Jan 232020
 

»Weathering With You«

Nachdem Isao Takahata und Hayao Miyazaki über Jahrzehnte hinweg den japanischen Animationsfilm bestimmt hatten, blieben mit ihrem Ruhestand stilistische Maßgaben zurück, denen sich heute kaum ein Anime-Regisseur entziehen kann. Was die kommenden Jahre betrifft, zeichnet sich unterdes ab, dass es wiederum zwei Regisseure sein werden, die das Genre dominieren, Mamoru Hosoda und Makoto Shinkai. Anders als die Ghibli-Gründer arbeiten sie nicht zusammen, und anders als bei denen scheint ihr Verhältnis von Respekt geprägt. Hosoda ist der bessere Erzähler; seine Stories erweisen sich als komplexer, vielseitiger in den Ideen, präziser in den Raum- und Zeitstrukturen. Shinkai ist der bessere Director; die Figuren noch im traditionellen Manga-Stil haltend schafft er bei den Hintergründen ein Festspiel von Effekten, das nicht nur in Japan ohne Gleichen steht.

»Your Name« macht ein schweres Erbe. Auch, weil hier das Erzählerische gelungen ist. In der Hinsicht kann »Weathering with you« nicht mithalten. Zwar baut sich um die für Shinkai typische Boy-meets-Girl-Konfiguration eine Welt, die ein Geheimnis trägt, doch fehlt es an Detail und Nahrung fürs Hirn, wo bei »Your Name« das große Rätsel noch gut dreimal in sich gefaltet war.

Wir sehen ein alternatives Japan der Gegenwart. Tsuyu, die Regenzeit, hat sich auf das ganze Jahr ausgedehnt; kaum noch ein Tag, an dem es nicht nass ist. Der Schüler Hodaka verlässt seine ländliche Heimat gen Tokyo. Bei der Ankunft rettet ihn der Zeitungsmacher Suga vor starkem Wellengang. Nach erfolgloser Arbeitssuche erhält Hodaka eine Anstellung in dessen Magazin für Verschwörungstheorie und absonderliche Geschichten. Er lernt Hina kennen, die die Fähigkeit besitzt, den Regen kurzzeitig aufhören zu lassen. Gemeinsam machen sie ein Geschäft daraus, zu bestimmten Ereignissen den Himmel aufklaren zu lassen. Indessen deutet sich an, dass Hinas Magie einen Preis fordert. Deutlicher wird auch der Zusammenhang der bekannten Welt mit hintergründigen Gesetzmäßigkeiten, die die Menschen seit Jahrhunderten in des Wortes doppelten Sinn verdrängt haben­­.

Stilistisch feiert »Weathering with you« eine interessante Hochzeit, indem sich das Motiv des Regens aus »The Garden of Words« (2013) mit dem Farbstil von »Your Name« (2016) verbindet. Von Grün zu Blau – vom privaten Geschehen im Park zu kosmischen Angelegenheiten. Shinkai, wie gesagt, macht keine Gefangenen, die Farben sind gesättigt, trotz Regens fehlt es nicht an kraftvollem Licht, Lens flares und Glitzer, selbst Schatten und Grau vermögen im Detail zu faszinieren. Manche Szenen, plätscherndes Wasser etwa, sind bewegtes Trompe-l’oeil, und die Bewegung kommt nicht allein durch Figuren und Setting, die Kamera selbst wird – untypisch fürs Genre – dynamisch eingesetzt. Man war geneigt, »Your Name« für den Zenit einer Entwicklung zu halten, aber das hier ist beinahe unerträglich schön. Gleichwohl nicht bloß Spielerei, sondern Ausdruck für Shinkais Weise, die Welt zu packen. Er sieht sie heiter, selbst wenn es regnet, seine Figuren sind optimistisch, sie handeln, weil sie wollen, nicht weil ein innerer Konflikt sie zerreißt.

Der Score wurde erneut von den Radwimps besorgt, deren Arbeit diesmal durchwachsen ist. Während sich die gestischen Passagen ebenso wie die Soundeffekte (das für Shinkai typische Rauschen etwa, das eine geräuschvolle Stille macht) perfekt ins Geschehen fügen, sind die Songs schwächer als vor vier Jahren.

Mit der Wahl des Themas zeigt Shinkai sich so politisch wie seit »The Place Promised In Our Early Days« (2004) nicht mehr. Wir sehen eine Welt, die aus den Fugen ist. Das Wetter spielt verrückt, und wenn Hina auf der Szene erscheint und ihre kleinen leuchtenden Spots gegen das ubiquitäre Grau setzt, weht ein Hauch von Greta durch die Landschaft. »Früher waren Sommer und Frühling noch schöne Jahreszeiten«, heißt es. Wo Wetter zur Belastung wird, man von Klima zu reden beginnt, sprießen platte Verschwörungstheorie, Krisenprofit, hohler Aktionismus und Wendung zu utopischen Modellen auf. Mit zarter Ironie verknüpft der Regisseur diese Elemente und zeigt, wie verschieden die Menschen auf ein und dieselbe Misere reagieren können.

Nur scheint der Film selbst – bei aller Heiterkeit, Zuversicht und ironischer Milde – regressive Verzweiflung auszudrücken. Durchaus nicht platt aber. Das Phänomen wird anschaulich entfaltet; in der Beziehung zum Wetter zeigt sich die Beziehung des Menschen zu sich selbst. Es bestimmt zunächst den Alltag als mächtiger, konstanter Wechsel von Kälte und Wärme, Nässe und Trockenheit, Ruhe und Bewegung. Der Mensch macht es nicht, muss vielmehr darauf reagieren, durch Kleidung, Heizung, Entscheidung, wo und wie lange er sich aufhält. Damit verbunden ist Wetter Inbegriff von Natur und also Göttlichkeit. Sintflut, Ekpyrosis, Wolkenstädte, Unterwasserwelten, Siebter Himmel, Frau Holle, der Donner des Zeus – Transzendenz, Urzeit, ferne Zukunft, die uns umfassende Natur und die Vorstellung eines Jenseits (ob real geglaubt im Religiösen oder bewusst als Metapher gesetzt im Ästhetischen) werden oft in Wetterphänomene gefasst. Schließlich drückt das Wetter seelische Zustände aus, Beziehungen zwischen Menschen, Dispositionen, Affekte. Dabei steht das trockene, sonnige, warme Wetter für Heiterkeit und Klarheit, stehen Nässe, Nebel und Kälte für traurige, drückende Gefühle, steht alles Stürmische für angstvoll bewegte Stimmungen. Auf die Art erhält Wetter metaphorisches Vermögen zur Abbildung von Weltlagen, gesellschaftlichen Verhältnissen oder das allgemeine Gefühl, das eine Zeit von sich hat.

Nicht dieses System aus Metaphern wird dem Film zum Problem, sondern seine Ausrichtung. Wir haben die Andeutung eines parallelen Ökosystems, doch anders als etwa zuletzt in »Big Fish & Begonia« (2016) werden die Möglichkeiten, es genau zu erzählen, liegengelassen. Es steht vor allem für das Transzendente, die menschlichen Sichtfelder Überschreitende. Während Hodakos Recherchen für das Magazin fällt eine Bemerkung über den Klimawandel. Wetteraufzeichnungen, heißt es, gebe es gerade mal seit 100 Jahren, das Wetter selbst schon ewig. Es folge Zyklen, die über dem menschlichen Handeln liegen. Das mag philosophisch treffend sein. Die Ohnmacht, die der Mensch im Angesicht der Natur erlebt, schafft sich Abhilfe im narzisstischen Glauben, wenn sie schon nicht beherrschbar ist, wenigstens Schuld an ihrer Zerstörung zu haben. Mit Rücksicht aber darauf, dass heute der Einfluss der menschlichen Gesellschaft auf die Klimaentwicklung nachgewiesen ist, wird die tiefsinnige Rhetorik, die durch Ghibli propagierte Demut vor der Natur reaktionär.

Die Moral des Films lässt sich in die Worte fassen: Niemand muss die Welt retten. Indem eine Figur entscheidet, dass das Leben eines Einzelnen eigentlich mehr wiege als das der Menschheit, entscheidet sie sich gegen die Gesellschaft. Aber eben dadurch, dass darauf verzichtet wurde, die Welt zu ändern, sei sie tatsächlich geändert worden: Werde selbst besser, und dann wird die Welt sich schon auch irgendwie bessern. Es gibt einen Punkt, an dem Zuversicht so absolut gesetzt ist, dass sie in ihr Gegenteil umschlagen muss.

»Weathering With You« [»Tenki no ko«]
Japan 2019
Regie: Makoto Shinkai
Drehbuch: Makoto Shinkai
Sprecher: Kotaro Gaigo, Nana Mori, Shun Oguri
Länge: 111 Minuten
Starttermin: 16. und 19. Januar 2020

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in: ND v. 16. Januar 2020.

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