Feb 182014
 

In den Wochendbeilagen der jungen Welt führt Reinhard Jellen eines seiner rübensirupzähen Standgerichte in mehreren Teilen durch. Das Opfer diesmal, sehr löblich, Markus Gabriel. Allerdings schafft Jellen es, noch hinter den zurückzufallen. Die sicher dringende Dekonstruktion jener merkwürdigen Ansichten Gabriels, die von Presse und Eigenwerbung in kraftmeierischer Anmaßung als neu und revolutionär bezeichnet wurden, sollte auf einem Niveau vonstatten gehen, das dem Gegenstand zumindest ebenbürtig ist. Jellen, man kennt ihn, tut genau das, was er Gabriel vorwirft, nämlich »aus sämtlichen Positionen, die ihm nicht passen, einen Popanz« zu zimmern. Mehrfach wiederholt er den ziemlich ausgebrannten Witz vom Idealisten, der sich im Alltag, z.B. beim Überqueren der Autobahn, sehr wohl wie ein Materialist verhalte. Da paßt es auch ins Bild, daß Jellen ernstlich glaubt, mit der Bibel des gemeinen Menschenverstands, Lenins »Materialismus und Empiriokritizismus«, gegen Gabriels Ansatz etwas ausrichten zu können. Dieses Buch, gewiß nicht das beste Lenins, gehört so sehr in die Geschichte der Philosophie wie Voltaires »Candide«. Es ist der Versuch, falsche Ideen unter Niveau zu kritisieren und eine richtige Idee unter Niveau durchzusetzen. Es ist ein politisches Buch, geschrieben für die ungeschulten Horden eines rückständigen Zarenreichs. Eine Leserschaft, für die, obgleich sie nicht mehr ist, auch Jellen schreibt.

Markus Gabriel leugnet nicht, daß es die Welt gibt. Er leugnet, daß es eine Welt gibt. Er attackiert unseren Begriff ihrer Einheitlichkeit. Das wäre der Punkt, an dem eine Widerlegung anzusetzen hätte. Und sie hätte, auch im Rahmen einer langen Serie kurzer Zeitungsartikel, sich mit seinem logischen Kalkül und dessen Fehlerstellen auseinanderzusetzen. Außerstande zu entscheiden, ob es eine, zwei oder 42 Welten gibt, weiß ich doch so viel, daß es nicht einen Dialektischen Materialismus gibt. Ihn nämlich gibt es mindestens zweimal. Einmal als objektivistische Maßgabe eines methodisch nicht festgelegten Philosophierens, einer Maßgabe also, die durch verschiedene Zugriffe und Verfahren, die vor allem in sich schlüssig sein müssen, durchgesetzt werden kann. In diesem Sinne ist der Idealismus Hegels ebenso materialistisch wie das Leibnizsche System, der Substanzbegriff Spinozas, die philosophischen Studien Lenins oder die Vermittlungsversuche eines Hans Heinz Holz.

Die andere Spielart des Dialektischen Materialismus ist diejenige, die sich nicht nur im Erkenntnisziel, sondern auch in der Methode und vor allem bereits in den Prämissen festlegt. Sie ist der Versuch, den Materialismus als unhinterfragtes Dogma zu installieren und das cogito ergo sum Descartes zu umgehen, das der Anfang alles Philosophierens sein muß, denn das Subjekt muß bei sich selbst ansetzen, es kann Objektivität nicht voraussetzen, sondern muß diese aus der Bewegung des Gedanklichen gewinnen. Zu dieser Form des Dialektischen Materialismus zählt Lenins »Materialismus und Empiriokritizismus« ebenso wie die Auffassungen von Dietzgen, Engels, Shdanow, Rugard Otto Gropp und im Grunde aller unbedarften Autodidakten, die glauben mitreden zu können, weil sie einmal in den ersten Kapiteln des Anti-Dühring geblättert haben.

Der Dialektische Materialismus jener zweiten Lesart ist nichts weiter als der Reflex des gemeinen Menschenverstandes auf die nie ganz auflösbare Paradoxie von Subjekt und Objekt. Das grundlegende Problem der Erkenntnis, daß etwas geleistet werden soll, das über das Denken hinausreicht, aber ausschließlich im Medium des Denkens geleistet werden kann, läßt sich nicht umgehen durch Hinweise auf befahrene Autobahnen oder den Versuch, den notwendigen Beginn des Denkens bei sich selbst zu übergehen.

Sorry, the comment form is closed at this time.