Feb 172014
 

Da nun zu allem Überfluß auch noch das nächste Sarrazin-Buch dräut, in dem sich der Autor dem linken Meinungskartell widmet und in einer breit beworbenen und mit Sicherheit medienpräsenten Erstauflage von 100.000 Exemplaren darüber ausläßt, daß man in Deutschland seine Meinung nicht sagen darf, ist die Gelegenheit für eine kleine Analogie schon aus Gründen der Selbstverteidigung ergreifenswert. Selbstverteidigung gegen einen Politclown, der sich als »Querdenker« anpreisen läßt, »der sich nicht scheut, unbequeme Wahrheiten auszusprechen«, und Sätze schreibt wie: »Wer bestimmt, was gesagt werden darf – und worüber geschwiegen werden muss?«

Der notorische Provokateur, der zum Medienbetrieb gehört wie der verhaltensgestörte Kristalltrinker zur Neuköllner Eckkneipe, ist für gewöhnlich bauernschlau. Er ahnt, was er tut, könnte es aber nicht auf den Begriff bringen. Er ist kein Meisterdenker, besitzt dafür jedoch instinktsicher eine Art Erfahrungswissen. Daß er selbst die eigenen Ideen nur zur Hälfte begriffen hat, kompensiert er dadurch, daß er sie ganz lebt. Routine ist alles. Als Sarrazin 2010 seinen Skandal hatte, fehlte ihm, obgleich auch damals schon hinlänglich erprobt, dieses Wissen. Von den ihm folgenden Provokateuren Grass und Matussek konnte er lernen, daß er einen elementaren Fehler gemacht hatte: das Versäumnis, sich selbst anzuzeigen.

Die prospektive Selbstanzeige ist das wichtigste Werkzeug im Repertoire des Provokateurs. Sie ist außerordentlich wirkungsvoll. Ein Autor placiert eine kalkulierte Provokation. Er weiß, oder ahnt zumindest, daß seine Äußerungen inhaltlich anfechtbar sind. Die Angst, nach Strich und Faden widerlegt zu werden, verlangt nach einem Schauspiel, um die Sinne des Publikums umzuleiten. Grassens Gedicht war so offensichtlich antisemitisch und Matusseks Schutzschrift so offensichtlich homophob wie Sarrazins Politeia rassistisch grundiert. Und wenn der Sachverhalt derart unstrittig ist, tritt die Prophezeiung des Provokateurs mit Sicherheit ein. Die prospektive Selbstanzeige ist das einzige Mittel, sich auf die verläßlich kommende Welle vorzubereiten. Es gibt in diesem Verfahren Differenzen, die von Grassens Man wird es mir vorwerfen bis zu Matusseks offener Selbstbezichtigung langen. Das Gemeinsame dieser Äußerungen ist, daß der Delinquent selbst den Vorwurf aufs Tableau bringt, daß er ihn äußert, bevor ein anderer dazu kommt. Das hat psychostrategisch einige Vorteile.

Zunächst bereitet sich der Provokateur dadurch selbst auf die Angriffe vor, lernt, mit ihnen umgehen und sich an sie zu gewöhnen, bevor sie da sind, und nimmt dem ersten Einschlag so die Wucht. Ferner erscheint er als schlau, weil er das Handeln seiner Gegner vorauszusehen in der Lage war. Seine Gegner hinwieder stehen als einfältig oder doch zumindest als berechenbar da, weil sie genau das getan haben, was über sie vorausgesagt wurde. Ob ihre Vorhaltungen berechtigt sind, ist zu diesem Zeitpunkt bereits so weit aus dem Blick gerückt, daß es auf die Frage, wer nun recht hat, durchaus nicht mehr ankommt. Den Gegnern des Provokateurs bleibt also die Wahl zwischen zwei Niederlagen: ihm das Feld zu überlassen oder ihn zu widerlegen und damit den Nachweis anzutreten, daß er, wenn auch nicht gleich in der Sache selbst, doch irgendwie auch recht hatte. Die Aufmerksamkeit des Publikums leitet sich um in ein Bewundern ob der einerseits klaren Voraussicht des Betroffenen und anderseits seines Mutes, etwas auszusprechen, das solche Reaktionen hervorrufen wird. Im Skandal erscheint der Provokateur zweimal als etwas, das er nicht ist; gleich einer Personalunion aus Heisenberg und Jeanne d’Arc, als erhabener Besitzer der Wahrheit und als eben dafür Verfolgter.

Die prospektive Selbstanzeige dient dazu, eine Meinung in eine Stimmung zu verwandeln. Sie ist ein Fall von politischer Romantik. Sarrazin hat ein Versäumnis nachzuholen und versucht das gleich zweimal, indem er die Mechanismen der Provokation im Medienbetrieb untersuchen wird, und indem er sich dieses Mal von Beginn an in die Rolle des Geächteten begibt. Das erste dieser beiden Vorhaben wird so sicher scheitern, wie das zweite glücken wird. Die Mechanismen der Provokation im Medienbetrieb kann niemand schlechter analysieren als der Provokateur selbst, und dennoch sollte man Sarrazin, Grass oder Matussek nicht unterschätzen. Intuitiv sind sie durchaus auf Zack. Natürlich wissen sie nicht, was sie tun. Sie wissen es nicht, aber sie tun es.

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