Jun 192009
 

Als aber die frühgeborene erschien, die rosenfingrige Eos …

Aller Anfang ist schwer, heißt es, und müßte doch heißen: Aller Anfang ist falsch. Der Anfang ist eine widersinnige Sache, in der gesetzt wird, was doch erst späterhin erlangt werden kann. Vielleicht war es dieser Gedanke, der Parmenides zu jenem Ausspruch brachte, wonach dorthin, von wo aus er anfange, er jedenfalls auch wieder zurückkehren werde. Fasse ich spätere Philosophen ins Auge, die ebenfalls die Frage nach dem Anfang gestellt haben – Aristoteles etwa, Kant und Hegel – so sehe ich, daß auch sie es darin nicht viel weiter gebracht haben als Parmenides. Mag sein, sie haben die Frage bereichert; die Antwort nicht.

Ich habe also nicht den mindesten Druck, wenn ich den Anfang dieses Journals mit einer bodenlosen Unterbietung des hier angestrebten Niveaus, einer unbotmäßigen Subjektivität beginne, indem ich, der ich eben dabei bin, einen Blog zu eröffnen, zu diesem Anlaß ein älteres Pamphlet aus meiner Feder publiziere, worin ich das Blogging als ganzes Genre verdamme:

Über Blogs und Blogger, das ist lange fällig, sollte ich wirklich mal ein Grundsatzurteil fällen: Ein Blogger ist einer, dem niemand, der nicht dafür bezahlt wird, etwas für seine Gedanken bezahlen würde und der sich auch sonst keiner Förderung erfreut. Er wird nicht gedruckt, so muß er bloggen. Es mangelt ihm sowohl an Talent als auch an Beziehungen. Letzteres ist Pech, und ersteres, nunja: keiner kann für den Kopf, mit dem er geboren wird. Es ist möglich, mit einem anschaulichen und für jedermann verständlichen Beispiel zu beschreiben, was ich meine: Hätte es in der Deutschen Demokratischen Republik, dieser sympathischen kleinen ostelbischen Diktatur, bereits das Internet gegeben, so wäre Lutz Rathenow nicht Dissident, sondern Blogger geworden. Das Internet ist der Ort, wo das, was früher aus schriftstellerischem Mißerfolg in Politik machte, heute schriftstellerisch reüssieren kann. Das mag die Politik etwas weniger anstrengend gemacht haben, das Leben sicher nicht. (Überhaupt ist eines der entscheindenden Merkmale des Sozialismus, daß er die Gefechte, die heute in der Gesellschaft ausgetragen werden, in der Politik ausgetragen hat.) Ferner: Über das Unglück mangelnder Forcierung und den Mangel an Begabung hinaus bedarf der Blogger, um einer zu sein, noch eines übermäßigen Mitteilungsbedürfnisses sowie einer zielstrebig gegen Null gehenden Substanz an Mitteilenswertem. Ersteres, damit er tatsächlich die anhaltende Lust verspürt, seinen Blog zu betreiben; denn was bliebe von einem Blog, zöge man von ihm die Zeitnähe von Gegenstand und Kommentar sowie die Menge der Meldungen ab? Der Mangel an Substanz wiederum ist an Bloggers Blöggen deshalb unvermeidlich, weil es ganz unmöglich ist, mit Regelmäßigkeit geistig Wertvolles zu produzieren. Selbst einem Genie gelingt das nur in Abständen; und wer seine Zeit auf das Betreiben von Blöggen verwendet, ist für gewöhnlich kein Genie. Der Blogger also, um es zusammenzufassen, tut etwas, das niemand außer ihm verrichten könnte, das er aber gerade dieser Eigenschaft wegen niemals wird gut verrichten können.

Gerechtigkeit indes ist, den Blogger als den Gaukler zu behandeln, der er ja auch ist. Ich würde, das ins Protokoll, einem Blogger im Leben kein Geld leihen, ihm kein Wort glauben noch einem überhaupt die Hand geben. Ich wollte, darauf mein Wort, lieber meine Tochter in den Iran verkaufen, als sie einem Blogger zur Frau zu geben. Und ich werde, das ins Testament, nur dann glücklich sterben, wenn ich am Ende meines Lebens sagen kann: Diese Welt ein wenig mehr vom Einfluß der Blogger befreit zu haben ist ein bißchen auch mein Werk.

Es ist kaum abzustreiten, daß in dieser subjektiven Polemik ein kräftig Maß an Objektivität verpackt ist. Ein Blog ist ein romantisches Medium, ein mustergültiger Sprößling des Internets, als welches ein Aggregat romantischer Genres ist. Doch eigentlich ist das Blogging älter als das Internet; früher nannte man dergleichen Tagebuch, Bekenntnisse oder Arbeitsjournal. Erzeugnisse, die uns von Literaten unter diesen Titeln angeboten werden, haben alle gemein, daß sie das Peinliche, Unerhebliche und Unfertige als der Erwähnung wert ausgeben. Es ist ein Merkmal der Romantik, nicht an Resultaten, erst recht nicht an vollkommenen, interessiert zu sein. Der Klassiker arbeitet; der Romantiker veröffentlicht ein Arbeitsjournal.

Wenn also das Blogging ein Kind des Internets ist, dann unzweifelhaft ein adoptiertes.

Doch was zeichnet den Menschen aus, wenn nicht seine Neigung, Widerstrebenes unter einen Hut zu bringen? Das wäre eine langweilige Welt, in der Praxis und Theorie nicht fortwährend miteinander im Streit lägen und nichts täten, als sich fortwährend gegenseitig zu bestätigen. Keineswegs irrsinnig handelte einst Herr Karl Marx, als er einerseits darauf bestand, daß das Bewußtsein der Menschen vom gesellschaftlichen Sein bestimmt sei, anderseits aber mit nichts anderem als ebendiesem Bewußtsein ebendieses Sein zu ändern und also neu zu bestimmen trachtete; ein Vorgang, der seiner eigenen Theorie zufolge eigentlich unmöglich sein mußte. Woran man sieht: Was immer Marx war, ein Langweiler war er nicht. Und die Brauchbarkeit eines romantischen Mediums für die Zwecke der Klassik zu erweisen mag nun auch allerlei sein, aber gewiß nicht langweilig.

  2 Responses to “Es dämmert …”

  1. Nieder mit dem „Weiterlesen-Button“!

  2. Der „Weiterlesen-Button“ bleibt, und wenn Sie wirklich der Typ im Der_Typ_im_Willi_Wildpark_Kostüm sind, werden Sie vollends verstehen, was ich meine, wenn ich Ihnen sage: Der bleibt genauso lange wie Edmund Becker.

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