»Push – Für das Grundrecht auf Wohnen«
Wohnen, so viel weiß jeder, ist längst zum größten Problem all jener Menschen geworden, die nicht wenigstens der gehobenen Mittelklasse angehören. Wenn etwa die Hälfte des Einkommens für Miete abfällt, stimmt was nicht. Zur Aufklärung der genaueren Zusammenhänge leistet Fredrik Gerrtens Dokumentation »Push« Unwahrscheinliches, indem sie dem Publikum sichtbar macht, was selbst routinierten Verächtern des Kapitalismus noch eine Nachricht wert sein müsste. Schon eigenartig dann, und fast ein Kunststück, dass dieser wertvolle Film am Ende des Abends doch mehr schadet als nützt. Er hat eine große Tendenz, und die besteht darin, sich der einen großen Tendenz zu verweigern.
Es geht um das Verdrängen von Menschen aus ihren Lebensbereichen, die sogenannte Gentrifizierung, um das aggressive Verhalten von ganz anderen Menschen, die von keinem Staat gehindert ihre Macht nutzen (eine Macht, die darin liegt, dass sie besitzen), um Wohnungen, die nicht mehr wie Gebrauchswerte, sondern wie Assets behandelt werden, und darum, dass die Immobilienpreise in den letzten Jahrzehnten um ein Vielfaches gestiegen sind im Verhältnis zum inflationsbereinigten Wachstum des durchschnittlichen Einkommens. Die Kamera springt von Toronto nach London und New York, von Seoul nach Berlin und Rom; dabei folgt sie hauptsächlich Leilani Farha, einer UN-Sonderberichterstatterin für das Menschenrecht auf Wohnen. Flankiert wird sie von der Städteforscherin Saskia Sassen, dem Ökonomen Joseph Stiglitz und Roberto Saviano, der ein Buch über die Involvierung der italienischen Mafia in den Wohnungsmarkt geschrieben hat. Manches Mal ist der Film schlicht auf den Punkt. Etwa wenn Stiglitz das theoretische Vermächtnis Milton Friedmans durchaus erschöpfend auf die Formel bringt, er habe den Kapitalisten die Argumente geliefert, sich moralisch keine Gedanken machen zu müssen.
Solche Momente aber bleiben vereinzelt, weil der Film teils das Begriffliche scheut, teils sich in falsche Konstruktionen verirrt. An der Oberfläche liegt das Phänomen der Gentrifikation. Hiermit beginnt auch »Push« und hätte von dort ab den naturalistischen Weg konsequent beschreiten können: intensiv, konkret, anschaulich erzählen, was es bedeutet, aus seiner Wohnung, seiner Gegend verdrängt zu werden. Nichts wirkt wie eine gut erzählte Geschichte. Der Zynismus, demnach Menschen, die sich das Leben in einer teuer gewordenen Gegend nicht mehr leisten können, eben einfach in eine andere ziehen sollen, würde unmittelbar am einzelnen Fall spürbar. Gegen die scheinbar universelle Forderung an den Menschen, sich verfügbar zu halten, träte die tatsächlich universelle Forderung des Menschen nach Sesshaftigkeit. Die könnte mithin als Bedingung des Menschlichen ergründet werden, als Freiheit zu Bindung und Sicherheit, wodurch allererst möglich wird, den Ortswechsel als Luxus (in Form der Reise nämlich) zu erfahren. Auch der geläufige Missgriff, Gentrifikation als kulturelle Frage zu deuten, hätte konterkariert werden können, indem das gezeigt und gesagt würde, was jeder weiß und doch bald wieder vergisst: dass es hierbei nicht um vegane Foodstores geht, die Currywurst-Buden verdrängen, sondern um Menschen, die die Mittel haben, und solche, die nicht.
Der Film will aber nicht bloß die Sache selbst ihre Wirkung entfalten lassen, er will belehren. Wogegen nichts sei, bloß, man muss es dann auch können. Beides, Theorie und Anschaulichkeit, wäre durchaus unterzubringen gewesen, vielleicht zum Preis der künstlerischen Einheit. Aber daran scheitert es gar nicht; die Begriffe, die hier fallen, sind einfach falsch. Das Volkstümliche ist schon schwer zu ertragen, wenn es lediglich seiner sprunghaften Natur folgt. Wo es versucht, sich in Begriffe zu gießen, wird es zum Ärgernis. Anstelle einer Kapitalanalyse am konkreten Gegenstand des Wohnungsmarkts handelt der Film mit Fetischware. Da ist vom »Monster« die Rede, womit noch reichlich vage »das System« gemeint scheint. Dann sind es die italienische Mafia und ausländische Investoren, die Wohnungen aufkaufen und (absichtlich) leerstehen lassen. Interessanterweise kommt die Politik aber kaum vor; sie scheint allenfalls sorglos oder träge, kein Wort darüber, wie sehr sie selbst in all das involviert ist. Saskia Sassen findet enorm wichtig, zwischen Banken- und Finanzsystem zu unterscheiden, als ob die Irrationalität des Systems erst durchs fiktive Kapital entsteht und nicht bereits durch das ordinäre G–W–G‘. Leilani Farha übersetzt Sassens Botschaft ins Volkstümliche: »Ich glaube nicht, dass der Kapitalismus das große Problem ist.« All das hat, so sehr es sonst auseinanderspringt, ein Gemeinsames: in alle möglichen Richtungen vom Begriff des Kapitalismus wegzuführen.
Und damit folgerichtig von seiner Bekämpfung und Überwindung. Ins Bild nämlich passt auch, dass Farha die UN für den geeigneten Ort hält, die Welt zu bessern, und als Instrument ihres politischen Handelns das Drüberreden angibt. Ihr Handeln ist der Versuch, an eine Vernunft zu appellieren, die im Vollzug des kapitalistischen Prozesses vorsätzlich ausgeschaltet bleibt. »Das mag naiv klingen«, sagt sie, und wer will ihr da widersprechen? Man schaut ihr einfach in die Augen, die stets besorgten, die hoffnungsvollen, und versteht, dass es in dieser Welt nicht ausreicht, bloß gut zu sein.
»Push – Für das Grundrecht auf Wohnen« [»Push«]
Schweden 2019
Regie und Drehbuch: Fredrik Gerrten
Mit: Leilani Farha, Saskia Sassen, Josef Stiglitz
Länge: 92 Minuten
Starttermin: 6. Juni 2019
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in: junge Welt v. 7. Juni 2019.
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