrecht

Matthias Matussek hat öffentlich eingestanden, dass er krank ist.[1] Seine Diagnose: Homophobie. Behandeln lassen will er sich einstweilen nicht und erweckt vielmehr den Anschein, als hielte er sein Geständnis für einen Akt der Zivilcourage. Wie alle, deren Treiben um der Pose willen ist, verrät er dabei mehr, als er verraten will. Sein Text ist zunächst ein klares Bekenntnis, hernach gezielte Provokation des Betriebs, zugleich begrifflicher Wirrwarr und schließlich unkontrollierte Entladung von Abscheu und Vorurteilen. Es ist ekelhaft, aber kaum überraschend. Was will man auch erwarten von einem erwachsenen, nahezu alten Menschen, der von jener Weltgestalt, die Bur Malottke immerhin noch »dieses höhere Wesen, das wir verehren« genannt hat, stets als dem »lieben Gott« spricht, ganz so, als komme er eben mit frisch hochgezogenen Kniekehlenwischern aus der Sakristei, den tief befriedigten Blick des Vikars im Nacken. Continue reading »

Feb 052014
 

Klassik, durchaus ein historisches Phänomen, ist zugleich eine Art, die Welt zu begreifen, und daher über ihr Vorhandensein hinaus maßgeblich. Es bedarf nicht notwendig einer klassischen Lage oder der Herstellung klassischer Kunstwerke, um die Idee der Klassik, in Gestalt des klassischen Denkens nämlich, zu erhalten. Klassik zeugt sich fort im Urteil, was ja auch eine Art des Betreibens ist.

Die Elemente der Klassik sind bekannt: Affirmation, Aufhebung der Tradition, Idealismus und Vermittlung. Das klassische Denken ist affirmativ in dem Sinne, daß es nicht bei der Verneinung des Üblen stehenbleibt, sondern Negationen als bestimmte setzt, und nur in der konkreten Entgegensetzung Zufriedenheit erhält. Es bricht daher auf eine Weise mit der Tradition, die zugleich eine Art Fortsetzung derselben ist. Sein Zugriff auf die Welt ist spekulativ, und es glaubt an die Möglichkeit, mittels Continue reading »