Feb 142014
 

Homophobie und Naturrecht

Matthias Matussek hat öffentlich eingestanden, dass er krank ist.[1] Seine Diagnose: Homophobie. Behandeln lassen will er sich einstweilen nicht und erweckt vielmehr den Anschein, als hielte er sein Geständnis für einen Akt der Zivilcourage. Wie alle, deren Treiben um der Pose willen ist, verrät er dabei mehr, als er verraten will. Sein Text ist zunächst ein klares Bekenntnis, hernach gezielte Provokation des Betriebs, zugleich begrifflicher Wirrwarr und schließlich unkontrollierte Entladung von Abscheu und Vorurteilen. Es ist ekelhaft, aber kaum überraschend. Was will man auch erwarten von einem erwachsenen, nahezu alten Menschen, der von jener Weltgestalt, die Bur Malottke immerhin noch »dieses höhere Wesen, das wir verehren« genannt hat, stets als dem »lieben Gott« spricht, ganz so, als komme er eben mit frisch hochgezogenen Kniekehlenwischern aus der Sakristei, den tief befriedigten Blick des Vikars im Nacken.

Ich habe aus Gründen der Anschaulichkeit die Blüten dieses Irrgartens gepflückt und stelle sie denen, die keine Lust haben, ein Blatt aus dem Hause Springer anzufassen, hier aus:

Die Aussage, Homosexualität sei eine »defizitär(e) Form der Liebe«, soll für einen Kirchenmann eine Selbstverständlichkeit sein, schließlich lasse sich schon in der Bibel nachlesen, dass dem Menschen die Aufgabe zukomme, sich zu mehren. »Nun müsste man allerdings«, schreibt Matussek zum Gähnen ironisch, »die Bibel mal gründlich auf homophobe Tendenzen abklopfen«, und hält das offenbar für ein Argument, als ob nicht der Umstand, dass dieses historische Dokument neben allerlei anderem Quatsch auch homophobe Stellen enthält, von jeher bekannt und gar kein Streitpunkt wäre. Kirchenleute hingegen, die Homosexualität als abnorm, Sünde oder defizitäre Form der Liebe hinstellen, lassen nach Matussek lediglich »Präferenzen für den Normalfall von Ehe und Familie erkennen«. So werden die von Kirchenleuten als ethische Leitsätze formulierten Verdikte durch Matussek zu folgenlosen Privatmeinungen unbedarfter Mitmenschen herunterfrisiert. Und weiter: der Tatbestand sexueller Vorlieben (»Präferenzen«) mit der Meinung, andere Vorlieben seien abnorm, Sünde usw., gleichgesetzt. Heterosexuelle Orientierung wäre so formuliert dasselbe wie Homophobie.

Es hat nämlich, so muss man Matussek verstehen, nichts Fanatisches an sich, wenn einer aus persönlichen Präferenzen einen universell gültigen Maßstab zimmern will. Daher auch ist der vermeintlich Verfolgte der wahre Verfolger und die »Homophobie hat mittlerweile dem Antisemitismus als schlimmste ideologische Sünde den Rang streitig gemacht.« Der Wunsch, einmal wie Günter Grass durchs Dorf getrieben zu werden, ist unverkennbar. Nun denn, dann soll es so sein.

Vorsätzliche Tabubrecher müssen Wirkung erzielen. Es ist ein Handwerk, und Teil des Werkzeugkastens ist unbedingt die Simplifikation des Gegners. Wer die Gleichberechtigung der Homosexualität fordert, der tue das nur, weil er Unterschiede überhaupt abschaffen will, denn: »Alles ist gleich, morst unser gesellschaftliches Über-Ich unserm widerborstigen Es nahezu pausenlos zu«. So nämlich sind sie, diese Schwulenfreunde, sie lieben das Andere, weil sie wollen, dass alles gleich ist.

Es ist aber immer noch eine Steigerung des Abartigen möglich: »Homosexualität, Bisexualität, Transsexualität« – Sodomie, Pädophilie, Nekrophilie tadarummtata tadarummtata – »alles völlig normaaaal. Alles wurscht.« Normaaaal steht da, mit 4 a. Und aus einem Akzent, den der Autor offenbar auf dieses Wort legen wollte, wird unvermittelt ein Übergewicht, das hervorsticht wie ein dicker Bauch und auf die Art verrät, was Matussek über die Jahre an bitteren Gefühlen in sich hineingefressen haben muss.

Was für eine Befreiung nach all der Zeit! Damit durch flutsch alles, auch das Geständnis, »nach wie vor Reserven« zu haben, wenn er »im Fernsehen zwei schwule Männer« sieht, die ganz normale kleine Jungen adoptiert haben. Das Recht auf Bauchweh will er sich nicht rauben lassen, und schon gar nicht von der Macht der Vernunft:

»Ich lasse mir meine Gedankenfreiheit nicht nehmen, das gehört zu meinem Stolz als Publizist. Ich weiß, dass ich damit keine Beliebtheitswettbewerbe im ›Grill Royal‹ oder anderen Szene-Tränken gewinnen werde.« Hier stehe ich und kann nicht anders, doch sollte mich dennoch jemand widerlegen, so wird das ausschließlich daran gelegen haben, dass ich es gewagt hatte, eine abweichende Meinung zu vertreten. Sagt derjenige, dem abweichende Sexualität solchen Ekel verursacht, dass er sie als minderwertig bezeichnen muss:

»Was für ein Eiertanz um die einfache Tatsache, dass die schwule Liebe selbstverständlich eine defizitäre ist, weil sie ohne Kinder bleibt.« Liebe und Fortpflanzung, muss man wissen, ist nämlich ein und dasselbe. Vielleicht ist eine solch triste Reduktion ja wirklich die einzige Möglichkeit, ein puritanisches Gemüt zur Liebe zu bringen, und das, Gott steh uns bei, wäre tatsächlich eine defizitäre Form der Liebe.

Folgt man Matussek, hätten wir Menschen das, was wir in moralischer, sittlicher und menschlicher Hinsicht als vollkommen anzusehen haben, der Natur zu entnehmen und nicht etwa dem Menschlichen selbst oder doch zumindest dem Gesellschaftlichen. Wer auf die Natur pfeift, und tut, was ihm frommt, muss damit rechnen, von Matussek und seinen heißgelaufenen Brüdern als minderwertig bezeichnet zu werden. Denn ihnen zufolge soll der Mensch das Reich der Not nicht verlassen, weil im Reich der Freiheit (also der Gesittung) nur Unheil und Sünde droht. Ich habe mein Kontingent an schlechten Witzen heute bereits ausgeschöpft, bin aber dennoch geneigt, Matussek fürderhin Malthusek zu nennen. Aus der Luft gegriffen ist das nicht. Homophobie, wie mein Freund Rapoport unlängst bemerkte, ist die verklemmteste Form des Sozialdarwinismus.

Und da die Richtung einmal klar ist, schickt Matussek den weltbekannten Biologen Spaemann ins Rennen: »Das Natürliche ist auch moralisches Maß für die Beurteilung von Defekten. Nehmen Sie die Homosexualität: Die Abwesenheit der sexuellen Anziehungskraft des anderen Geschlechts, auf dem die Fortexistenz der menschlichen Gattung beruht, ist ein solcher Defekt. Aristoteles nennt das einen Fehler der Natur. Ich sage, es ist einfach ein unvollständig ausgestattetes Wesen, wenn es über die Dinge nicht verfügt, die zu einem normalen Überleben gehören.«

Darauf, dass moralische Maßstäbe nicht aus der Natur abgeleitet werden können, habe ich schon hingewiesen. Was bleibt, ist ein begriffliches Chaos als stets notwendige Voraussetzung für unredliche Absichten. Der Homosexuelle, zunächst, hat keinen Defekt. Er ist nicht unvollständig ausgestattet, um Sex mit Frauen zu haben, er tut es bloß nicht. Nicht, weil er nicht kann, sondern weil er nicht will. Aristoteles wäre also mit Aristoteles entgegenzuhalten, dass Homo- und Heterosexualität ein konträres und kein Privationsverhältnis besitzen.

Auffällig ferner ist der willkürliche Umgang mit den Gattungsebenen. Spaemann durchwürfelt drei Begriffsstufen: Natur, Gattung und Einzelwesen. Wenn ein einzelnes Wesen sich nicht fortpflanzen kann (oder will), ist es keineswegs defekt in Bezug auf die Eigenschaften, »die zu einem normalen Überleben gehören«. Denn ein einzelnes Wesen kann nur die Fähigkeit, selbst zu überleben, haben; die Fähigkeit, seine Art zu erhalten, kann es als einzelnes Wesen nicht besitzen. Dazu bräuchte es zumindest einmal ein zweites seiner Art. Ob es Nachkommen zeugt oder nicht, spielt für seine Selbsterhaltung aber keine Rolle. Die Fähigkeit der Arterhaltung ist hingegen eine Eigenschaft nicht des einzelnen Wesens, sondern der Gattung insgesamt. Die Natur wiederum juckt es nicht, ob diese Gattung überlebt oder jene ausstirbt. Es kümmert sie nicht einmal, ob sie selbst überlebt. Sie ist einfach nur da, und wäre sie es nicht, wäre auch nichts vorhanden, das ihren Verlust bedauern könnte. Spaemann greift also bei der Bewertung des natürlichen Einzelwesen gleich zweimal zu hoch, einmal in die Gattung, die eine Minderheit in der Fortpflanzung nicht aktiver Wesen durchaus vertragen kann, und einmal in die Natur, die jene moralischen Maßstäbe, die Spaemann und mit ihm Matussek aus ihr herauslesen wollen, überhaupt nicht besitzt.

Der Begriff des Defekts, um es kurz sagen, lässt sich nur dort in Anschlag bringen, wo ein Ziel vorhanden ist, und die Natur hat keine Zweckursache, was die Katholiken Spaemann und Matussek naturgemäß anders sehen. Die Abweichung von der Normalität wird von ihnen aus teleologischen Gründen als unnatürlich ausgegeben, obgleich doch ein jeder, der einmal Mendels Erbsen zählen musste, weiß, dass die Abweichung ebenso zur Natur gehört wie die Regel.

Die Folge der Spaemannschen Rabulistik ist, wenig überraschend, eine gemeingefährliche Haltung.[2] Dieselbe Umdeutung, die wir in betreff der Natur und ihrem Verhältnis zum Menschlichen finden, findet sich bei Matusseks Äußerungen zum Zwischenmenschlichen. Ihn motiviert, wie er offen eingesteht, die Abscheu gegen das Andere, das ihm Angst macht, gegen das er »Reserven« hat. Dies emotionale Überfordertsein bricht aus bis in Wortwahl und Sound seines Textes. Und es zeigt sich, wie schon erwähnt, in der willkürlichen Deformation der Argumente seiner Gegner. Aus Menschen, die für die Gleichberechtigung der verschiedenen Sexualformen eintreten, werden bei ihm Gleichmacher, Leute also, die keine Unterschiede ertragen können. Und, daraus folgend, wird der Verfolger zum Verfolgten und der Verfolgte zum Verfolger. Denn dass der Kampf für die Rechte von Homosexuellen zuweilen Idiotien hervorbringt, ist nicht durch sein Ziel bedingt, sondern dadurch, dass er von Menschen geführt wird. Menschen, wo ihrer nur ausreichend beisammen sind, neigen zum Unfug und natürlich auch dazu, das Richtige über sein Maß hinaus ins Absurde zu treiben. Matussek ist gründlicher, es reicht ihm nicht, aus dem Richtigen das Falsche zu machen, er setzt gleich ganz beim Falschen an.

Matusseks Vergleich mit dem Antisemitismus teilt mehr mit, als ihm selbst klar zu sein scheint. Jede hinreichend verbreitete Phobie erzeugt eine Kontraphobie. Es ist ein altes und perfides Spiel der Phobiker, den Kontraphobikern Phobien zu diagnostizieren und ihre eigenen Auswüchse als Reaktion, ja als Verteidigung gegen diese hinzustellen. Nein, Matussek: Zuerst war der Antisemitismus, und dann kam seine Bekämpfung; zuerst war die Homophobie, und dann ihre Bekämpfung. Gleichberechtigung zwischen verschiedenen Lebensentwürfen ist nur möglich, wo diese einander leben lassen. Es kann keine Gleichberechtigung geben zwischen Menschen, die leben wollen, und Menschen, die sie nicht lassen können. Es kann kein gleiches Recht geben zwischen der Existenz unveräußerlicher Eigenschaften und dem Wunsch, diese auszulöschen. Schwul sein ist eine Eigenschaft, Schwulenhass eine Entscheidung. Die Homophobie versteht sich als Verteidigung, aber sie ist ein Angriff. Der Kampf gegen die Homophobie ist eine Verteidigung, doch er muss als Angriff geführt werden.

Matthias Matussek scheint, wie alle seiner Sorte, getrieben von der merkwürdigen Angst, derjenige Lebensentwurf, der schon aus biologischen Gründen von der übergroßen Mehrheit bevorzugt wird, sei durch die Existenz anderer Lebensweisen bedroht. Als ob man das, was immer in der Mehrheit sein wird, eigens propagieren müsste. Das, und nichts anderes, ist der Hass des Durchschnitts gegen die Abweichung, der sich – wie anders? – als vom Terror einer Minderheit bedroht phantasiert.

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[1] Matthias Matussek: Ich bin wohl homophob. Und das ist auch gut so. In: Die Welt v. 12. Februar 2014.

[2] Man kann sagen, dass der Begriff der Natur, wenn er im Sittlichen angewendet wird, eigentlich immer gegen das Individuum gerichtet ist. Und damit gegen das Sittliche selbst, denn in der Vorstellung der Natur ist die Sehnsucht nach Organizität und Widerspruchsfreiheit ausgedrückt. Dass eben alles seine Ordnung hat, nämlich von jeher, dass man nicht daran rühren darf. Und auf solche Gedanken kommt man vor allem dann, wenn die Welt mittlerweile nicht mehr die Ordnung hat, die sie haben soll, dann nämlich, wenn man sich anderen Subjekten gegenüber zurückgesetzt fühlt und Angst fühlt, das durch sie vertretene Andere werde die Vorherrschaft erlangen.

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