Jan 302020
 

»Little Women«

Viel schon wär erreicht, wenn ein Film von, über und mit Frauen nicht gleich auch einer für Frauen sein muss. Wenn Frauenthemen nicht als partikular gelten, während Männerthemen für universell genommen werden. Und wenn man von einem solchen Film nicht mehr erwartet, dass an ihm auch gleich die Welt gesunden müsse. In der turnusmäßigen Aufregung vor den Oscars schlug, nachdem »Little Women« als einziger Film einer Frau fürs Best Picture nominiert wurde, die Stunde des Sonntagsfeminismus.

Das fiese Wort meint eine Sorge um Gleichberechtigung, die nicht bei der Wurzel, sondern erst am Ende des Prozesses ansetzt. Verachtung von Frauen ist früher, tiefer, umfassender. Mädchen bereits werden entmutigt, wo man Jungen fördert. Sie lernen ausgleichend zu sein und sich nicht so wichtig zu nehmen, wo die anderen lernen, Herausforderungen anzunehmen und sich auch dann beredt zu äußern, wenn sie keine Ahnung haben. Später verdienen sie weniger Geld, tragen die doppelte Belastung durch Schwangerschaft, Erziehung und die dreifache durch Mental Load, sie müssen sich vorwerfen lassen, dass sie nicht genügend kämpfen, und wenn sie es dann tun, dass sie sich wie Männer verhalten. Ich bin noch beim Thema.

Die neun Nominierten sind tatsächlich die besten Filme des Jahres. Ich hätte »Rocketman« oder »Knives Out« gern dabei gesehen und »The Irishman« vielleicht gestrichen; ein vollends deplacierter Kandidat, wie letztes Jahr »Black Panther«, ist nicht auszumachen. Mit »Alita« und »Fighting With My Family« hätten zwei Filme dabei sein dürfen, die weibliche Hauptfiguren haben. Der von Kritikern angeführte »Hustlers« ist kein guter Film, der ebenfalls angeführte »The Farewell« schon eher. Gleichwohl stellt sich die Frage, welcher der nominierten Filme nun ernsthaft ihm hätte weichen sollen.

Es mangelt nicht an Anerkennung für gute Filme von Frauen, es mangelt an guten Filmen von Frauen. Gewiss, es gibt sie. Von Coppola, Ramsay oder Sciamma. Rohrwacher, Hausner oder Heller. Kawase, Bigelow oder Kusama. Doch die verschwinden in der schieren Masse männlicher Projekte. Allein schon, dass man die großen weiblichen Regisseure ohne das Gefühl aufzählen kann, da nie ans Ende zu kommen, sagt einiges. Und dann erscheint Greta Gerwig und macht mit »Little Women« genau jene Entmutigung zum Thema, die den wichtigsten Grund dafür ausmacht, dass Kino bis heute eine Sache hauptsächlich von Männern ist.

Der Film spiegelt das übergreifende Thema der Emanzipation in einem historischen Sittenbild. Dabei folgt er den 1868/69 entstandenen Erzählungen Louisa Alcotts um die Töchter der Familie March, die selbviert eine Kontextur weiblichen Verhaltens unterm frühbürgerlichen Patriarchat markieren: Jo (Saoirse Ronan), die ehrgeizige Poetin, die kämpft und keinem was schulden möchte; Meg (Emma Watson), die sanftmütige, die sich in die zeitgenössische Rolle fügt; die kindliche Beth (Eliza Scanlen), der ihre selbstlose Fürsorge zum Verhängnis wird; schließlich Amy (Florence Pugh), die kein Vertrauen in ihre Begabung zur Malerei hat und sich kokett in der High Society zu etablieren sucht. Während der Vater im Sezessionskrieg kämpft, leben die Mädchen mit ihrer Mutter Marmee (Laura Dern) in einem Landhaus bei Boston. Sie kommen gerade über die Runden, während der Nachbar Mr. Laurence (Chris Cooper) wohlhabend ist. Als Jo dessen Sohn Laurie (Timothée Chalamet) kennenlernt, verlieben die beiden sich, doch auch Amy scheint was an ihm zu finden. An der Schwelle zum Erwachsenenleben werden aus den unterschiedlichen Charakterzügen der Schwestern divergierende, teils kollidierende Lebensentwürfe.

Das Drehbuch ist meisterhaft komponiert. Dramatische Aktion, Gespräche und Reflektion, geographisches Panorama und Portraitszenen, Harmonie und Streit lösen einander so ab, dass die Erzählung in sich ruht, ohne je zu langweilen. Anders als die Vorlage führt der Film zwei Ereignisreihen parallel, zwischen denen sieben Jahre liegen. Die gediegene Ruhe der Szenen wird vom zuweilen hastigen Wechsel der Zeitebenen unterlaufen, so dass alles zugleich turbulent und gefestigt wirkt. Man fühlt sich trotz stürmischer Ereignisse zu Hause, trotz Harmonie stets irritiert. Insbesondere das Zusammenspiel der Schwestern – hohes Tempo, schlagfertige Rhetorik, verspielter Umgang, Umschlag von Scherz und Ernst – ist so sensibel gespielt, dass der Eindruck langjähriger Vertrautheit entsteht. Und wenn die Schwestern in der Dachkammer ein eigenes Stück aufführen, meint man, so müsse es bei den Brontës gewesen sein, als sie ihre Angria- und Gondal-Welt durchgespielt haben.

Die Inszenierung hält mit Script und Spiel Schritt. Wenn die am Fenster sitzend und schreibende Jo mit einem Matchcut sieben Jahre überspringt, die Tragödie um Beth mit einer effektvollen Parallelmontage erzählt wird, zwei Zeitstränge ermöglichen, dass Orte und Situation doppelt bespielt werden, Vergangenheit und Gegenwart immer wieder Bezug aufeinander nehmen, wenn der Film vor smarten Shots sprüht, dann entsteht an keiner Stelle der Eindruck von Effekthascherei, immer passen die Einfälle zum Charakter der Szene.

Der Score hält sich klassisch und trägt über die Handlung hinweg; wo es traurig wird, nimmt er sich zurück. Die Kostüme sind versiert gestaltet und sehen tatsächlich nach Kleidung aus, die getragen wurde. Die bunten, aber gedeckten Farbtöne heben sich vom Zuckerstil der Disney-Historien ab. Überhaupt schaffen Farben Orientierung. Beide Zeitebenen sind weitgehend durch Licht und Filter unterscheidbar. Die spätere Zeit, mit ihren divergenten Beziehungen, ist in kälteren Tönen gehalten. Blau, Olive und Schwarz dominieren. Die Vergangenheit warm, in Gold, Bordeaux und Braun.

»Little Women« macht fasslich, was es bedeutet, als Frau unterm Patriarchat zu leben, genauer: darin erwachsen zu werden. Eine Frau zu werden bedeutet hier nämlich, ein Leben als Frau aufzugeben. Jo, die darauf besteht, ebenso Seele und Geist wie Herz, ebenso Talent und Ambition wie Schönheit zu besitzen, ist es leid, dass man Frauen auf die Fähigkeit zu lieben reduziert. Die Abwesenheit des Vaters in der Familie kann hierbei symbolisch genommen werden. Während Jungen sich zwischen mütterlicher Fürsorge und väterlich-strenger Förderung ihren Weg bahnen, zieht sich im Patriarchat auch der anwesende Vater aus der Prägung der Mädchen heraus. Seine Funktion, erst die Welt in das Kind und schließlich das Kind in die Welt zu führen, bleibt beim männlichen Nachwuchs, da Selbstverwirklichung für Mädchen nicht vorgesehen ist. Jos Versuch, als Dichterin zu reüssieren, wird zum Affront gegen die Männerherrschaft. Ihr Verleger teilt mit, was eine Story ausmacht: »… and if the main character is a girl, make sure she’s married by the end. Or dead, either way.«

Das ist nicht mal prononciert, sondern einfach Wirklichkeit. Die Ehe schafft unter den Bedingungen des Patriarchats Ungleichheit in den eigenen Wänden. Frauen sind gezwungen, Vernunft-Ehen zu schließen, und damit unterstellen sie sich dem Zweck eines Anderen. Der Mann dagegen, der das Geld hat oder verdient, kann die Partnerin nach Neigung auswählen. Er ist die Chance der Frau auf ein besseres Leben, und darin liegt seine Macht. Eben diese Tragik, dass den Liebsten zu heiraten das Ende der Liebe wäre, ist die bittere Pointe der Geschichte.

»Little Women«
USA 2019
Regie: Greta Gerwig
Drehbuch: Greta Gerwig
Darsteller: Saoirse Ronan, Emma Watson, Timothée Chalamet, Meryl Streep
Länge: 135 Minuten
Starttermin: 30. Januar 2020

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in: ND v. 30. Januar 2020.

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