Sep 262009
 

Diese Sorte Artenschutz haben nicht nur DIE GRÜNEN im Programm. Mich läßt das kalt. Es gibt Tiere, die braucht kein Mensch: Mammuts z.B. oder Delphine. Und Wahlen, die braucht nun wirklich niemand; und diejenigen, die wählen gehen, die am allerwenigsten. (Falls Sie übrigens glauben, daß das, was einer braucht, und das, was einer denkt, daß er es braucht, ohne weiteres identisch ist, lesen Sie ruhig einmal das Polos-Gespräch in Platons Gorgias.)

Von meinem Recht, an den Wahlen dieses Landes nicht teilzunehmen, mache ich seit Perioden unerträglicher Regierungen Gebrauch, nicht erst seit der gegenwärtigen. Und ich lebe gut damit. Es lebt sich einmal besser, wenn man von dem Kakao, durch den man gezogen wird, nicht auch noch trinkt. Ich nenne es nicht nicht wählen, ich nenne es nichtwählen. Sie gehen morgen wählen? Gut, ich gehe nichtwählen. Ja, das ist eine Tätigkeit. Und nicht die schlechteste. Es ist auch ein Votum, und zwar ein eindeutiges. Es drückt aus, daß man mit diesem parlamentarischen Betrieb, in dem man lediglich zwischen verschiedenen Ausprägungen des Unzumutbaren wählen kann, nicht einverstanden ist; mithin nicht einverstanden mit der Weise dieses Betriebs, genannt Wahlkampf, worin das Wort zum Schlagwort verkommt, der Gedanke zur Parole, worin um die Massen geworben wird, indem der Menschen niederste Instinkte angesprochen werden: Angst, Neid, Haß und Egoismus. Wer um den Pöbel wirbt, der pöbelt eben.

Ich bin nicht naiv. Wer nichtwählt, entzieht sich dem Einfluß jenes Betriebs keineswegs. Die Regierung regiert eben nicht nur diejenigen, von denen sie gewählt wurde. Man hat keine Wahl, was immer man wählt. Was man überhaupt nur tun kann, das ist, eine Weise zu finden, damit umzugehen. Der Nichtwähler, indem er nichtwählt, kann sich gegen das Unzumutbare geistig erheben. Eine unabänderliche Sache begriffen zu haben bedeutet, sie auch dann ertragen zu können, wenn sie unzumutbar ist. Zumindest solange, als sie tatsächlich unabänderlich ist.

Der Nichtwähler ändert nichts. Das hat er mit dem Wähler gemein. Aber er unterscheidet sich vom Wähler darin, daß er seine Einflußlosigkeit begriffen hat.

Der Nichtwähler, nebengesagt, ist der einzige Wähler, der von seiner Partei nach der Wahl nicht betrogen wird.

Von allen dummen Sprüchen zum Thema Wahlen habe ich den am liebsten: Geht wählen! – Das heißt so viel wie: Es ist egal, was ihr wählt, solange ihr es überhaupt tut.

Nein, es ist nicht egal, was man wählt. Im Gegenteil. Dieses Was ist an der Wahl das Eigentliche. Wählen ist ein transitives Verb. Man kann nicht wählen; man kann immer nur etwas wählen. Und dieses Etwas ist wesentlich der Inhalt des Vorgangs. Folglich gilt, daß in einer Situation, in der man nichts zu wählen hat, nur eines zu wählen ist, nämlich nichts.

Höre ich was vom kleineren Übel? Ja, das geht nun auch schon so seit 1919 (oder länger). Je größer das Übel, desto bereitwilliger verweist man auf das kleinere. Die Erfahrung ist doch aber eine andere. Bertolt Brecht schrieb einmal:

Und bald darauf hörte ich sagen:
Jetzt sei alles schon eingeränkt.
Wenn wir das kleinre Übel tragen,
Dann wird uns das größere geschenkt.

Das sind nicht nur die Erfahrungen der Weimarer Republik; das sind auch unsere. Ich erinnere mich an sechzehn finstere Jahre, in denen die Menschen nur die Wahl zwischen der Pest und der Kohl-Ära hätten. Schließlich haben sie dann die Pest gewählt; und niemand, der heute noch bestreiten könnte, daß seitdem alles noch viel schlimmer geworden ist. Auf den vier wichtigsten gesellschaftlichen Sektoren – Sozialsystem, Gesundheit, Bildung und Kultur – gibt es seit mehr als zwanzig Jahren nur eine Bewegung, das Abwärts. Und diejenigen Phasen, in denen das sogenannte kleinere Übel (die SPD) dieses Abwärts verantwortete, waren gerade diejenigen, in denen das Abwärts das stärkste Gefälle aufwies.

Das kleinere Übel ist eine Art moderner Yeti: Alle reden davon, aber getroffen hat es noch keiner.

Also wenn Sie morgen wirklich an der Urne stehen, dann denken Sie daran, daß es in diesen Land auch Menschen gibt, die ihre Stimme ernstnehmen und sie nicht so ohne weiteres an eine Partei verschenken.

  5 Responses to “Rettet die Wahlen”

  1. […] Bartels (und Zustimmung) […]

  2. Sieh an, sieh an:

    Wenige Stunden vor Schließung der Wahllokale zeichnet sich in vielen Bundesländern eine noch niedrigere Beteiligung an der Bundestagswahl ab als 2005.

    http://www.tagesschau.de/wahl/wahltag170.html

    Wenn ich gewußt hätte, was ich mit meinem Plädoyer so anrichte …

  3. […] sieht es aus. Hat der Felix in “Rettet die Wahlen” […]

  4. Die Wahl gibt uns die Möglichkeit, unsere Kräfte einzuschätzen; jetzt können Ihnen die Bataillone sagen, wie groß die Armeekorps des deutschen Sozialismus sind, die in den Wahltagen Revue passieren. […] es ist gut, daß man einmal in drei Jahren die Todsünde begeht, zur Wahl zu gehen. Die Herren Abstentionisten können sagen, was sie wollen; eine einzige Tatsache wie die Wahlen vom 10. Januar ist mehr wert als alle ihre „revolutionären“ Phrasen.

    Friedrich Engels, Brief über die deutschen Wahlen, 1877

  5. Die Wahl ist der Rummelplatz des kleinen Mannes. Einmal alle vier Jahre tun wa so, als ob wa täten. Aber uffjelöst und rejiert wern wa doch.

    Kurt Tucholsky

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