»White Boy Rick«
Dass ein Film ratlos macht, ist eines; was ganz anderes, wenn nicht einmal das noch stört. »White Boy Rick«, dem biographischen Picture des seinerzeit minderjährigen Drogenhändlers Rick Wershe, gelingt das Kunststück, eine außergewöhnliche Story belanglos bis zur Gleichgültigkeit zu machen. Im gemächlich verrottenden Detroit der 80er wird Richard, genannt Rick, zum Informanten des FBI. Die Operation gerät außer Kontrolle, als er tiefer in die Geschäfte einsteigt. Der neue Reichtum heilt zunächst einige Familienprobleme, doch schließlich wird Rick verhaftet und trotz Minderjährigkeit verurteilt.
Man kann es nicht höflich sagen. Der Film erweist sich als Bündel verpasster Gelegenheiten. Die Fabel ist lustlos, eher zäh als langsam erzählt. Mehrfach wechselt das dramaturgische Konzept, kippt vom Personendrama in den Aktionsplot und wieder zurück, und dabei wird weder Spannung gehalten noch ein Leitmotiv etabliert. Auch die filmischen Mittel wirken mehr verlegen als bescheiden. Der Einsatz der Handkamera bewirkt kaum was, dasselbe gilt für den Score und das Szenenbild. Nicht schlecht das alles, aber auch nicht gut.
Nahezu dunkel bleibt die politische Seite der Story. Sie reißt das Thema des in sich zurückgenommenen Staats an, der in Teilen der Gesellschaft seiner Funktion nicht mehr nachkommt und das Entstehen einer Schattenwelt nicht verhindern kann. Die FBI-Leute treten als partikulare Player neben anderen auf, als weitere Gang sozusagen. Ihre Arbeit ist resignativ, so dass sie gar nicht mehr darauf abzielt, den Drogenhandel zu zerschlagen, sondern nur, die Rollen neu zu besetzen. Sie erst stiften den jungen Rick zum Handel mit Drogen an. Nur reizt der Film das nicht aus, weder dramaturgisch noch im Dialog. Die Polizisten verschwinden hinter der Handlung; gerade ihre Hilflosigkeit, mit polizeilichen Mitteln bekämpfen zu wollen, was gesellschaftlich bedingt ist, wird hier nicht explizit.
Die stärksten Momente hat »White Boy Rick« in der Beziehung von Vater und Sohn. Richard Wersh sr. erscheint wie eine etwas weniger liebenswerte Version des Frank Abagnale sr. aus »Catch Me If You Can« (2000). In beiden Filmen (und ihren historischen Vorlagen) tragen Vater und Sohn dieselben Rufnamen, was das Thema der Identifikation glücklich illustriert. Die Väter haben den empathielosen Gewinner-Stuss der kapitalistischen Lebenswelt verinnerlicht, sind aber geschäftlich Versager und sehen folglich im eigenen Sohn die Möglichkeit, verpasste Chancen des Lebens zurückzuholen. Richard sr. legt in Richard jr. ein Mindset aus, das keinem anderen Zweck dient, als das eigene asoziale Verhalten zu rechtfertigen. »Löwen, nicht Lämmer« seien sie, sagt er seinem Sohn, und doziert anhand eines Beispiels um Fries und Burger, dass ein Verkäufer nicht bloß vorhandene Bedürfnisse befriedige, sondern gerade erst welche schaffe. Darin ist die Logik des Drogenhandels bereits vollauf angelegt.
Bei dieser Art Grundlegung scheint Ricks charakterliches Profil folgerichtig: egozentrisch handelnd, Empathie blockend, zurückgeblieben in der emotionalen Entwicklung, fast kindlich. Selten verrät sein Gesicht ein Gefühl. Richie Merritts reservierte, äußerliche Spielweise kommt dem entgegen, hat es in dieser Hinsicht gewiss auch leicht neben dem subtilen Spiel Matthew McConaugheys und dem intensiven Bel Powleys. In den Solo-Szenen tritt dann kaum merklich Tiefe in sein Gesicht, die Leere fällt etwas ab, man sieht, dass Rick nicht kaltlässt, was geschieht. Jene Leere darf verstanden werden als Rückzug vom Gefühlsleben nach früheren Verlusterfahrungen: der Mutter, die die Familie im Stich ließ, des Vaters, der sich als Erziehungsfigur selbst demontiert, der Schwester, die im Drogenrausch auf andere Art gleichfalls verlorengeht.
Dies zarte Psychogramm erhält jedoch kein Gegengewicht. Mehr noch scheint der Film um Mitleid für seine Hauptfigur zu werben, wenn Rick im Abspann als »nonviolent offender« mit furchtbar hoher Strafe bezeichnet wird. Das stimmt formal-juristisch durchaus, verrät aber, dass der Film hinter der vorgeschobenen Desorientierung eine genaue Richtung verfolgt.
»White Boy Rick«
USA 2018
Regie: Yann Demange
Drehbuch: Andy Weiss, Logan Miller, Noah Miller
Darsteller: Richie Merritt, Matthew McConaughey, Jennifer Jason Leigh
Länge: 111 Minuten
Starttermin: 7. März 2019
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in: junge Welt v. 7. März 2019.
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