In der jungen Welt von heute lese ich einen Satz, der die Achtundsechziger Bewegung beschreibt, ohne ihr die mindeste Karikatur anzutun, worin, will ich sagen, diese Bewegung und ihre politische Funktion vollständig aufgeht und doch in ihrem ganzen Elend und ihrer ganzen Läppischkeit festgehalten ist:
[Joseph] Fischer ist einer aus der Garde der Revolutionären Kämpfer in Frankfurt am Main von 1968 und seither politisch festgelegt. Wie die Mehrheit seiner Mitläufer war er für jede Kritik am Kapitalismus zu haben, wenn sie so dämlich war, daß der Kapitalismus im Vergleich zu ihr gut ausschaute.
Der Autor dieser Zeilen zeichnet mit asc – ein Akronym von Arnold Schölzel, des Chefredakteurs der jungen Welt. Schölzel, wie man weiß, ist einer, der Hacks gelesen hat. Es überrascht daher kaum, daß es sich bei dem hier zitierten Gedanken um nichts anderes als um die Anwendung einer Bestimmung handelt, die Peter Hacks bereits im Jahr 1980 vorgenommen hatte und die Schölzel mit Sicherheit kennt. Allerdings schrieb Hacks seinerzeit nicht über die Achtundsechziger Bewegung, sondern über die Romantik; er folgte seiner Gewohnheit, politische Gegenwartskämpfe im Gewande historischer Stoffe (in seinen Dramen ebenso wie in der Lyrik, Epik und den Essays) abzuhandeln. Er hielt sich einmal nicht bei den Folgen auf, sondern pflegte an die Wurzel zu gehen, und alle Ereignisse des 20. Jahrhunderts haben ihre Wurzel im 19., dort wurde der Geist gesäht, der im nächsten Säkel Tat werden sollte: Der Faschismus war, ideologisch gesehen, ein Gemisch aus Nietzsche und Gobineau/Chamberlain. Die bürgerliche Gesellschaft verwirklichte sich in der Reinform, in der sie Marx beschrieben hatte, erst im 20. Jahrhundert. Der Sozialismus schließlich war der Kreuzpunkt aus der gesellschaftlichen Umwälzung, die Marx ersonnen, und der politischen Konzeption, die Lassalle (respektive Hegel und Goethe) angedacht hatte. Auch die Bewegung der Achtundsechziger hat ihre Wurzeln im 19. Jahrhundert, sie ist das Kind der deutschen Romantik. Hacks also schreibt:
Die Romantik war die leichte Erwiderung auf die neue Lage; auf die wären die Klassiker, hätten sie es sich leicht machen wollen, auch gekommen. Die romantische Ästhetik ist einfach die Ästhetik des bürgerlichen Zeitalters. Der Kapitalismus unterscheidet sich von den übrigen Gesellschaftsformen dadurch, daß es unmöglich ist, ihn ins Gesicht hinein zu loben. Die Romantik ist die Summe der Mittel, es hinterm Rücken zu tun. Sie schlug die sofortige Abschaffung des Kapitalismus vor, und jeder sah, daß das nicht ging. Sie forderte seine vollständige Zurücknahme und die Heimkehr in gesellschaftliche Zustände, in die heim keiner wollte. Sie setzte der Wirklichkeit jedes beliebige Unwirkliche entgegen, erklärte Träume für Handlungen, Verwirrung für Untersuchung, Innen für Außen, und alle Welt begriff, in wie unerschütterlichem Maße das Wirkliche das Wirkliche war. Welche Einwände die Romantik gegen den Kapitalismus immer erhob, sie waren von dem Grad der Albernheit, daß sie in Gründe für ihn umschlagen mußten. Die Übermäßigkeit der Flucht vor ihm wurde zum Beweis seiner Unausweichlichkeit. Die Klassik bestritt nicht die Vorzüge des Kapitalismus, aber die Romantik verherrlichte ihn, indem sie ihm einige der Eigenschaften Gottes zuschrieb: die Allmacht, die Unveränderbarkeit und die Ewigkeit.
Das Romantische ist an der Achtundsechziger Bewegung das Allgemeine; deswegen trifft, was auf jene trifft, auch auf diese so gut.
Warum fällt der Begriff des Romantischen in politischen Zusammenhängen so selten? Vielen wäre geholfen, und es herrschte entschieden mehr Klarheit, nennte sich z.B. die Partei DIE LINKE einfach DIE ROMANTISCHE.
One Response to “Die Kunst des performativen Lobens”
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