Dez 142018
 

»Take the Ball, Pass the Ball«

Als John Cleese 2006 in »The Art of Football« durch das Alphabet des Sports führte, war neben dem inhaltlichen auch ein artistischer Höhepunkt erreicht. Wenn »Take the Ball, Pass the Ball« jetzt den Eindruck weckt, daran anzuschließen, so weniger durch einen Willen zur Form. Es fehlt hier durchaus die tragende Idee in der Gestaltung – das Ästhetische ruht im Gegenstand selbst. Schöner Fußball war oft, nie aber wurde er so gravitätisch wie bei Guardiolas Barca. Das liegt nicht allein an der Spielidee, über die sich ja streiten lässt, sondern darin, dass noch nie jemals – irgendwie irgendwo irgendwann – eine Spielidee so vollendet auf den Platz gebracht wurde. Doch der Reihe nach.

Die Dokumentation führt eine anschauliche Collage aus Filmfetzen und pointierten Interviews vor. Historische oder taktiktheoretische Erzählungen werden mit South-Park-artigen Animationen nachgezeichnet; die Rede geht so leicht, wie der Gegenstand schwer ist. Ganz dem Stil Barcas entsprechend lässt der Film keine Minute nach; man muss dranbleiben, oder man hat den Ball (den Faden) verloren. Es scheint um Barca und Pep zu gehen, nur die Kapitelstruktur wirkt verworren. Einer Einführung in die Ära folgen die Rivalität zwischen Guardiola und Mourinho als Kampf zwischen Spiel- und Körperorientiertheit, die Besonderheiten der Barca-Familie, Abidals Krebserkrankung, die Spielweise des Vereins, die Entdeckung des exorbitanten Messi mitsamt Geburt der falschen 9 und schließlich Guardiolas Arbeit beim FC Barcelona. Man kann die etwas sprunghafte Erzählung vielleicht am besten einordnen, wenn man sie als Auxilium des Buchs »Barca« versteht, dessen Autor Graham Hunter auch das Skript des Films geschrieben hat. Das Ensemble der Befragten ist breit. Scouts, Trainer, Strategen des Vereins haben mehr als bloß Anekdoten und Stimmungen mitzuteilen. Spieler wie Henry, Xavi und Puyol, die klügsten ihrer Zeit, geben das Ihre hinzu, so dass bald jeder Fetzen das große Gedankenbild fortmalt. Dieses Bild indessen ist, als ideales Konstrukt, etwas runder als der Ball.

Eine wichtige Differenz macht der Film nicht: die Idee des Spiels von einer bestimmten Spielidee zu scheiden. Barcas Stil markiert nur einen Pfad in der Taktikgeschichte. Fabio Capello nennt zu Beginn Cruyff, Sacchi und Guardiola als die drei großen Sprünge der Geschichte und übergeht damit wichtige Momente. Die Geburt des Passspiels in Schottland z.B. oder die Einführung des variablen Positionsspiels in der Sowjetunion durch Arkadiew oder Vianis Entwicklung des Catanaccio oder die Erfindung des 4-4-2 unter Maslow. Wo immer neue Spielideen aufkamen, wurden sie in den folgenden Jahrzehnten von verschiedenen Trainern in verschiedene Richtungen entfaltet. Wer davon spricht, dass Guardiola einen vollkommenen Fußball habe spielen lassen, muss berücksichtigen, dass diese Vollkommenheit Vereinseitigung bedeutet. Es ist unmöglich, sein Prinzip des organisierten Spielaufbaus zu installieren und dabei die Explosivität des Umschaltspiels zu erhalten. In jedem Moment einer Balleroberung müssten elf Spieler ohne weitere Verständigung dieselbe Entscheidung treffen, ob sie nun die situative Unordnung des Gegners nutzen oder, wie Guardiola bevorzugt, das Momentum vorbeiziehen lassen, um durch geduldige Zirkulation gezielt eine Unordnung zu erzeugen. Das ist der Grund, aus dem einige Elemente, die den Fußball auf andere Weise schön machen – Distanzschüsse, lang ausgeführte Eckstöße, schnelle Konterstöße – aus Guardiolas schönem Spiel nach und nach verschwanden.

Zum anderen ist wichtig, Spielidee und Spielsystem zu unterscheiden. Die Idee Guardiolas ist nicht die Idee Guardiolas, sie gehört Johan Cruyffs. Pep hat die Abläufe geschaffen, sie auf dem bislang höchsten Niveau auszuführen. Das ist die berühmte Revolution, von der immer alle reden. Diesem Verhältnis gönnt die Dokumentation erfreulich viel Raum. Bei Cruyff geht es um das Bestreben der Mannschaft, den Ball stets in Besitz zu bringen, ihn schnell laufen zu lassen, hoch zu stehen und den Gegner zu anstrengender Laufarbeit zu nötigen. Dadurch schafft man ein Höchstmaß an Spielkontrolle. Die eigentliche Funktion des Ballbesitzfußballs liegt in der Defensive.

Guardiolas spezifische Interpretation dieser Idee ist auf dem Platz unverkennbar. Die Mannschaft zieht sich auf dem weiten Spielfeld eng zusammen und bildet beständig Dreiecke, die die Zirkulation des Balls ermöglichen. Nie dürfen mehr als zwei Spieler vertikal, nie mehr als drei horizontal auf einer Linie stehen. Bei Ballverlust geht man sofort ins Gegenpressing und erobert den Ball zurück. Die Spieleröffnung erfolgt nie mit langen Pässen, sondern durch »Spiel von hinten«, den organisierten Aufbau, der den Gegner zum Fehler im Positionsspiel zwingt. Dieses System allein hätte aber keine Ära machen können, wären nicht die Spieler vorhanden gewesen, die es spielen können, und zwar in einer Dominanz, der den umwälzenden Charakter für alle, Gegner und Anhänger, bewusst machte. Iniesta, Xavi, Messi, oder Busquets haben die technischen Fähigkeiten, flache Pässe schnell und präzise zu spielen, mehr Überblick auf dem Feld zu behalten als der Gegner und die Lösung der konkreten Situation schneller zu finden. Den physischen und geistigen Anforderungen gesellen sich charakterliche hinzu. Der organisierte Aufbau macht ein Maß an Geduld nötig, wie es in diesem Sport noch nie erforderlich war, und vielleicht ist das die magischste aller Tugenden dieses Spiels.

»Take the Ball, Pass the Ball« ist ein Film für Menschen, die, wie Louis van Gaal, glauben, dass Fußball ein Gehirnsport ist. So mag man ihm fast nachsehen, dass die peinlichen Seiten des großen Clubs unerörtert bleiben. Das paradoxe Verhältnis zur katalanischen Sache etwa, die für das Branding geschickt genutzt wird, während man das politische Ziel, den katalanischen Nationalstaat, naturgemäß fürchtet, da er den sportlichen Abstieg des Vereins bedeuten muss. Oder das beharrliche Pflegen eines linken Images, dem nicht bloß die langjährige Geschäftsbeziehung zu Qatar widerspricht. Auch die wahrscheinliche Verwicklung in den Fuentes-Skandal findet keine Erwähnung, was keine Nebensache ist, da ja bei aller Orientiertheit auf Technik und Taktik die Frage bleibt, wie ein Team von ungewöhnlich kleinen und schmalen Spielern über eine lange Saison hinweg diese Resistenz aufbauen und halten kann.

»Take the Ball, Pass the Ball«
Spanien 2018
Regie: Duncan McMath
Drehbuch: Graham Hunter
Länge: 109 Minuten
DVD-Start: 6. Dezember 2018

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in: junge Welt v. 13. Dezember 2018.

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