Menschen, weiß man, sind oft nicht schlau. Deswegen können Hersteller wie Bitburger überhaupt bestehen. Ich habe noch nie Bitburger getrunken, so schlecht ist dieses Bier. Seine Werbemenschen haben das erkannt und richten sich – darin Nutella ähnlich – gleich ganz auf den depravierten Teil der Bevölkerung aus. Die aktuelle Kampagne zeigt Spieler und Fans jubelnd mit verzerrtem Gesicht, wie man es sonst nur von BSE-Patienten oder Thomas Müller kennt. Darüber prankt der Schriftzug »Wenn aus 80 Millionen ein Team wird«. Ich gestehe, dass mich dieses Plakat geärgert hat. Ich fühle mich impertinent vereinnahmt. In der Welt, die es behauptet, stehen alle Deutschen wie natürlich hinter ihrer Mannschaft.
Auf eine Provokation reagiert man mit einer Provokation. Titanic hat Spieler und Fans unter dem Satz durch marschierende Nazis ersetzt, und das, erklärten einige, denen der anmaßende Gehalt der Vorlage entgangen war, sei geschmacklos. Deutschland ist das von heute, und die Fahne – so ließ sich manch Bescheidwisser vernehmen – steht für irgendwas zwischen Freiheit, Demokratie und Hambacher Fest. Ich denke, ich werde jetzt etwas Ordnung in diesen Unsinn bringen. Der Rest dieser Kolumne genügt dafür. So schwer ist es nämlich nicht.
Schwarzrotgold, das zum ersten, geht zurück auf das antisemitisch-frankophobe Pack der Lützower Jäger, der Turner und der Burschenschaftler, das den Keim der deutschen Nationalbewegung ausmachte, die, anders als in Frankreich, nicht von oben gebildet war, sondern aus dem Widerstand gegen Bonaparte. Bei Nationalbewegungen gilt einmal, je weniger sie von Staatswegen organisiert und je mehr aus dem Volk selbst kommen, desto verrückter werden sie. Der Unterschied zwischen Merkel und Höcke halt.
Zweitens muss Deutschland nicht das der Nazis sein, ehe man was gegen dieses Gebilde haben darf. Die Bundesrepublik ist nicht so harmlos, wie es heutigen Deutschen angenehm zu glauben ist. Sie führt Kriege, gestattet und fördert Waffenhandel, unterstützt das iranische Regime oder den Irren vom Bosporus, presst schwächere Länder in der EU zu Boden und steht nicht bloß für abstrakte Ideen wie Freiheit und Demokratie, sondern immer auch für ein nur dürftig verschleiertes System der Zwangsarbeit und ganz allgemein eine ebenso barbarisch wie dynamische Produktionsweise, die man, als es noch cool war, Kapitalismus nannte. Tatsächlich ist das Tragen eines Clubtrikots ein ganzes Stück weniger belastet. Der Fußballclub steht im wesentlichen bloß für sich selbst. Die Nationalelf steht für einen Staat, sein System und somit auch für alle seine Abscheulichkeiten. Man kann kein Nationaltrikot tragen, ohne damit zugleich ein politisches Statement zu setzen.
Schließlich ist es einfach eine Frage der Selbstachtung, das Schwarzrotgold zu meiden. Eine einigermaßen intellektuelle, persönlich souveräne Haltung, Liberalität also (die vom Programm des politischen Liberalismus unterschieden werden kann) – eine solche Haltung dürfte es sich wohl, kann es sich aber nicht gestatten, in einem kollektiven Über-Ich aufzugehen. Wer in sich genug hat, braucht es nicht neben oder über sich zu suchen. Er darf er selbst sein.
Dann erst kann er sein Bierglas abstellen, sich erheben und die nicht schwarz, nicht rot, nein, goldenen Worte sprechen: Was ist das bloß für eine langweilige EM, während der man lieber belehrende Texte schreibt als von ihr selbst zu berichten?
zuerst: ND-online, 1. 7. 2016
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