Mrz 042018
 

Seit eigentlich letztem Herbst so sehr im Hamsterrad, dass mir die Zeit für beiläufigen Quatsch fast völlig fehlt, geb ich spät noch, bevor das heute Nacht mal wieder alles aus dem Ruder läuft, was zu den Oscars ab. Neulich fragte mich wer, warum man sich dazu verhalten müsse. Muss man natürlich nicht; es ist eine betriebsblinde Veranstaltung, durch die die Beteiligten einander versichern, dass sie noch da sind. Gewisse Dinge kann man nicht ernstnehmen, etwa die erkennbare Bevorzugung derjenigen Filme, die zeitlich näher an der Verleihung liegen, was immer etwas an das Kurzzeitgedächtnis von Wechselwählern erinnert. Oder das zwanghafte Anspringen der Academy-Mitglieder auf Filmthemen, in denen sie sich persönlich wiederfinden, selbst wenn der Film offenkundig Mist ist, wie letztes Jahr der Fall bei »La La Land«. Doch man äußert sich, wenn man sich zum Oscar äußert, ja weniger zum Oscar, sondern zu den Filmen. Man nutzt die Gelegenheit, Blumen und Stinkbomben zu werfen.

Der beste Film ist die subjektivste Kategorie. Weil hier alles zählt, zählt hier gar nichts. Nur der Geschmack also. Die Frage, was der Film mit mir angerichtet hat. Wie er das getan hat, darum geht es in den anderen Kategorien. 2018 ist der seltsame Fall, dass ich alle nominierten Filme zumindest für gut halte (»Call Me by Your Name« habe ich noch nicht gesehen). Ich spreche, versteht sich, nicht davon, wie sehr mir die weltanschaulichen Tendenzen der Filme in den Kram passen; wer nicht in der Lage ist, zwischen Bedenken und Kunst zu trennen, soll halt über Bedenken reden und zu Kunst schweigen. Wir reden von Qualitäten, und gewiss kommt »The Shape of Water« nicht die herausragende Stellung zu, die er der Zahl der Nominierungen nach haben sollte, aber auch das ist kein schlechter Film. Herausragend unter den Nominierten waren für mich (in der Reihenfolge) »Three Billboards Outside Ebbing, Missouri« und »Dunkirk«. Mein Gewinner aber wäre ein Film, der gar nicht nominiert wurde: »Wind River«.

Beim Regie-Oscar habe ich wenig zu grübeln. Es ist »Dunkirk«. Von allen Filmen hat mich der als bildsprachliches und auditives Kunstwerk am meisten beeindruckt.

Beim besten Hauptdarsteller ist die Dichte wie so oft hoch. Denzel Washington spielt in »Roman J. Israel, Esq.« standesgemäß, und Daniel Day-Lewis wäre mit »Phantom Thread«, seiner angeblich letzten Rolle, ganz gewiss vorn, aber beide haben das Pech, neben Gary Oldman als Churchill gelandet zu sein. Man soll auf Oscars nicht tippen, weil betriebliche Idiotie so schwer zu berechnen ist. Hier tippe ich trotzdem mal: Oldman wird gewinnen.

Die weibliche Hauptdarstellerin unter den weiblichen Hauptdarstellerinnen wird/soll/muss sein: Frances McDormand für »Three Billboards Outside Ebbing, Missouri«. Wer nicht versteht, warum, muss sich den Film ansehen. Sollte sie sich den Fuß verstauchen, rückte bei mir Meryl Streep nach, aber nur wenn Donald Trump kein Problem damit hat.

Bei den männlichen Nebendarstellern wäre Christopher Plummer mit »All the Money in the World« meine Wahl. Wobei ich bereits begründet habe, dass das auf einem Missverständnis ruht. Was er spielt, ist eine Hauptrolle, genauer: die Hauptrolle, weil »All the Money« ein Charakter- und Entscheidungsdrama ist; alles darin dreht sich um die ethischen Grundlagen und das logische Kalkül des Milliardärs Getty.

Den Oscar für die weibliche Nebenrolle verdient: Allison Janney mit »I, Tonya«. Sie ist genial wie je und hatte noch keinen.

Das beste adaptierte Drehbuch gäbe ich Aaron Sorkin für »Molly’s Game«. Am Donnerstag bespreche ich den Film, dort steht dann auch was zu seinen Schwächen. Dennoch ist die Sorkinsche Rede- und Gedankenlastigkeit etwas, das mir sehr liegt und hier den Ausschlag gibt.

Das Originaldrehbuch gäbe ich an Martin McDonagh für »Three Billboards Outside Ebbing, Missouri«. Es gibt, von vielen kleineren Dingen abgesehen, einen Punkt, der hier schwerer wiegt. Die ungewöhnliche Entwicklung, dass zwei Gegenspieler, die eigentlich nicht zusammenfinden können, dann doch zusammenfinden, ist so gut erzählt, dass dieser komplette Stuss authentisch und nachvollziehbar wird. Wer das kann, kann was.

Kamera, Schnitt, Ton und Tonschnitt jeweils: »Dunkirk«, s.o.

Bestes Szenenbild: »The Shape of Water«. Wobei diese Kategorie in diesem Jahr, wenn ich jetzt nichts übersehen habe, insgesamt nicht so stark bespielt wurde wie sonst.

Beste Filmmusik ginge bei mir an den wiederum nicht nominierten »Wind River«; Nick Cave hat daran mitgearbeitet, was man sogar etwas hört, wie ich mir einbilde.

Bester Animationsfilm fällt aus. Nicht alles ist Mist, aber während in den letzten Jahren Scheißdreck wie »The Boss Baby« oder »Shaun the Sheep« nominiert wurde, blieben Meisterwerke wie »Your Name« oder »A Silent Voice« Nebensache. Mehr muss man nicht wissen.

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