Dez 192019
 

»The Peanut Butter Falcon«

Zak (Zack Gottsagen) ist 22 Jahre alt. Abgeschoben von seiner Familie, die Liebe, Zeit oder Geldmittel auf ihn nicht verwenden will, wurde er in ein Altenheim sortiert. Es war die einzige Einrichtung, die in der strukturschwachen Region North Carolinas einen Platz für ihn hatte. Betreut werden muss er, denn er hat das Down-Syndrom. Je mehr man ihn im Lauf der Handlung kennenlernt – seine Träume, seinen Charme, seine Schlauheit –, versteht man, dass er in ein Heim, zumal für ausschließlich alte Leute, einfach nicht gehört. Er hätte das Recht auf ein assistiertes, gleichwohl selbständiges Leben.

Zak folglich reißt immer wieder aus, unbeugsam wie Cool Hand Luke, geduldig wie Henri Charrière, gewitzt wie Virgil Hilts und sehr viel schneller erfolgreich als Andy Dufresne. Auf seiner großen Flucht trifft er auf Tyler (Shia LaBeouf), einen erfolglosen Krabbenfischer, der seinerseits auf der Flucht ist, vor der fischenden Konkurrenz, die er bestohlen hat. Die beiden werfen sich zusammen, zunächst der Situation geschuldet, dann entwickelt sich erwartbar eine Freundschaft, während Zaks Betreuerin Eleanor (Dakota Johnson) sich auf die Suche macht und die beiden schließlich findet. Zusammen reisen sie durch die Flusslandschaft, auf der Suche nach der Wrestlinglegende Salt Water Redneck (Thomas Haden Church), von dem Zak ein VHS-Lehrvideo besitzt und bei ihm in die Lehre gehen will.

Was der Dramaturgie nach nicht mehr als ein stereotyp gestricktes Roadmovie ist, erhält sein Leben aus der Figurendarstellung, den Dialogen, der ruhigen Inszenierung, den Motiven und Anspielungen. Bei Tylers roter Kappe und der ungleichartigen Freundschaft auf dem Floß scheint man an »Forrest Gump« (1994) denken zu sollen. Die Sumpf- und Flusslandschaft der Südstaaten erinnert in einigen Szenen an »O Brother, Where Art Thou?« (2000), in anderen an »Papillon« (1973), insgesamt denkt man an die Flussfahrt von Jim und Huck in Twains »Adventures of Huckleberry Finn« (1884). Auch dort finden sich einer, der sich einem System der Unterdrückung entzieht, und einer, der halb-freiwillig auf der Suche nach dem besseren Leben ist, zur gemeinsamen Flucht zusammen.

Auffällt die Gestaltung der Nebenfiguren; der Film ist voller skurriler Typen, die nicht bloß dramaturgische Funktion besitzen, sondern einen ganz eigenen Charme stiften und Liebe der Autoren fürs charakterliche Detail verraten. Salt Water Redneck, der Besitzer einer Tankstelle, der blinde Prediger, Zaks Zimmergenosse Carl – es sind durchweg Männer allerdings, und es passt bedauerlich, insofern auch unter den drei Hauptcharakteren – Zak, Tyler, Eleanor – die Frau das blasseste Element bleibt. Ihre Aufgabe ist, stereotyp genug, die Fürsorge und Verantwortung zu wahren, während die Männer ihre Träume leben. Zudem bleibt sie im Trio stets der anorganische Teil, da Zak und Tyler nicht nur durch ihr Geschlecht und das gemeinsame Ziel geeint sind, sondern auch darin, dass beide ihre Familien verloren haben. Zak, indem er verstoßen wurde, Tyler, indem er den Tod seines Bruders bei einer Autofahrt verursacht hat. So bilden die beiden und schließlich die drei eine sekundäre Familie, die der biologischen Bindung nicht bedarf und, befördert durch den Zufall, durch Zuneigung zusammengehalten wird. »Freunde sind die Familie, die du dir aussuchst«, heißt es am Anfang. Das ist nicht neu, gewiss, aber Kunst erhellt auch nicht, sie bringt zum Aufleuchten.

Erstaunlich stark erinnert »The Peanut Butter Falcon« – so übrigens Zaks selbstgewählter Nom de guerre, Wrestler brauchen sowas – an einen kaum bekannten, kenianischen Film des letzten Jahres: »Supa Modo«. Hier wie dort dreht sich das Geschehen um einen jungen Menschen, dem physische Grenzen gesetzt sind, der aber einen Traum lebt, Jo aus »Supa Modo« will Superheldin, Zak möchte Wrestler sein. Hier wie dort teilt sich das Umfeld der jungen Helden in einen Teil, der Fürsorge über Selbstverwirklichung stellt, und einen, der es umgekehrt handhabt. Beide Filme, schon weil sie Kunstwerke sind, ergreifen naturgemäß Partei dafür, den Traum zu leben. »Er kann ja nicht ewig üben«, sagt der Wrestlinglehrer, als er Zaks ersten Kampf anbahnt. Ohne den Griff übers Vorhandene hinaus gibt es keine Kunst. Es muss im Leben mehr als bloß alles geben.

Anders aber als in »Supa Modo« wirkt das Ende hier etwas ratlos. Die angebahnten Konflikte werden nicht gelöst, weder im Wort noch durch Handlung. Und es fehlt die große ästhetische Geste, mit der sich dieser Mangel kompensieren ließe. Den Helden einfach auf den Sonnenuntergang zureiten lassen, das geht nur, wenn er das Problem, mit dem er zu kämpfen hatte, bewältigen konnte. Ist das Ende aporetisch, muss die Auflösung wenigstens ästhetisch sein. Die Aporie verlangt nach Kunst, die hier, am Ende dieses schönen, lange Zeit kunstvollen Films, seltsamerweise fehlt.

»The Peanut Butter Falcon«
USA 2019
Regie: Tyler Nilson, Michael Schwarz
Drehbuch: Tyler Nilson, Michael Schwarz
Länge: 93 Minuten
Starttermin: 19. Dezember 2019

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in: ND v. 19. Dezember 2019.

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