Dez 222016
 

Opportunismus und Reife

Wahrscheinlich ist es ein Fehler, beim Opportunismus immer gleich an Diederich Heßling zu denken. Er ist zwar stumpfsinnig und eine Petze, doch der eigentliche Opportunist ist Napoleon Fischer, der schlaue, der witzige, der durchaus nicht servile. Opportunismus ist Verrat, Opportunismus ist Fall. Es kann nur Opportunist sein, wer einmal Idealist gewesen ist. Erst dort, wo eine politische Idee verwirklicht werden soll, wo einer was will, das über das Bestehende hinausweist, geht von Opportunismus zu sprechen. Keine Destruktion ohne Konstruktion. Wer Visionen hat, solle zum Arzt gehen, sagt Helmut Schmidt und trifft damit auf verdrehte Weise. Wer Visionen hat, hat immerhin noch einen Grund, den Arzt aufzusuchen; wer keine Visionen hat, braucht nicht deswegen nicht zum Arzte zu gehen, weil er etwa gesünder wäre, sondern er kann sich den Besuch schenken, weil er schon lange tot ist, ehe er stirbt.

Da sie keinen anderen Inhalt hat als die Rücknahme einer Idee, ist die opportunistische die unsympathischste aller politischen Haltungen und wundersamerweise die zugleich am meisten verbreitete und am wenigsten beliebte. Der Widerspruch erklärt sich aus dem üblichen Widerspruch zwischen Denken und Handeln. Der Politiker, der in die Tagespolitik eintaucht, glaubt, sein Handeln kontrollieren zu können. Er weiß theoretisch, dass Zugeständnisse zum politischen Geschäft gehören und dennoch gefährlich sind, glaubt aber, die Sache im Griff zu haben, weil die Zugeständnisse, die er macht, stets klein bleiben. Er übersieht, dass Opportunismus niemals beim Grundsätzlichen beginnt, sondern immer im Kleinen. Er übersieht auch, dass Opportunismus niemals beim Grundsätzlichen aufhört, sondern ebenfalls immer nur beim Kleinen. Der Opportunist verlässt seine Grundsätze und kehrt nie wieder zu ihnen zurück. Wohin nicht zurückgekehrt wird, kann oder muss auch nicht geändert werden. Und irgendwann scheint ihm, was ursprünglich sein Selbstverständnis ausgemacht hat, ganz fremd. Jede opportunistische Handlungsweise hat einen unbewussten Anteil. Es liegt in der Natur der opportunistischen Bewegung, dass diejenigen, die sie vollziehen, von Beginn an wissen, was sie da treiben, es aber in ihrem Treiben nicht durchschauen, sich von Einzelheit zu Einzelheit, von Zugeständnis zu Zugeständnis, hangeln, und dann trotzdem nicht überrascht sind, wenn das, was sie eigentlich immer wussten und nur wieder vergessen haben, sich schließlich doch vollzogen hat. Als sie es hätten verhindern können, war es ihnen nicht klar, und jetzt, da es ihnen klar ist, wollen sie es nicht mehr verhindern.

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Gemeinhin wird Opportunismus als moralisches Problem verstanden. Das ist etwas simpel, denn die Moral kann der opportunistischen Bewegung ebenso gut entsprechen. Die Wurzeln des Opportunismus jedoch im Praktischen zu verorten scheint zunächst sinnvoll. In der Tat hat er viele Wurzeln und liegen die meisten davon in der Gewohnheit. Die schnödeste Form ist der Wunsch nach Erwerb. Das pekuniäre Motiv liegt so sehr auf der Hand, dass sich hierzu beim besten Willen nichts Weiteres denken lässt.

Eine andere Wurzel ist die Saturiertheit bzw. die Müdigkeit, die sich im fortschreitenden Alter – beim einen früher, beim andern später, bei manchen, kann sein, nie – einstellt. Es ist anstrengend, sein Leben lang zu schreien. Die Wut weicht der Gewöhnung oder kann sich mangels Kraft nicht mehr vernehmlich machen. Das ist überall dort der Fall, wo die Motivation, Politik zu machen, aus dem Gefühl kommt und nicht aus der Überlegung.

Eine dritte Wurzel liegt in der immermächtigen Begierde, die Marginalisierung durch das gesellschaftliche Umfeld zu überwinden. Die Marginalisierung ist durch den erwähnten Idealismus, also das Vertreten einer Utopie begründet. Wer über die Gegenwart hinausdenkt, bringt sich unvermeidlich in die Stellung des Außenseiters. Und diese Stellung führt wechselwirkend zum Bedürfnis, aus der Ecke, in der man steht, herauszukommen, bedeutend, wichtig, anerkannt zu sein. Der Wunsch, in der Gesellschaft anzukommen, zeigt sich nicht bloß als Bedürfnis nach gesellschaftlicher Macht: Man ändert Schritt für Schritt seine Inhalte, um sich mächtigeren Bündnispartnern anzudienen, und irgendwann hat man zwar die Macht, steht aber, und weiß nicht wie, in seinem Anliegen gewendet. Das gilt für Aktivisten von Einheits- oder Querfronten ebenso wie für sogenannte Realos, das meint: Reformisten, die sich mit dem Establishment einlassen. Das Ankommenwollen zeigt sich dabei zugleich in der ganz persönlichen Eitelkeit – dem Bedürfnis, öfter bei Christiansen zu sitzen als die Parteigenossen, ein gefragter Rhetor zu sein, vom Chef der christdemokratischen Senatsfraktion auf den Fluren des Rathauses gegrüßt zu werden, bald regelmäßig Einladung zu informellen Treffen ausgesuchter Politiker und Lobbyisten zu erhalten, auch im Ausland ernstgenommen zu werden oder in den Genuss des besonderen Vertrauens zu kommen, das es wohl bedeutet, wenn man dem Geheimdienstausschuss des Bundestags angehören darf.

Die vierte Wurzel will ich allmähliche Desorientierung nennen. Die Spannung zwischen langen strategischen Zielen und den kurzfristigen Maßnahmen der Tagespolitik ist überall, und ebenso allgemein ist die Unfähigkeit der meisten Menschen, darin Kurs zu halten. Man versinkt unweigerlich in der Tagespolitik, vergisst die Prinzipien, oder formt sie sich immer weiter dem eigenen Treiben an. Ausnahmen, die einmal gemacht werden, geraten zu Präzedenzfällen und so irgendwann zur Gewohnheit. Die große Schwierigkeit, konkrete Politik zu machen, die sich dennoch irgendwie treu bleibt, ist wie das Wandeln auf einen Bergkamm, wobei die einen zur Seite eines hemmungslosen Pragmatismus hinabsinken, während die anderen in ihrer Sehnsucht nach einem Handbuch, das ihnen die Sicherheit gäbe, sich stets richtig zu verhalten, in äußerste Haarspalterei nicht minder hinabsinken und dazu übergehen, anstelle konstruktiver politischer Arbeit permanent Mauern, Verbote u.ä. zu errichten. Die sich also, anstatt ihren Weg zu gehen, nur noch damit befassen, welche Wege man nicht gehen soll. Das Problem hierbei ist, dass es ein Handbuch, das einem sagt, wann und wo genau der eine Schritt zu viel getan ist, nicht geben kann. Diesen einen Schritt erkennt man erst, wenn er ansteht, oft erst, nachdem man ihn gemacht hat. Vernünftige Politik, will ich damit sagen, ist ein permanentes Rücknehmen und Eindämmen der eigenen Entscheidungen und von außen nicht immer leicht vom Opportunismus zu unterscheiden.

Schließlich, fünftens, hat der Opportunismus auch eine technische Seite. Wenn man Politik macht, nimmt man am gesellschaftlichen Diskurs teil. Man ist also in dem Zwang, verstanden werden zu müssen. Da ist es einfach praktisch, seine Sprache anzupassen: Allzu komplizierte Herleitungen vereinfachen, aktuelle Themen besetzen, falsche Begriffe übernehmen. Unter letzteren verstehe ich gefühlsschwangere Wortkeulen, die stets einseitig gefasst und Teil des offiziellen Wertesystems sind und eine ebenso abwehrende wie verdeckende Funktion haben: freiheitlich-demokratische Grundordnung, Friedenstruppe, Rechtsstaat, Diktatur des Proletariats, Volkseigener Betrieb, Arbeitgeber, Sozialpartner, Pressefreiheit usw. Das Problem hierbei ist, dass Sprache die Form des Denkens ist, und die Änderung der Form den Inhalt beeinflusst. Also ändert sich im Gebrauch simpler Kampfbegriffe auch das eigene Denken. Hinzu kommt, dass kein Mensch in der Lage ist, anhaltend zu lügen, ohne nicht selbst irgendwann ein wenig daran zu glauben. Und so passiert es, dass der politisch aktive Mensch, der vermeiden will, sich in Grundsatzdiskussionen festzufressen und immer wieder dieselben Dinge richtigstellen zu müssen, schon aus Gründen der Kräfteökonomie eine Denkweise annimmt, die zunächst formal und schließlich auch im Inhalt dem Denken der Zeit entspricht und ihm endlich viel mehr Kräfte raubt, als er je hätte einsparen können.

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Allerdings hat es mit dem Opportunismus auch was auf sich, das über die Sphäre des Praktischen hinausgeht. Er erscheint nicht nur als Prinzipienlosigkeit, er ist auch ohne Begriff. Diese stete theoretische Unterbelichtung verführt zu dem Gedanken, den Opportunismus als eine Spielart politischer Dummheit aufzufassen. Tatsächlich gehört er, meine ich, da nicht hin.

Es gibt in derjenigen Politik, die über die Verwaltung des Bestehenden hinauswill, zwei Weisen, die Mitte zu verfehlen: eine rechte und eine linke. Die linke besteht darin, frei von jeder politischen Urteilskraft einer als wesentlich schlecht empfundenen gesellschaftlichen Realität ein nur aus dem subjektiven Empfinden heraus begründetes Nein entgegenzusetzen. Der linke Radikalismus hat zumeist die höchsten Absichten, aber er hat, wo es drauf ankommt, die schlimmste Wirkung, und da, wo es nicht drauf ankommt, die läppischste. Er ist also gefährlich, und, wo nicht gefährlich, Quatsch. Sollte man eine Münze prägen wollen, deren eine Seite den blödelnden Terrorismus und deren anderen Seite den terroristischen Blödsinn herzuzeigen hätte, so müsste auf jener ein Kopf von Mao und auf dieser einer von Dutschke zu sehen sein.

Die andere Weise, alles falsch zu machen, ist die Rechtsabweichung, das also, was man Opportunismus oder Sozialdemokratie nennt. Ist das Problem des linken Radikalismus, dass seine Vertreter zwar die besten Absichten, aber keine Kenntnisse und kein Urteilsvermögen besitzen, so gilt für die Vertreter der rechten Position das Umgekehrte: Sie haben (mehr oder weniger) die Kenntnisse und (mehr oder weniger) das politische Urteilsvermögen, was ihnen aber (eher mehr als weniger) fehlt, ist der Wille.

Beiden Positionen können dabei bestimmten Altersgruppen zugeordnet werden. Es gibt gewiss Ausnahmen; jeder kennt altlinke Schlachtrosse, die seit dreißig Jahren auf ihren Kram hängengeblieben sind, und jeder kennt altkluge Schnösel, die mit aufgerundet keiner Lebenserfahrung pragmatisches Blech über das Wesen der Politik absondern. Die mit der Abwendung vom linken Radikalismus zu früh kommen, indem sie in den Einfluss von Menschen geraten, die ihren Radikalismus aus eigener Kraft überwunden haben, deren Haltung sie aber bloß nachahmen und nicht verinnerlichen können und daher die Bremse nicht finden. Jemand, der Reife vor der Reife erlangt, begreift vielleicht nie, was es bedeutet, reif zu sein. Der Verstand wär wohl noch in der Lage, das Leben zu bewältigen; der Charakter aber macht die Erfahrung der praktischen Grenze nicht, wo Utopien vorschnell über Bord geworfen wurden. In der Regel gilt dennoch: Junge Menschen stehen links, ältere Menschen weiter rechts. Oft sind es ja ein und dieselben, so dass sich sagen lässt, dass die junge Linke eine Mehrheit im behirnten Teil ihres Jahrgangs bildet und die später nach rechts Driftenden die Mehrheit dieser Mehrheit ausmachen.

Zu keiner Zeit nun klafft im Geist des Menschen eine so große Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit wie in seiner Jugend. Zu keiner Zeit ist das Bedürfnis, die Welt zu verstehen, so groß, und zu keiner Zeit das Wissen über sie so schmal. Zu keiner Zeit wird heftiger gefühlt, dass man in die Praxis springen muss, und zu keiner Zeit weiß man weniger darüber, was man von Menschen erwarten, und vor allem, was man ihnen zumuten kann. Aus der Lücke erklärt sich die komische Lage der Jugendlichen, dass sie es nämlich nicht lassen können, über die Welt als ganze zu theoretisieren, wenngleich sie doch am wenigsten dazu geeignet sind. Aber dass sie es tun, ist natürlich und gut. Die Irrtümer, die hierbei begangen werden, machen endlich reifer und klüger. Kinder brauchen Zeit, aber man sollte – nur Herbert Grönemeyer weiß das nicht – unterlassen, ihnen unterdes lebenswichtige Entscheidungen in die Hände zu geben. In der Theorie ist, wo es nicht wehtut.

Wenn allerdings einer, der nichts von der Welt weiß, eine Theorie über sie baut, wird sie nicht anders als sehr einfach sein können. Eine These reicht einem jungen Menschen oft schon aus, um mit ihr die ganze Welt zu erklären. Meistens sind es drei bis vier Grundannahmen, selten mehr. Sinnvolles kommt dabei bestenfalls durch Zufall heraus. Wie auch, ohne Kenntnisse? Ebenso gut könnte man ein Haus bauen wollen ohne Baumaterial. Doch die eigentliche Funktion solcher Theorien ohne Material ist nicht, wie ihre Urheber selbst glauben, mit ihnen die Welt zu erklären. Die eigentliche Funktion besteht darin, dass die jungen Menschen sich mit ihren Theorien etwas schaffen, woran sie sich festhalten können. Sie schützen sich gegen die Mannigfaltigkeit der Erscheinungswelt, gegen die Widersprüche und den Schmutz des Lebens, denn sie leiden an dem, was André Müller mit dem Blick auf den fabelhaften Prinzen von Dänemark als »Reinheitskomplex« bezeichnet hat. Sie haben dieses Bedürfnis nach Einfachheit und Festigkeit, und ohne zu begreifen, dass sie beim Theoretisieren im Grunde nur diesem Bedürfnis nachgeben, geben sie ihm nach. Die Unsicherheit kommt auch daher, dass junge Menschen ihren Platz in der Welt noch nicht kennen, dass hinsichtlich ihrer Begabungen noch nicht offenbar ist, als wie groß sie sich tatsächlich erweisen werden. Das Gespür für die eigenen Mängel, das unvermeidliche Defizit an Erfahrungen, Wissen und Reife wird kompensiert durch Radikalität. Reife kann, wie gesagt, nicht erzwungen, nicht hier und jetzt zum Abschluss gebracht werden. Also versucht der junge Linke den Mangel, kein guter Linker sein zu können, dadurch zu kompensieren, dass er der linkste der Linken ist. Das ist ein allgemeines Problem vorweggenommener Haltungen. Dort, wo sie zuerst imitiert werden müssen, weil die Lebenserfahrung noch nicht genügend Material angehäuft hat, sie selbst zu bauen.

Je älter man nun wird, desto mehr nimmt das Wissen zu, und es wird, wenn die Vernunft nicht im selben Maße mitwächst, immer schwieriger, das expandierende Wissen mit den einstudierten Theorien unter einem Hut zu halten. Auch wenn dauerndes Theoretisieren eine gute Übung ist – solange das Wissen wenig Umfang hat, wird die Vernunft nicht wirklich beansprucht. Erst dort, wo man in Erklärungsnot gerät, wo einem zu jeder Erklärung schon selbst die treffenden Gegenargumente einfallen, ist das Denken gezwungen, Vermittlung zu leisten, erst dort wird es wirklich auf die Probe gestellt.

Damit kann man auf verschiedene Weisen umgehen. Der eine reagiert auf das Nichthinreichen seiner Vernunft, indem er den Erwerb von neuem Wissen möglichst zu verhindern sucht, was sich in der Ausführung allerdings nur schwer bewältigen lässt und somit die Bissigkeit erklärt, mit denen Dogmatiker auf Informationen (Zeitungsmeldungen, mündliche Nachrichten, neue Sachbücher usw.) reagieren, die das in Frage stellen, was sie zu wissen meinen. Die Kenntnisnahme solcher Informationen zwänge sie, sich erneut mit dem zu beschäftigen, was sie längst abgeschlossen haben. Ein anderer reagiert drauf, indem er sich im Gehirn zwei Bereiche schafft: einen für die Weltanschauung, einen für das Wissen. Er hält also ganz einfach und stur an dem fest, von dem er eigentlich weiß, dass es falsch ist.

Ein dritter reagiert, indem er seine Weltanschauung in Frage stellt oder gleich ganz darauf verzichtet, die Welt theoretisch in den Griff zu bekommen. Zuvor hat er bis zur Idiotie an eine bestimmte Idee geglaubt, jetzt glaubt er an gar nichts mehr; beziehungsweise, er glaubt, dass man an nichts glauben kann. Aber daran glaubt er ganz fest. Der Verzicht auf die Theorie überhaupt ist der traurigste Weg von allen. Bevor der Dogmatismus geht, putzt er noch rasch die Klinke, damit der Positivismus es leichter hat einzutreten. Und der Glaube an gar nichts (den man nicht mit dem Fall verwechseln sollte, dass einer nicht glaubt) ist denn auch nicht weniger dogmatisch als der Dogmatismus. Es ist aber ein Dogmatismus des Pluralen, dessen vorgeblicher Skeptizismus in stumpfe Affirmation praktisch aller Ideen umschlägt, die sich erkennbar von der einen, früher geglaubten, unterscheiden. Ob es indes ein Fortschritt ist, statt an eine einzelne gleich an eine Vielzahl von Halbwahrheiten zu glauben, diese Frage überlasse ich gern denen, die selbst an solchen Scheidewegen stehen. Ich finde es durchaus schick, mich hier in sublimer Ratlosigkeit zu suhlen.

Dennoch bleibt der Eindruck, dass im Übergang vom Dogmatismus zum Opportunismus ein Fortschritt vollzogen ist. Bedingt durch einen Zuwachs von Wissen wird Opportunismus zur biographischen Normalform, wodurch der moralische Impuls, der im Opportunismusvorwurf liegen sollte, auf eine vielleicht nicht nur unangenehme Weise gedämpft wird. So sollten verstockte Altlinke sich durchaus nicht zu viel darauf einbilden, über die Jahre standhaft geblieben zu sein. Bei manchem ist, was wie Standhaftigkeit aussieht, bloß Stumpfsinn, und es ist nicht schmeichelhaft, wenn einem nachgesagt werden kann, für den Opportunismus bloß zu beschränkt gewesen zu sein.

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Allerdings sind Normalbiographien ziemlich uncool. We got both kinds of music here: Country and Western. Cool hingegen ist, sich gewisse Alternativen gar nicht erst aufzwingen zu lassen. Letztlich bleibt der Konflikt Dogmatismus – Opportunismus, auch wenn die Anhänger des letztern in der Regel klüger sind, ein Kampffeld der kleinen Leute. Es ist nicht ratsam zuzulassen, dass das Elend, das einen umgibt, sich auch in einem akkumuliert. Der Kampf zwischen politischer Idee und den Umständen ihrer Umsetzung darf nicht im vollständigen Rückzug auf eine der beiden Seiten eliminiert werden. Dieser Kampf wird nie entschieden, er selbst ist das Eigentliche an der Politik. Churchill, sagt man, sagte, dass einer, der mit 20 kein Kommunist sei, kein Herz, und einer, der mit 40 noch Kommunist sei, keinen Verstand habe. Man begreift so vieles, wenn man erstmal begriffen hat, und die Wahrheit ist, dass es nicht darum geht, auch mit 40 noch Kommunist zu bleiben, sondern darum, dass man überhaupt erst mit 40 Kommunist sein kann.

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entstanden: Mai 2007, bearbeitet April 2015 für »Odysseus wär zu Haus geblieben«

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