Mrz 152014
 

Die ständische Subjektivität des Steuerzahlers

»Ich bin aber kein Sozialschmarotzer, ich habe fünf Millionen an soziale Einrichtungen gegeben, 50 Millionen Steuern gezahlt. Ich will damit nicht angeben, ich will nur reinen Tisch machen.«

Manche wollen so manches nicht und tun es dann doch. Ich zum Beispiel will über Uli Hoeneß nicht breit werden, und das wäre auch nicht nötig, ginge es nur um diesen Gerichtsprozess. Der ist durch, mit einem gerechten Urteil, gegen das es, da die Gesetzlage eindeutig ist, nichts vorzubringen gibt. Zudem darf man beruhigt sein, denn der Ausnahmezustand ist vorerst abgewendet.

Die Sache hat zwei Seiten: Hoeneß selbst und die Gefühle, die er auslöst. Folglich gab und gibt es auch zwei Tendenzen der Berichterstattung. Eine mehr oder weniger moralische, die über Hoeneß urteilt, und – deutlich in der Minderheit – eine ideologiekritische, die sich mit der Stimmung gegen ihn beschäftigt. Letztere steht vom Niveau der Durchsprechebene her ein wenig über jener Mehrheit moralisierender Portraits eines gefallenen Erfolgsmenschen. Natürlich offenbart sich im Volkszorn gegen Hoeneß, wie das bei Volkszörnen einmal ist, viel reaktionärer Unsinn. Da mag Sozialneid im Spiel sein, die Wut des ehrlichen Steuerzahlers, Abneigung gegen den ewig siegreichen FC Bayern und das fiktive Kapital (denn es geht um nicht gezahlte Steuergelder auf Spekulationsgewinne).

Ideologiekritik ist eine seltsame Disziplin. Sie versucht die Welt zu erklären, indem sie von der Welt absieht. Sie schnüffelt im Denken der Menschen herum, in der Hoffnung, dem was entnehmen zu können. Das ist oft aufschlussreich. Was es nie ist, ist: vollständig. Merkwürdiger noch als die Ideologiekritik sind Ideologiekritiker. Ich spreche vom Übergang einer Methode in eine Masche. Wenn ein Ideologiekritiker einer massenhaften Abneigung ansichtig wird, richtet er seine Konzentration in der Regel auf die Subjekte der Abneigung und tendiert dazu, das Objekt nicht weiter zu beachten. Das Objekt ist aber nur sehr selten beliebig; es hat fast immer etwas an sich, das den Hass auslöst, also untersucht werden kann und sollte. Es kann seinen Ursprung im Objekt selbst haben, oder aber Resultat äußerlicher Einwirkung sein (eine reaktive Verhaltensweise bzw. eine ins Positive gekehrte, vom Objekt angenommene Rollenzuschreibung). Jedenfalls lohnt, den Blick auf den Gegenstand des Hasses zu richten, in manchen Fällen ebenso wie die Betrachtung derjenigen, die an ihm Abneigung empfinden. Doch gewiss ist es ungleich verwegener, gegen eine Massenhysterie anzuschreiben, als sich dem Verdacht auszusetzen, man schließe sich ihr an. Verwegener und bequemer, denn was sich gegen die Dummheit der Massen ermitteln lässt, schreibt sich fast von selbst und provoziert folglich seinerseits dazu, Trugschlüssen zum Opfer zu fallen. Im Fall Hoeneß mithin führt es vom eigentlichen Inhalt des Streits weg.

Uli Hoeneß, will ich sagen, trägt selbst eine Ideologie spazieren; er wird nicht nur für etwas genommen, er steht für etwas, und er hat sich ausgesucht, wofür er steht. Das, meine ich, ist das eigentlich Interessante an der vorliegenden Angelegenheit. Hoeneß ist ein Hybrid, nicht Fisch noch Fleisch. Er war ein guter, aber nicht herausragender Fußballspieler, dafür ein herausragender, aber nicht guter Fußballmanager. Als Spieler fehlte ihm die Technik, als Manager der fußballerische Sachverstand. Was ihn hier wie da beim Erfolg hielt, war ein Pragmatismus, der ihn direkt zum Tor ziehen und kraftvoll abschließen ließ bzw. einen seriösen Umgang in der Rechnungsführung des FC Bayern garantierte. Der Erfolg des Vereins geht auf eine solide Arbeit zurück, nur war sie eben nicht mehr als bloß solide. Es fehlte (bis 2009) die Strategie, die große Idee, das System, das die vorhandenen Möglichkeiten wirklich ausschöpft. Hoeneß weiß, wie man Geld macht, nicht, wie man es einsetzt. Auch die Würste, die er herstellen lässt, sind wahrscheinlich ess-, aber nicht genießbar.

Politisch ist Hoeneß ein Polterer mit Sendungsbewusstsein. In seiner zweiten Lebenshälfte war er (bis die Sache mit den Steuern rauskam) überpräsent in Interviews, Podiumsdiskussionen, Tagungen, Talkshows, und nicht nur in solchen, die sich um Fußball drehen. Man konnte Eindruck gewinnen, dass ein alternder Herr von der Überzeugung getrieben ist, seinem Land nach all dem wirtschaftlichen und sportlichen Segen, den er über es gebracht hatte, ebenso in politischer Hinsicht einiges mit auf den Weg geben zu müssen. Auch darin wieder war er wenig einig mit sich selbst. Neoliberal bis auf die Knochen erwies er sich dennoch als ein genuines Element der Volksgemeinschaft, pflegte, heißt das, nebenher eine Ideologie der Sozialpartnerschaft. Wie das geht, hat Hoeneß z.B. im September 2012 bei Günter Jauch demonstriert: Das Übel der Politik, lehrte er dort, sei die Zerstrittenheit der Parteien, die Deutschland lieber gemeinsam voranbringen sollten; die Linken seien Heuchler, der Staat müsse geführt werden wie ein Unternehmen, nicht die Einnahmen müssen erhöht, sondern die Ausgaben (vulgo: Sozialleistungen) gesenkt werden; es gehe darum, die Reichen im Land zu halten, damit sie ihm weiterhin zugutekommen. Was sich wie ein ulkiger Kompromiss zwischen Ron Paul und Willi Lemke anhört, entspricht ziemlich genau der Ideologie Ayn Rands, von der Hoeneß vermutlich nie eine Zeile gelesen hat. Muss er auch nicht. Was »Atlas Shrugged« lehrt, lehrt das Leben selbst, vorausgesetzt, man befindet sich auf dessen Sonnenseite.

Und nun also der Prozess und jenes weinerliche Bekenntnis pro domo, das eingangs zitiert worden. Hoeneß in Sachen Hoeneß – was für ein Stoff. Bei aller Komik aber ist das mehr als bloß eine Verteidigung. Es ist ein ganzes Weltbild, konzis zum Ausdruck gebracht. Hoeneß ist gut im Rechnen, und er rechnet: 27 Millionen hat er dem Staat vorenthalten, 50 gezahlt, 5 weitere gespendet. Macht 28 Millionen, die er der Welt geschenkt hat. Einfach so, und das ist jetzt der Dank.

Man weiß nicht, wo man anfangen soll. Vielleicht damit, dass das Kapitalverhältnis auf der Aneignung fremderwirtschafteter Produkte beruht, Hoeneß also, wenn er verteilt, durchaus nicht nur verteilt, was er selbst erarbeitet hat? Oder damit, dass das Geld, das einer als Steuern zahlt, gar nicht seins ist, sondern de jure schon immer dem Staat gehört? Oder gar damit, dass ein Unternehmer an vielen und wichtigen Stellen des Herstellungsprozesses von Steuergeldern profitiert? Ausbildung, Gesundheitsversorgung und soziale Leistungen der Angestellten, die für Hoeneß arbeiten, zahlt zu Teilen der Staat. Dass er Leute einstellen kann, die bereits lesen und schreiben können (und es nicht erst bei ihm lernen müssen) verdankt er ebenfalls den Steuern. Die Straßen, die Hoeneß nutzt, um die Welt mit seinen Würsten vollzumachen, können nur mit Steuergeldern instand gehalten werden. Die Strom- und Wasserpreise, die seine Firma an ihren Standorten zahlt, sind möglich durch Subventionen ganzer Zweige der Energiewirtschaft. Die Leute, die Hoeneß entlassen hat, erhalten ihre Arbeitslosenhilfe aus Steuergeldern, damit sie auch nach ihrer Entlassung noch Hoeneßwürste kaufen können. Und so weiter. Was Hoeneß vom Staate zugutekommt, ist also Wurst von seiner Wurst, wie es das Buch der Bücher im 1. Mose 2.23 vorgezeichnet hat.

Die Ideologie des steuerzahlenden Unternehmers rechnet dagegen mit zwei Maßstäben: Geht es um das Verhältnis zu seinen Angestellten, deren Mehrwert er sich aneignet, beruft er sich auf eine juristische Bestimmung, die das Angeeignete als sein Eigentum definiert. Die Arbeit gehört ihm, der Arbeiter verkauft im Lohnverhältnis seine Fähigkeit, Arbeit zu verrichten. Dieselbe Bestimmung wird vom Unternehmer jedoch als unverbindlich angesehen, wenn sie den Anteil des Staates an seiner Produktion betrifft, der sich ja betriebswirtschaftlich aus den genannten Gründen wie ein Investor zu seinem Unternehmen verhält.

Natürlich zahlt der Steuerzahler Steuern. Weil er muss. Doch wenn er, wie Hoeneß, das Steuernzahlen als eine Leistung für die Gemeinschaft ausweist, wenn er sich stellt, als stifte er damit Gutes, trage er so zum Gemeinwohl bei, dann bewegt er sich exakt in jenem inkonsistenten Kalkül, das eben beschrieben wurde. Hoeneß führt sich auf wie ein Bankräuber, der seinen Freispruch mit der Begründung fordert, er habe von den 77 Millionen im Tresor immerhin 50 liegen gelassen. Er stellt die gezahlten Steuern ernstlich neben seine persönlichen Spenden.

Und wie verhält sich wieder mit denen? Wie kann es denn angehen, dass einer der Allgemeinheit zugleich Geld vorenthält und spendet? Genau darin wohl scheint Methode zu walten. Hoeneß will selbst entscheiden, wer gefördert wird und wer nicht. Er, Hoeneß, weiß besser, wer sein Geld verdient hat, als der Staat es je wissen kann. Mit seinen Spenden verteilt er gleichsam Gunst. Das Sozialbewusstsein der Bourgeoisie perpetuiert Selbstgefälligkeit, und noch in der mitmenschlichen Geste sucht es das Gefühl der Macht. Subsidiarität ist nur ein anderes Wort für Unterwerfung.

Was den Empfänger des Geldes betrifft, macht es durchaus einen Unterschied, ob er Geld von einer Person oder vom Staat erhält. Wer die persönliche Spende an die Stelle der staatlichen Leistung stellt, tauscht einen gesetzlichen Anspruch gegen eine Gunsthandlung. Dem Bedürftigen aber steht sein Geld nicht nur unter Umständen zu. Es steht ihm unter allen Umständen zu. Das mag schwer zu verstehen sein in einer Zeit, da der Sektor der Sozialleistungen auf ein raffiniertes System niedrig entlohnter Zwangsarbeit geschrumpft wurde, aber der Umstand, dass der Staat seine Funktion nur noch dürftig erfüllt, macht seine performative Liquidation durch Gestalten, denen seine Reduzierung nicht weit genug geht, durchaus nicht besser.

Es ist so leicht, fasch verstanden zu werden. Man kann nicht ernstlich was gegen Würste oder den FC Bayern haben. Und der Fall hätte keine Betrachtung verdient, wenn nicht gerade die mediale Präsenz selbst ein Politikum wäre. Man muss es einmal sagen: Uli Hoeneß war in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten einer der wirkmächtigsten politischen Meinungsstifter im Land. Er betrug sich als moralische Instanz und Praeceptor Germaniae. Nur dass sein Weg über die Stammtische führte. Er übersetzte das Getöse des Kapitals ins Auerochsische, auf die Art der von jeher begriffslosen bürgerlichen Mitte verständlich werdend. Da sprach ein Mann, dem man, FC Bayern hin oder her, vertrauen konnte, der es zu was gebracht hatte. Kein Politiker, ein Unternehmer. Und, Polterer hin oder her, eine ehrliche Haut. Wenn der sagt, die Steuern müssen runter, dann doch, weil er weiß, wovon er redet.

Natürlich begreift Hoeneß nicht vollkommen, was das, was er redet, bedeutet. Das unterscheidet ihn z.B. von Ayn Rand. Aber in dem, was einer instinktiv tut, liegt ebenso gut ein Statement wie in dem, was er bei voller Reflexion täte. Auch ein unbewusster Ausdruck eines Wollens ist ein Ausdruck. Die Form einer Ideologie ist das Wesentliche an ihr. Hoeneß täte der Welt schon einen großen Gefallen, wenn er wenigstens darauf verzichtete, sich zu erklären. Scheiß auf das Gesetz. Meinetwegen hätte er gern freigesprochen werden dürfen. Die wichtigste Wirkung der Affäre um ihn war schon lange vorher eingetreten: Man kann heute am Tegernsee die Grillen wieder zirpen hören.

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