Dez 182016
 

Ein Klassiker mittlerweile ist auch die Klage darüber, wie sehr die Titanic sich doch verändert habe. Mitunter wird dieser Stoßseufzer der beengten Seele begleitet von der etwas scheinheiligen Frage, ob Satire vielleicht doch nicht alles dürfe, oder von derselben Intention, nur noch verdruckster, nämlich der Aussage, dass Satire ganz gewiss alles dürfe, sich jedoch disqualifiziere, wo sie gewisse Geschmacksgrenzen sprengt oder dumm ist oder ungerecht oder einfach zufällig irgendwas lächerlich macht, was der vorgeblich kategorische Kritiker persönlich gern hat. 

Fast nie fehlt der Hinweis, dass man sie früher, als Titanic noch gut war, selbst gelesen habe. Man las sie doch, weil sie noch gut war. Oder war sie nur gut, weil man sie damals noch gelesen hat?

Ich finde diese Art Benehmen interessant. Es ist selten bei gebürtigen Konservativen zu bemerken. Wie auch? Die haben das Blatt ja schon früher nicht gelesen und vertrauen in Humorfragen eher Heinz Erhard oder dem Erhard von heute, der Hirschhausen oder so heißt. Man findet das Benehmen fast immer bei Konvertiten, bei Ex-Linken also, die ihr opportunistisches Dasein mit dem Kritisieren all jener Fehler verbringen, die sie früher selbst gemacht haben. Die in Anderen eigentlich sich selbst, ihr kleineres Ich kritisieren. Aber natürlich nur, indem sie ausschließlich andere kritisieren. Was ebenfalls Logik hat. Man kennt diese Leute, die im Grunde stets Maoisten geblieben sind, auch wenn sie jetzt irgendein Ressort bei der Welt leiten. So wie es ja auch die gibt, die doch immer Katholiken geblieben sind, auch wenn sie jetzt den Islamismus verharmlosen und Herausgeber einer vorgeblich linken Zeitung geworden sind.

Aber die Titanic muss doch irgendwie vor sich selbst gerettet werden. Das heißt, die alte, die ja irgendwie cool war damals, weswegen es ja auch heute noch irgendwie uncool geblieben ist, gegen Titanic zu sein. Irgendwie alles irgendwie. Also konstatiert man erinnerungsselig, was für eine erbauliche Zeitschrift man damals in ihr hatte. Wenn dann einer, der nicht gerade auf erweckender Mission ist, zufällig nachblättert, wird er sich wundern. Denn die Titanic war schon immer jene niveaulose Zeitung, die sie heute ist, und sie ist das vorsätzlich, ganz einfach, weil speziell diese Haltung, sich für keinen Witz zu schade zu sein, ziemlich ihre Masche ausmacht, die ganz nebenbei jeden nur denkbaren Counterangriff ins Leere laufen lässt. Als Satirezeitschrift hatte sie nie die Pflicht, wahr, gerecht, gehoben oder taktvoll zu sein. Und die eisig wandelnden Humorkommissare von der Ex-Linken getrauen sich ihrerseits nicht, einfach zuzugeben, dass sie Witze auf ihre Kosten schlechter finden als Witze auf Kosten anderer. Daher ja die Verpackung ins Kategorische, die irgendwas Allgemeingültiges, Objektives, vom Empfinden Gelöstes ausstellen soll.

Die Behauptung, dass die Titanic sich verändert habe, scheint diesen Leuten ein unbewusstes und müdes Echo der eigenen Biographie zu sein. Sie nehmen die eigene Veränderung, der sie sich allgemein bewusst sind, im einzelnen Moment ungern wahr und finden sie daher, wo man alles findet, was man sich nicht mag: im missbilligten Anderen. Nicht die Titanic hat sich verändert, sie haben sich verändert. Und was sie an ihr missbilligen, ist ihr eigenes Treiben. Also muss die Zeitschrift sich verändert haben, damit die Veränderung des Kritikers ganz sachte aus dem Blick geraten kann. Zugleich scheint da ein Bedauern auf, des Laissez-faires der alten Lebensweise verlustig gegangen zu sein, des unsinnigen, unbotmäßigen, freien Spaßes, für den Titanic steht und mit dem sich in der Tat besser leben lässt als mit der hektischen Suche nach Anschluss an die Mitte der Gesellschaft. Wenn die Titanic sich selbst verändert hat, hört der Verlust auf, rein persönlich zu bleiben, und wird sozusagen gesellschaftlich: Wenn ich das schon verlieren musste, sollen alle anderen es auch verloren haben.

Die Peinlichkeit schließlich des eigenen Opportunismus drückt den Ex-Linken; er wird sie ebenso wenig los wie seine peinliche Vergangenheit. Er wäre gern schon immer so gewesen, wie er heute ist. Nun hat er beides nicht: weder die saubere Vergangenheit noch die Pose des unbeugsamen standhaften Einzelnen. Auch das, sicher, ist große Komik.

Und nichts hasst der unfreiwillige Komiker mehr als den freiwilligen Komiker.

—-

Nachtrag:

Die periodische Kritik an der Titanic lebt von einer gedanklichen Unentschiedenheit, nämlich der, dass übergangen wird und werden muss, dass Satire nur durch satirische Haltung hervorgebracht werden kann. Man stört sich am satirischen Zugriff auf die Welt (der nach anderen Maßstäben funktioniert als die Empörung der Kritiker möchte), will aber nicht so weit gehen, die Satire als solche anzugreifen. Das wäre konsequent, nur dann wäre man Gesinnungs- und Gesittungswächter, was man verständlicherweise auch wieder nicht sein will. Also nutzt man ganz folgerichtig den ›guten Geschmack‹ als Amalgam, um diese Lücke zu füllen. Und so ins Feld geführt, meint dieser gute Geschmack nichts anderes, als dass der Kritiker sowohl glaubt, Geschmacksfragen seien objektiv und universell, als auch, er besitze diese übergreifenden Maßstäbe. Er ist unzweifelhaft der Typ, der im Theater den Hals aus der Loge hängt, wenn das Publikum an der falschen Stelle amüsiert ist, und ruft: Man lache nicht! So lebt er selbst eben die Aischrologie, die er den Satirikern, die sie immerhin bei Bewusstsein und spielerisch herstellen, vorwirft.

Sorry, the comment form is closed at this time.