Feb 052014
 

Klassik, durchaus ein historisches Phänomen, ist zugleich eine Art, die Welt zu begreifen, und daher über ihr Vorhandensein hinaus maßgeblich. Es bedarf nicht notwendig einer klassischen Lage oder der Herstellung klassischer Kunstwerke, um die Idee der Klassik, in Gestalt des klassischen Denkens nämlich, zu erhalten. Klassik zeugt sich fort im Urteil, was ja auch eine Art des Betreibens ist.

Die Elemente der Klassik sind bekannt: Affirmation, Aufhebung der Tradition, Idealismus und Vermittlung. Das klassische Denken ist affirmativ in dem Sinne, daß es nicht bei der Verneinung des Üblen stehenbleibt, sondern Negationen als bestimmte setzt, und nur in der konkreten Entgegensetzung Zufriedenheit erhält. Es bricht daher auf eine Weise mit der Tradition, die zugleich eine Art Fortsetzung derselben ist. Sein Zugriff auf die Welt ist spekulativ, und es glaubt an die Möglichkeit, mittels idealistischer Bewegungen die Welt zu begreifen, weil eine nicht-idealistische Art des Zugriffs ohnehin ausgeschlossen ist. Es weiß also um die Unzulänglichkeit des Denkens und stellt sich bewußt, als wäre das Denken es nicht. Sein Standort ist somit immer die Mitte. Das Partikulare wird überwunden, indem das Widerstrebende zusammengebracht wird. Es gibt kein Recht auf Einseitigkeit, Rationalität ist nichts wert ohne die Liebe, Fortsetzung des Bewährten nichts ohne die Neuerung, Notwendigkeit nichts ohne Freiheit, Freiheit nichts ohne Möglichkeit, Gleichheit nichts ohne Reichtum, das Ideal nichts ohne Wirklichkeit usw.

Die Abneigung der Klassik gegen die Einseitigkeit ist so stark, daß sie in dieser Frage selbst ein wenig zur Einseitigkeit neigt. Es gibt Gegenstände, an denen nichts aufzuheben ist, die durch und durch verdorben sind. Vor diesen Gegenständen, die tatsächlich nur einen kleinen Teil der Welt ausmachen, versagt das klassische Denken. Sie sind unter seiner Würde. Es gibt Jobs, die muß man der Aufklärung bzw. dem Kritischen Denken überlassen. Das betrifft alles, was im Elemente der Ideologie zu finden ist, die Formen des irrationalen Denkens und ihre, nicht selten, gefährliche Ausführung.

Das ist der beschissene Spagat, den ich hinzubekommen versuche. Auf der einen Seite, das Maßgebliche, Unveränderliche – die Kunst, die Liebe, Gott, die Welt und Logik –, auf der anderen Seite der Kampf gegen das Unzulängliche, Gemeingefährliche, Irrationale. Ich schreibe das, weil das Programm des Parnassos schon lange nicht mehr stimmt. Weil mich das ärgert und ich zugleich sehe, daß es keine Alternative gibt. Klassisch denken bedeutet, daß Eskapismus zur Herzensangelegenheit wird, und nichts eignet sich besser zur Flucht als ein schönes hohes Roß. Doch wenn man denn schon vom Pferd fallen muß, dann doch wenigstens nach links.

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