Feb 222017
 

 

Villeneuves »Arrival«

Wer breitbeinig flaniert, lädt dazu ein, dass man ihm in die Kniekehlen tritt. »Arrival«, dieser Film über die Sprache, das Universum und den ganzen Rest, scheint viel zu wollen. Daher darf man auch mehr von ihm wollen. Indessen ist, wer nicht vorhat, ihn wie einen gewöhnlichen Film zu behandeln, gezwungen anzugeben, wie er Filme gewöhnlich behandelt.

Es gibt eine Pest, insbesondere unter Cineasten, Filmwerke auf Realismus hin abzuklopfen. Wobei dieser Realismus nichts mit dem zu tun hat, was man vernünftigerweise darunter zu verstehen hätte. Die Bildung einer Kulisse nämlich, die zur Nachahmung von Welt geeignet ist, und diese Nachahmung sei kein Selbstzweck, sondern tatsächlich in Hinblick auf die Veranschaulichung menschlicher Haltungen eingerichtet. Kunst, insbesondere dramatische, spielt das Menschliche durch. Das ist, wofür sie da ist und was sie interessant macht. Sie muss nicht vollkommen sein im Sinne der Abbildung, nicht frei von Fehlern oder täuschend echt. Sie darf an Detailfragen wenig interessiert, gewiss auch poetisch und also unwirklich sein.

Die Pest, von der ich spreche, ist die Konzentration auf Wahrscheinlichkeiten, Anschlussfehler, Plot holes, fachliche Fehlgriffe und dergleichen. Ich hörte einmal einen Elektroinstallateur 15 Minuten lang darüber reden, warum ein bestimmter »Tatort«-Krimi, in dem ein Kurzschluss ein ganzes Haus lahmlegte, nicht funktionieren könne. Seither wechsle ich getriezt die Straßenseite, sobald mir ein Elektroinstallateur entgegenkommt. Der bloß negative Zugriff auf etwas (ein Kunstwerk nämlich), das eine zutiefst positive Angelegenheit ist (indem es Kunst und also gut gemacht ist, wie düster auch immer die Welt darin zu sehen sei), der stakkatoartige Versuch, ein Werk von allen möglichen Seiten her mit Nadelstichen zu Boden zu bringen, scheint oft genug motiviert durch die Not des ewig missachteten Nerds, die eigene Grandiosität bloß an der Entzauberung des Gutgemachten beweisen können. Denn die Abwertung des Anderen ist der leichte, der kindliche Weg der eigenen Aufwertung. Der, zu dem mans nicht besser können oder wissen muss. Man kann den Nerd aus dem Kinderzimmer holen, nur nicht das Kinderzimmer aus ihm. Sein Denken, soll das heißen, bleibt immer muffig, eng, unaufgeräumt. Folglich hat er keinen Sinn für die Unwirklichkeit des Genres, dafür, dass Film die Zeit dehnt und staucht, Räume und Perspektiven verzerrt und schon aufgrund seiner visuellen Mittel Innerlichkeit und Äußerlichkeiten, Einbildung und Tatsache ineinanderflicht, dass ferner Handlung überhaupt von Regelmäßigkeiten allein nicht leben kann und vielmehr das Unglaubliche glaubhaft gemacht werden muss, statt es vom Beginn weg zu bannen.

Dass es lebensfern ist, einem Kunstwerk Lebensferne vorzuwerfen. Wie wahrscheinlich konnte sein, dass Tommy Williams ausgerechnet zu Andy Dufresne verlegt wird, nachdem er sich woanders mit eben dem Mann die Zelle geteilt hatte, der den Mord an Dufresens Frau tatsächlich begangen hat? Kein Film, wie man sieht, der Taschenrechner glücklich macht. Warum geht Guy Haines nicht einfach zur Polizei? Na vielleicht schon deshalb, weil dann die Handlung vorbei wäre. Im Kunstwerk haben die Einzelheiten zumeist Zwecke, und wem das nicht behagt, der kann sich das Verhalten einer Figur immer noch psychologisch erklären. Guy Haines geht nicht zur Polizei, weil er Angst hat, dass ihm niemand glaubt, und weil er weiß, dass er im Grunde schuldig ist, auch wenn er keinen Mord begangen hat. Schuldig nämlich, den Mord gewollt zu haben. Menschen nehmen nicht immer den einfachsten Weg, oft treibt sie das Unbewusste an Orte, wohin ein anderer kaum ginge. Naturalismus braucht kein Mensch. Realismus braucht Wunder. Oder wie Hitchcock simpel erklärte: Film ist kein Stück Leben, sondern ein Stück Kuchen.

Ein Kunstwerk wird nicht dadurch groß, dass es keine Fehler hätte. Jedes Kunstwerk hat welche. Eine Handlung zumal ist ein so komplexes Geflecht von auseinander folgenden Abläufen, dass es nicht möglich scheint, sie ganz ohne logische Bruchstellen zu konstruieren, ohne Occasionales, ohne Verhalten, das allenfalls psychologisch erklärbar ist. Eher schon würde das übersteigerte Augenmerk aufs Austreiben noch des geringfügigsten Anschlussfehlers Energie von der Gestaltung des Ästhetischen abziehen. Das fehlerfreie Kunstwerk wäre vermutlich das Kunstwerk ohne Vorzüge.

»Arrival« aber, sagte ich, sollte genau so behandelt werden, wie ich gerade sagte, dass man einen Film nicht behandle. Das ist nicht gerecht, und ich hab auch gleich ein furchtbar schlechtes Gewissen. Denn dieser Film funktioniert als Kunstwerk. Sensibel gezeichnete Figuren, gestisch komponierte Musik, gewandte Kameraführung ohne Selbstverliebtheit, sparsamer Gebrauch von CGI (dem Schmierstoff dürftiger Handlungen), eine Fabel, die packt und dennoch erstaunlich ruhig erzählt ist. Regie aus einem Guss mit erkennbarem Sinn für bildsprachliche Ästhetik. Die Darsteller, mag sein, bleiben als zu durchwachsen dahinter zurück. Amy Adams und Michael Stuhlbarg haben ihre Rollen soweit im Griff; sonderlich schwierig sind ja nicht. Jeremy Renner kaufe ich keinen Physiker ab. Forest Whitacker spielt halt, was er kann, einen trägen Charakter. Herausragend allein ist Abbott. Oder Costello. (Ich kann die beiden nicht auseinanderhalten.)

Es sind mithin nicht die ästhetischen Eigenschaften, die an diesem Film verdrießen; im Gegenteil ist höchst bemerkenswert, dass er einen Stoff umkrempelt, der (von »The War of the Worlds« oder »Independence Day« geprägt) in aller Regel physisch ausgelegt wird, bei dem also Aktionen mehr zählen als Gedanken und die Absicht der Aliens bösartig sein muss, damit überhaupt etwas geschieht. Der so modellierte Plottypus kennt die Fremden allenfalls als Projektionsfläche und jedenfalls dunkle Masse, die nur dazu dienen kann, die entzweite Menschheit am gemeinsamen Feind wieder zu einen. Der Star der Alieninvasion ist somit nie die entstehende Beziehung der Menschheit zu einer möglichen Gegenmenschheit, sondern das Verhältnis der Menschheit zu sich selbst, wobei die Dominanz des Physischen (in der Abfolge: Invasion – Flucht – Gegenwehr) mit sich bringt, dass diese Beziehung nicht tiefgründig vorgeführt werden kann. »Arrival« nun fertigt am selben Stoff ein ganz anderes Plotmuster. Aus einer physischen Handlung wird Figurendramaturgie, der Dialog bekommt Vorrang vor den Aktionen, es interessieren Weltanschauung, Welthaltung, Sentiment und Erfahrungen der vorgestellten Personen, so wie es früher schon mit »The Day the Eard stood still« wenigstens versucht worden ist. Die Differenz beider Muster ist gut hörbar. Aus »Ich kanns nicht erwarten, E.T. endlich in den Arsch zu treten« wird »Stellen Sie sich vor, Sie wollen einen Satz schreiben, den Sie gleichzeitig auf beiden Seiten mit beiden Händen anfangen.«

Dennoch darf man diesen Film mit dem Verstand zu zerlegen. Jedes Kunstwerk muss an dem Anspruch gemessen werden, den es sich selbst stellt. Ich will ja keinen szientistischen Kult treiben. Selbst ein intelligenter Film funktioniert zuerst auf der Handlungsebene oder eben gar nicht. Was eine gelungene Handlung ausmacht, das sind nicht zuletzt authentische Figuren im Sinne der Einfühlung und Nachvollziehbarkeit ihres Verhaltens. Jeder Film vermittelt zugleich eine Aussage über die Welt. Die kann falsch sein, und seine Handlung dennoch brillant. Die Theorie, die »Interstellar« mitbrachte, war vulgär, die von »Red Lights« esoterisch. (Und vulgär.) Gleichwohl funktionieren beide Filme als Erzählungen. Aus irgendeinem Grund will mir scheinen, dass die Theorie in »Arrival« nicht Mittel, sondern Zweck des Unternehmens ist. Hier scheint tatsächlich was wie Wissenschaft beabsichtigt zu sein. Spielfunktion und ästhetischen Eigenschaften, das Ausproben des Menschlichen und das Erzeugen von Vergnügen – diese zwei wesentlichen Zwecke der Kunst sind hier bloß beiläufig. »Arrival« ist ein Gedankenexperiment und ganz aus Versehen auch Film.

Vorgeht das: Die Linguistin Louise Banks, die ihre Tochter verloren hat, wird zu einem außerirdischen Raumschiff gebracht, das, wie elf weitere, auf der Erde gelandet ist. Sie soll die Verständigung mit den Aliens ermöglichen. Es zeigt sich, dass die eine synchrone Art Syntax nutzen, und da Sprache das Denken bestimmt, nehmen sie Zeit anders wahr als die Menschen. Louise erlernt die Aliensprache, und das wirkt sich auch auf ihre Zeitwahrnehmung aus. So erhellt der Zusammenhang mit den seit Beginn des Films erratisch eingestreuten Erinnerungen an die Tochter. Diese Erinnerungen sind tatsächlich Erinnerungen an die Zukunft. An das, was erst noch passieren wird. Obwohl Louise um den frühen Tod ihrer Tochter weiß, entscheidet sie sich, sie zu bekommen.

Lassen wir das damit angedeutete erkenntnistheoretische Elend noch kurz vor der Tür und beginnen – man soll ja wertschätzen, was sich wertschätzen lässt – mit den Erinnerungen. Seltsam geklittert wirken die Passagen im Verlauf der Fabel. Bis zum Schluss, der sie erklärt, weiß man wenig damit anzufangen. Zugleich helfen sie dem Film ungemein. Die persönliche Geschichte von Louise nimmt mit und macht (sensibel in Szene gesetzt und gespielt, musikalisch konkordant getragen) die Figur erst tief. Ohne diese Tiefe behielte der Film das staubige Aroma einer Discorsi mit angeschlossenen Übungsszenen. Die Funktion der Flashbacks ist damit wirkungsästhetisch. Dramaturgisch ist sie nicht. Die Handlung wird durch die Erinnerungen kein Stück vorangebracht, und wo Erinnern und Handeln erstmals tatsächlich aufeinander wirken, wo aus den Rückblenden, meine ich, ein bestimmtes Handeln folgt, ist der Film praktisch vorbei, und die Wirkung besteht bloß in der Erkenntnis der Figur und einer wichtigen Entscheidung, die nicht mehr Teil des Films sein wird. Eine feinsinnige Pointe derweil dieses naturgemäß diktionslastigen Films ist, dass die persönliche Geschichte um Louise und ihre Tochter fast ausschließlich durch Bildsprache und Musik erzählt wird. Diese Passagen eines Films über eine außerirdische Sprache, die ohne Sprechen funktioniert, kommen mit sehr wenigen Worten aus.

Alles, scheints, in diesem Film hat Bedeutung. Das ist ein Lob, ich bin mir nur nicht sicher, ob es auch ein Vorteil ist. Die Handlung, die von der Ankunft der Außerirdischen in Gang gesetzt wird, eröffnet mit einer Episode, die man als Interpretation des Films durch sich selbst verstehen kann. Louise Banks bittet den Colonel Weber, der sich anschickt, einen ihrer Konkurrenten aufzusuchen, diesen Linguisten zu fragen, wie im Sanskrit das Wort für ›Krieg‹ laute und wie es am besten zu übersetzen sei. Als Antwort erhält er von ihm »gavisti« und als Übersetzung »Streit«. Banks hingegen meint, gavisti bedeute »Verlangen nach Kühen«. Auf die Art erfahren wir, dass sie als Übersetzerin den kulturellen Hintergrund der zu übersetzenden Sprache berücksichtigt, und diese Einstellung wird späterhin in der Kommunikation noch wichtig, nämlich bei der Frage nach den Absichten der Aliens. Banks wird dann die einzige Person sein, die darauf beharrt, dass »Waffe« unter bestimmten kulturellen Voraussetzungen auch »Werkzeug« bedeuten kann. Doch nicht bloß die zu übersetzende Sprache ist eine besondere Materie, sondern auch die, in die übersetzt werden muss, besorgt eine Vorzeichnung der Perspektive. Banks nutzt eine Metapher, die etwas witziger schon in »World War Z« zu hören war: Wenn man nichts als einen Hammer hat, wird jedes Problem zum Nagel.

So wie »Arrival« die Handlung anbahnt, ergibt sich ein ernstes Problem. Aus Diskurs und Überlegung muss eine Geschichte werden, es bedarf also einiger Konflikte zwischen den verschiedenen Akteuren. »Arrival« gewährt dem Forschungsproblem so viel Spielraum, dass die Fabel kaum gesellschaftlich werden kann. Ein paar Stereotype (der besorgte Soldat aus irgend einem der flyover states, der stets misstrauische CIA-Agent, der aktionswütige General im ferneren Osten – nur die Krankenschwester mit dem Herzen für die bessere Welt und der Alltagsverlierer, dem die Ankunft der Außerirdischen zur zweiten Chance wird, fehlen) könnten eine, wenn auch dürftige, Struktur stiften; sie bleiben kaum genutzt. Aufdrängt sich gleichfalls der Konflikt zwischen Wissenschaft und Militär. Auch er wird in »Arrival« kaum ausgespielt. Eine weitere Möglichkeit wäre, in Donnelly und Banks Naturwissenschaft und Sprache kollidieren zulassen. Passiert ebenfalls so gut wie nicht. Der Konflikt verschiedener nationaler Interessen wenigstens ist irgendwann da, doch Drama braucht Schauplätze, da Kämpfe einen Boden fordern, auf dem sie stattfinden. Eine Videokonferenz reicht da nicht aus. Alles, was sich gesellschaftlich nennen ließe, verpufft in »Arrival« sehr bald wie ein nassgewordener Knallfrosch.

Weil die Fabel nicht gesellschaftlich ist, wird sie esoterisch. Die Aufmerksamkeit des Films bleibt bis zum Ende bei der Sprache, dem Denken und überhaupt den Weltdingen. Das ist schon das Problem. Film kann Theorie nicht auf hohem Niveau treiben, schon technisch als Genre nicht, und noch weniger mit Rücksicht auf die Rezeptionssituation oder allgemein auf das Vermögen des Publikums. Also muss (will man fast sagen) die rationale Überlegung auf der Suche nach Höherem in höheren Blödsinn umschlagen. »Arrival« scheitert an seinen Ambitionen, mehr science als fiction sein zu wollen, und ich denke tatsächlich, dass der Film im ersten Teil zu flach und im zweiten Teil zu tief ist. Tiefe, die aus Plattheit folgt, kann nichts anderes sein als platte Tiefe.

Platt ist der linguistische Zugriff, tief-platt das Vorhaben, daraus eine ganze Ontologie abzuleiten. So wie die Ankunft der Aliens in der Welt des Films alles verändert, so ändert der Satz, dass die Art der Aliens, Syntax zu machen, ihr Denken beeinflusse, alles für den Film. Dass Sprache die Art zu denken beeinflusst, ist wahrscheinlich nicht falsch, gleichwohl hier gewiss ein ähnlich schwer zu durchdenkendes Problem vorliegt wie in dem, was durch die Erkenntnistheorie gegeben ist. Ob mit Denken das Denken untersucht oder in einer Sprache über Sprache gedacht wird – die Methode bleibt durch den Gegenstand korrumpiert, da sie ihm identisch ist. Man kann mit spekulativer Intuition auch das Schwerzudenkende im Kopf halten, nur »Arrival« lässt diesem Gedanken nicht den Spielraum, in dem er noch wahr sein könnte. Es geht hier offenkundig nicht darum, dass syntaktische Strukturen auf das Denken wirken können, dass sie einen gewissen Rahmen setzen, in dem Gedanken sich bewegen, sondern offenbar ist ein genetischer Zusammenhang behauptet: Die Sprache kam vor dem Denken, sie erst konstituiert es. Nur so lässt sich der radikale Zugriff verstehen, den die Syntax auf das Denken der Aliens haben soll.

Wir müssen, weil dieser Film seine erschreckend einfachen Fehler in komplizierter Gestalt vorträgt, den theoretischen Kern der Handlung noch einmal, und von der Handlung entkleidet, erinnern. Die Sprachlogik, die »Arrival« doziert, geht ungefähr so: Die Aliens kommunizieren ausschließlich über Schrift, zwischen Gedanke und Zeichen steht also kein Laut, den das Zeichen abbilden muss. Die Schrift der Aliens ist daher logographisch; sie trägt unmittelbar Inhalte oder Bedeutungen. Logogramme aber seien zeitlos, sie haben kein Ende und keinen Anfang. Daher nehmen die Aliens Zeit nicht linear wahr. Und daher kennen sie auch die Zukunft.

Das ist kein Witz, und witzig ist es auch nicht. So wirds gezeigt, und so gesagt. Eigenartig, wie possenhaft die Botschaft des Films wirkt, wenn man sie der filmischen Mittel entkleidet. Eigenartig, wie wenig dieser offenkundige Unsinn in den Kritiken des Films eine Rolle gespielt hat. Der erste Fehler liegt schon im Verständnis des Logogramms als zeitlos, insofern das einen signifikanten Unterschied zu unseren Grammatiken ausmachen soll. Der zweite Fehler in der Vorstellung, dass Sprache dem Denken schlechthin vorgelagert sein und dieses vollständig prägen kann. Und der dritte darin, dass diese für sich schon dürftige Erkenntnistheorie in ein ontologisches Verhältnis überführt wird, das gleich noch die Grenzen der Physik sprengt.

Ohnehin tun wir, erstens, beim Sprechen nichts wesentlich anderes als diese Aliens beim Zeichnen ihrer Logogramme. Wir bilden die Sätze nicht erst, indem wir sprechen. Grammatik ist eine Form, die verhindert, dass man einfach drauflos redet. Sie verhindert auch, dass man irgendwie weiterreden kann, wenn man einmal begonnen hat. Sprechen funktioniert durchaus intuitiv. Wir setzen uns nicht hin und überlegen uns, wie wir einen Satz aufbauen, und reden dann, nachdem wir ihn fix & fertig haben. Das Sprechen ist in uns wie im Pianisten das Fingergedächtnis. Wir nutzen, ähnlich dem Aoiden vor der Erfindung der Schrift, ohne begleitende analytische Überlegungen einige Routinen und Techniken, die unsere Sätze dem grammatischen Code entsprechend ausbilden. Die Form, in der wir einen Satz beginnen, gestattet und verbietet, ihn auf diese oder jene Weise fortzuführen. Wenn wir etwa sagen: »Ich frage mich …«, dann ist uns intuitiv klar, dass ein adverbialer Nebensatz oder ein Wort bzw. eine Wortgruppe in der Funktion eines Akkusativobjekts folgen müsste. »Ich frage mich, ob …«, »Ich frage mich, warum …« oder »Ich frage mich das schon lange …«. Konkrete Intentionen der Aussage erfordern bestimmte Modi, Aspekte, Tempora, die ihrerseits Formen sind und wiederum andere Formen verlangen und nach sich ziehen. Oder die Tmesis der Komposita in Nebensätzen zwingt uns, einmal begonnen, den Nebensatz in einer ganz bestimmten Struktur zu beenden. Oder der verschränkte Relativsatz, den zu erklären viel schwieriger ist, als ihn durch diesen Satz hier einfach anschaulich zu machen. Wir beginnen, soll das alles sagen, einen Satz zwar am Anfang, doch der Anfang eines Satzes enthält immer mehr als bloß den Anfang.

Zudem gibt es in den meisten Sprachen keine ganz feststehende Reihenfolge. Ein Wort folgt dem anderen, ein anderes folgt einem, und es bedeutet dasselbe. Dasselbe bedeutet es. Bedeutet es dasselbe? Nicht immer offenbar. Nur, die Möglichkeit verschiedener Anordnungen ist zugleich etwas, das die schroffe Gegenüberstellung diachroner und synchroner Satzbildung, die »Arrival« vermittelt, in Frage stellt. Der Sprechende weiß oft noch nicht, welches Wort genau er wählt; er geht indessen stets (unbewusst, weil durch Routine ermöglicht) mit der Absicht einer ganz bestimmten syntaktischen Konstruktion in jenes Abenteuer, das das Aussprechen eines jeden Satzes zweifellos ist.

Betrachtet man genau, wie die Logogramme in »Arrival« von den Aliens gebildet werden – sie malen sie, wie Tintenfische im Wasser, mit einer dunklen Substanz in ihren verschwommenen Raum –, sieht man, dass auch das Zeichnen Zeit in Anspruch nimmt. Was also allenfalls zeitlos sein kann, ist der Akt der Überlegung, der dem Akt des Schreibens vorausgehen muss. Ob Syntax und Wortwahl instinktiv, mittels Formeln, durch Grammatik oder analytisch vorgebildet werden, ist anhand der gezeigten Szenen nicht zu ermitteln. Der Film, aus der Perspektive der menschlichen Forscher erzählt, muss hier an der Oberfläche bleiben: dem Erscheinen des Logogramms, das von den Aliens mit Tentakeln in die trübe Luft gesprüht wird. Wenn also das, worauf der Film hinauswill, Sinn haben soll – nämlich die Behauptung, dass hier eine Sprache vorliegt, deren Sätze, anders als unsere, keinen Anfang und kein Ende haben –, dann bedeutet das entweder, dass Konstruktion und Erscheinen der Sprache in eins fallen (Sprache sich also vom Akt des Schreibens oder Sprechens nicht trennen lässt), oder es bedeutet, dass die behauptete Synchronität irgendwie vor dem Schreiben schon greift. Das erste, die Gleichzeitigkeit von Sprache und Äußerung der Sprache, ist logisch kaum haltbar, nicht bloß, weil der Film versäumt, auch bloß irgendeine, und seis eine saublöde, vermittelnde Erklärung abzugeben, wie das nun zu denken wäre, sondern auch, weil damit die Aliens als Wesen, deren Handeln eine Überlegung vorausgeht, unmöglich darstellbar sind. Sie wären bestenfalls als bloß instinktiv handelnde Wesen zu verstehen, die damit z.B. gar nicht adäquat auf Fragen reagieren können und in deren Denken, falls von Denken dann noch zu reden ginge, sowas wie Absichten (nach denen sie ja gefragt werden und worauf sie schließlich auch antworten) nicht vorkommt. Die andere Möglichkeit – dass die Gleichzeitigkeit von Bildung und Äußerung der Sprache irgendwie, wie auch immer, vor der Äußerung schon greife, ließe sich dagegen noch irgendwie denken, als rettende Erklärung der im Film recht lustlos hingerotzten Erscheinung einer ganz anders funktionierenden Sprache. Doch auch diese Erklärung wird in »Arrival« weder gegeben noch irgendwie gezeigt. Zudem fragt sich natürlich, wie sinnvoll die Vorstellung ist, die Synchronität in der Sprachäußerung könne die Ursache einer Synchronität in ihrer Tiefenstruktur sein, die aber ganz autark vor ihr schon greift.

Kaum weniger fahrlässig ist, zweitens, Sprache schlechthin vor das Denken zu setzen. Sprache und Denken sind aufeinander bezogen wie andere korrelative Kategorien – Form/Inhalt, Wesen/Erscheinung, Theorie/Praxis usf. –, die sich ohne einander schwer denken lassen. Die logische Beziehung zweier auseinander ableitbarer Begriffe allerdings als genetische Abhängigkeit zu verstehen, das ist nicht mehr als ein vulgäres Derivat jener kategorialen Beziehungen. Die Überzeugung, dass alles auf Sprache beruhe und von ihr durchdrungen sei, weil alles ihren Stempel trage, ist vermutlich der mächtigste Mythos der Neuzeit, seit man einmal beschlossen hat, dass Metaphysik langweilig und alles irgendwie Sprache sei. Seit das Religiöse die Quarantäne der Aufklärung durchlaufen hat und nicht mehr als Glaube erscheint, sondern als Äußerung der Vernunft. Nur liegt das Wesen des Religiösen in der Weise, wie der Inhalt behandelt wird, und nicht bloß im Inhalt selbst. Ganz unreligiöse Gegenstände können durch die Behandlung, die sie erfahren, zu religiösen gemacht werden. Dass Sprache so ziemlich alles durchdringt, was gedacht wird, lässt sich intuitiv kaum bestreiten. Die Idee, sie sei daher Grundlage des Leben oder etwas dergleichen, ist zunächst projektiv, weil sie abgeleitet wird aus der persönlichen Erfahrung des einzelnen Menschen, dass er sprechen konnte, ehe er richtig verstanden hat, dass die Lautbildung vor den geordneten Gedanken kam, Nachahmung also dem Verstehen vorgelagert ist. Was ihm persönlich geschah, muss nun gleich auch für die Welt gelten. Dabei wird in dieser Überzeugung, die so stark darauf beharrt, die Welt als durchdrungen von Sprache zu zeigen, die Sprache von der Welt abgetrennt und hypostasiert, was der Vorstellung der Durchdrungenheit gerade entgegenläuft.

Doch woher kommt denn Sprache? Sie ist unter den Menschen entstanden, über Jahrtausende hinweg, im alltäglichen Erleben der Umwelt, dem Durchsetzen des Menschen gegen die Natur, in der sozialen Interaktion, in den Dingen und Verhältnissen, die sich unmittelbar packen lassen. Zwischen Liebe, Krieg und Arbeit also, und ihre ersten Formen sind nicht abstrakt, sondern dem Anschaulichen entnommen. Es ist logisch, dass das erste Wort für Krieg »Verlangen nach Kühen« bedeutet und nicht »Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln«. Ebenso wie das altgriechische Wort für Gesetz ursprünglich »Weide« bedeutet. So sehr Sprache das Leben prägt und strukturiert, so sehr ist sie vom Leben geprägt und strukturiert. »Arrival« nimmt in Anspruch, ein Was-wäre-wenn zu denken, kehrt aber gar nicht, wie man dann müsste, in jenen reduzierten Zustand zurück, der, bereinigt von allen Prämissen, das Setting ausmachen könnte, die Welt anders zu denken. Die Aliens sollen irgendwann einmal eine Sprache ausgebildet haben, die nicht geeignet ist, ein Zeitverständnis zu entwickeln, und das habe funktioniert, obwohl diese Wesen Zeit – nämlich in Form des Ablaufs von Ereignissen – alltäglich erlebten und noch, wie der Film vorführt, in der Gegenwart erleben.

Zeit ist eine Messgröße für Geschehnisse. Wir neigen dazu, sie als etwas zu sehen, das einfach im Hintergrund abläuft. Diese Vorstellung abstrahiert davon, dass nicht Geschehnisse davon abhängen, in welcher Zeit sie passieren, sondern Zeit davon abhängt, dass etwas passiert. Zeit ist erlebtes Geschehen und wo auf eine Ursache eine Wirkung folgt, in der Erfahrungswelt also ebenso wie in der, die der Film uns zeigt, gibt es kein Erleben jenseits des Zeitlichen. »Arrival« bittet uns demnach zu glauben, dass eine Sprache sich originär und konstitutiv gegen die Alltagserfahrung insgesamt gebildet hat, was so absurd ist, dass man dem Film hier sein durchgängiges Versäumnis, irgendeine seiner merkwürdigen Erklärungen näher oder besser zu begründen, schon wieder fast als Vorteil anrechnen möchte.

Mit seinem ontologischen Twist geht er, drittens, vom Vulgären in mystisches Geraune über. Anders als die höheren Wesen in Nolans »Interstellar« stellen die Aliens in »Arrival« keine Gattung vor, die tatsächlich im Höherdimensionalen existiert, also dem Ablauf der Zeit nicht unterworfen wäre. Wenn sie eine Syntax haben, die sie Zeit als nicht-linear auffassen lässt, zugleich aber Lebewesen sind, die sich erkennbar in drei Dimensionen bewegen, dann ist das ein Widerspruch, den man zumindest einmal bemerken müsste. In »Arrival« rattert die Filmrolle munter darüber hinweg.

Die Aliens sind in der Welt, werden geboren, sterben irgendwann. Letzterm dürfen wir sogar bewohnen. Wer in der Zeit lebt, kann schonmal nicht die Zukunft kennen, weil das Wissen der Zukunft unser Handeln beeinflusst und damit die Zukunft ändert. Was man, Nichtlinearität weiterhin vorausgesetzt, von der Zukunft allenfalls kennen könnte (wenn man kann, aber lassen wir das), das wäre das Ensemble der Möglichkeiten, die sich aus einer Lage ergeben. Tatsächlich nicht-lineares Denken wäre eines in Möglichkeiten oder Wahrscheinlichkeiten, worauf ja einige Modelle zur Interpretation der Quantenmechanik immerhin abzielen. Nur »Arrival« zeigt nichts von dieser im Grunde modallogischen Vorstellung. Man lebt dort in der Zeit, und erlebt sie trotzdem nicht linear. Man weiß nur mehr über sie, aber dieses Wissen ist wiederum ganz linear. Friss das, oder geh Vin Diesel gucken.

Wie ernst »Arrival« diesen physikomystischen Klamauk nimmt, wird nicht zuletzt dort offenbar, wo Louise Banks durch die von ihr mittlerweile erlernte Sprache so beeinflusst wird, dass sie ihre herkömmliche Vorstellung von Zeit nicht bloß verliert, sondern zudem die Fähigkeit gewinnt, sich an die Zukunft zu erinnern. Wer eine solche Handlung konstruiert, behauptet bestenfalls nebenbei, dass syntaktische Muster logische Muster beeinflussen; seine eigentliche Botschaft ist, dass sie ontische Muster schaffen können.

Das ist zunächst schon insofern zum Wegsehen, als damit eine Unfähigkeit für eine Fähigkeit ausgeben wird. Synchron ist nicht mehr, sondern weniger als diachron; der synchrone Zugriff sieht von der Zeit ab, er geht nicht darüber hinaus. Aus dieser Unfähigkeit soll nun nicht bloß werden, dass die Aliens im Alltag, mit Zeit immer wieder konfrontiert, dennoch zurechtkommen, sondern dass sie ein höheres Verständnis von Zeit besitzen. Einfach weil ihre Syntax keinen Anfang und kein Ende kennt. Sie haben keinen Begriff von Zeit, also spielt Zeit für sie auch keine Rolle. Das ist die erkenntnisfeindliche Botschaft, die hochtoxisch aufgepumpte Aorta dieses Films, der sich als moderner Durchsprechmodus wissenschaftlicher Probleme spreizt.

Was passiert, wenn ich mir die Augen verbinde und durch die Straßen laufe? Ich stoße früher oder später gegen eine Häuserwand. Nach der Logik von »Arrival« kann ich dann durch Häuserwände laufen. Vielleicht ist das Schwerwiegendste, das sich gegen diesen Film vorbringen lässt, dies, dass er in einem fast das Bedürfnis weckt, einmal wieder Lenins »Materialismus und Empiriokritizismus« in die Hand zu nehmen. Diese unsäglich platte, abgezogene, hemmungslos vereinfachende, aber doch auf solch unzureichende Weise grundstimmige Schrift über das Verhältnis von Subjekt und Objekt, die mit jeder Zeile an die ebenso bodenständige und bloß falsch, weil zu einfache Lehrmeinung des Parmenides erinnert: Nur das Sein ist, und das Nichts ist gar nicht (DK 28 B 6). »Arrival« fällt in dem Bedürfnis, schlauer als diese platte Gewissheit sein zu wollen, in ein verstiegenes Modell von Sein & Zeit und damit noch hinter diesen Stand zurück. Denn nicht alles, was komplizierter ist als das volkstümliche Denken, hat deswegen auch schon mehr Sinn.

Sollte wer um eine Genrebestimmung für »Arrival« verlegen sein, dem könnte der Begriff der Wissenschaftsgroteske vorgeschlagen werden. Es ist indes davon abzuraten, ein Vieh zu klassifizieren, ehe nicht mindestens zwei davon auf der Welt sind. Hoffen wir drum auf ein munter vorgreifendes Artensterben. Und denken daran, dass Captain Picards wunderschöne Erschließung einer ganz anderen Sprache in »Darmok« (season 5 episode 2) auch nach Jahrzehnten noch nicht in Nahuatl synchronisiert vorliegt.

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