Aug 112018
 

»The Endless« beginnt als Charakterdrama und endet als Mysterythriller

Es gibt nur wenige wirklich gute Filme, die von mehr als einem Regisseur verantwortet wurden. »Schachfieber« (1925), »Asterix erobert Rom« (1976), »Persepolis« (2007), »Der Dieb der Worte« (2012), »Alles steht Kopf« (2015), zwei oder drei von den Cohen-Brüdern. Meist sind es technische Gründe: Einer hat eine künstlerische Idee, aber ihm fehlt die handwerkliche Routine, und also holt er sich Hilfe. Hinter der scheinbaren Synthese steht Arbeitsteilung. Zwei wirklich gleichberechtigte Regisseure laufen Gefahr, einen Film zu zerbrechen.

In »The Endless« scheitern Justin Benson und Aaron Moorhead zumindest nicht handwerklich. Der Film erlangt vor allem visuell Totalität, indem er nicht bloß Effekte setzt, sondern insgesamt einem Stil folgt. Immer wieder wird das Szenenbild von der Perspektive sabotiert, mehrfach ändern sich mit Kamerafahrten Zuordnungen von oben und unten. Der durchweg matte Schimmer arbeitet in dieselbe Richtung, und sobald die Kamera verweilt, entsteht der Eindruck, hier werde symbolisiert. Erst der Blick auf die Story offenbart, dass hinter der besonderen Einstellung allzu oft die Idee fehlt.

Der Film erzählt die Geschichte zweier Brüder, Justin und Aaron, gespielt von Regisseuren selbst, deren Vornamen sie auch tragen. Vor zehn Jahren entflohen sie einer Sekte. Justin, der damals ein Kind war, hat andere, schönere Erinnerungen an das Leben dort. Seine Unzufriedenheit mit dem gewöhnlichen Leben leitet sich wie von selbst ab im Wunsch nach Rückkehr. Diese Ausgangslage ist insofern bemerkenswert, als Sekten-Filme meist von Befreiung und Flucht handeln. »The Endless« greift die darin verborgene Selbstgefälligkeit der Mehrheitsgesellschaft an. Was wenn die Sekte doch recht hat? Was wenn ein Glaube bewiesen werden kann? Was wenn die Spinner – zufällig – im Besitz der Wahrheit sind? Die Rückkehr in den Cult macht sukzessive deutlich, dass die Brüder ihn nie wirklich verlassen haben. Obgleich volljährig leben sie zusammen, pflegen keine Beziehungen mit anderen, auch sexuelle nicht. Justin dominiert und leitet Aaron. Sie haben im Leben danach die Lebensweise der Sekte genau reproduziert.

Allerdings macht der Film aus dieser Konfiguration zu wenig. Seine ersten 50 Minuten erzählen ein psychologisch und intellektuell ausgefeiltes Charakterdrama, die restlichen 60 Minuten eine zuweilen interessante Mystery-Geschichte. Wie »From Dusk till Dawn« (1996) ist er in der Mitte zerbrochen, und wie dort ist das deswegen kein Vorteil, weil er keiner der beiden Filme, die er sein will, wirklich ist.

Das Ärgernis liegt darin, dass der zweite Teil die im ersten geweckten Erwartungen nicht erfüllt; aber er ist auch für sich schwächer. Jeglicher Schauder hier geht nicht von der Sekte aus, sondern von den mysteriösen Vorgängen auf der Ranch. Nicht Liturgie, sondern Glaube rückt in den Focus. Der gesellschaftliche Charakter tritt in den Hintergrund, alles wird metaphysisch. Doch auch darin fehlt die Einheit der Ideen. Es scheint um Schuld zu gehen, um Kontrolle oder Abgabe von Verantwortung, schließlich – wiederholt werden zueinander gehörige Figuren voneinander isoliert – um die Vereinzelung des Subjekts in der Gesellschaft (so vereinzelt wie die Elemente der Fabel). Vielleicht soll das alles auf den Gedanken hinauslaufen, dass Endlichkeit dem Menschlichen eingeschrieben und Unendlichkeit allein als ewige Wiederholung und also andere Form der Hölle zu denken ist. Das wäre ein Thema für einen Film gewesen, nicht für einen halben.

»The Endless«
USA 2017
Regie: Justin Benson, Aaron Moorhead
Drehbuch: Justin Benson
Darsteller: Justin Benson, Aaron Moorhead
Länge: 111 Minuten
Starttermin: 9. August 2018

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in: ND v. 11./12. August 2018.

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