Mrz 102012
 

Monsieur: Die Versuchung, die Karlsbader Beschlüsse jedesmal mit dem Beiwort »die segensreichen« zu versehen, ist groß. Aber der Herausgeber hat natürlich neutral zu bleiben.

Madame: Wenn ich den Herrschern dieser Welt einen Rat erteilen sollte – aber mi froogt ja koaner –, dann diesen: Erlasse nie ein Gesetz, das Du nicht auch durchsetzen kannst.

Monsieur: Karlsbad war wirksam. Es hat Jahn kalt gestellt und Ernst Moritz Arndt auf Jahre zum Sozialfall gemacht. Und die Linken, die später darunter litten, waren auch meist Idioten.

Madame: Ich meine nicht mal die Linkenverfolgung, die ja tatsächlich gegen die Volkstümlerverfolgung nicht ins Gewicht fällt. Ich meine nur, daß das nichts gebracht hat. Gut, man gönnt dem Jahn die Verhaftung, und man ist erfreut über die Verhinderung Arndts. Aber endlich haben sie, in Gestalt des Nationalsozialismus, des rassisch motivierten Antisemitismus, der bis heute vor sich hin schwelenden Volkstümelei, doch obsiegt. Man kann das verbieten, aber damit verbannt man es nur in die Subversion. Gegen Ideen, sage ich, kommt man nur mit Ideen an. Gegen Praxen mit Praxen. Natürlich ist das übertrieben, aber you get the drift. Die Karlsbader Beschlüsse wollten Ideen durch eine Praxis verhindern. Das war keine gute Idee.

Monsieur: Die Beschlüsse haben natürlich nicht die Ursachen der Dummheit bekämpft, sondern deren Auswirkung. Und mehr konnten sie ja auch nicht tun. Man muß wirklich den konkreten Zeitzusammenhang sehen: Während die Herren im August 1819 in Karlsbad zusammensitzen, breiten sich die Hep-Hep-Unruhen wie eine Welle in Dt. aus. Und dann verabschiedet man in Karlsbad die gesetzliche Grundlage zum militärischen Eingreifen über die Bundesstaatsgrenzen hinaus. Das war ein entscheidender Schritt hin zum Zentralstaat, und die gesetzliche Grundlage zur Bekämpfung jener femeartigen Schlägerbanden, ob sie nun frankophob, antisemitisch oder (wie Hegel den Trieb dieses Gesindels zusammenfaßte) vom »Haß gegen das Gesetz« beseelt waren. Gesetze, da sind wir uns doch einig, hindern die Leute nicht daran, ihren Haß zu haben, sondern nur daran, ihn in die Tat umzusetzen. Ich muß immer lachen, wenn ich an Giordanos Vorwurf des »Verordneten Antifaschismus« der DDR denke. Ja, soll man den Antifaschismus denn nicht verordnen?

Madame: Okay, das sticht. Soweit, die Blödheit, Hetze usw. zu verbieten, gehe ich mit. Ich gehe auch dahin mit, daß hier – aus Angst zwar, doch immerhin – der erste wichtige Schritt aus der Kleinstaaterei getan wurde. Ich meine nur, daß keine Idee dagegen gesetzt wurde. Vielleicht, ich gebe es zu, war es noch zu früh für Bismarcksche oder gar Rathenausche Ideen. Der Staat ist keine Idee, er ist ein Mittel.

Monsieur: Zugestanden, der territoriale Absolutismus hatte keine Idee, nur die Negation einer Idee. Er war nicht fortschrittlich, aber immerhin gegen den Rückschritt. Er begriff die völkische Bewegung als Gefahr, nicht deswegen, weil sie allgemein eine Gefahr war (was natürlich zutrifft und der gewichtigere Grund gewesen wäre), sondern weil sie ihn gefährdete. Mit dem ständischen, antimodernen, volksgemeinschaftlichen Un-Staat, den Arndt, Fichte und Jahn im Sinn hatten, konnte sich kein Etatist dieser Tage abfinden. Feme statt Beamtenapparat, Kleiderordnung statt Emanzipation, Rottengeist der Rackets statt Objektivität des Code civil, da gab es allerdings keine Alternative, die noch bedrohlicher war. Dagegen war sogar die halbherzige & träge deutsche Reform des absolutistischen Staates des Bessere, so ideenlos und disparat sie war. Die Idee hatte sich dieser Tage versteckt, aber gottlob nicht sehr gut. Sie war bei Hegel, bei Ascher, bei Gans und ein bißchen bei Marx. Also eigentlich bei Lassalle. Aber den hat auch nie einer gefragt. Die Idee hat lange gebraucht, bis sie wieder auf der Höhe der Zeit war.

Madame: Diese Ideen bedurften, glaube ich, weniger einer Produktivkraft als politischer Möglichkeiten. Das Klein-Klein der Partikulargewalten mußte weichen, um den Blick auf die großen Perspektiven zu eröffnen. Und das hatte im Grunde Napoleon schon sichtbar gemacht. Es ging dann eben, wie das so geht, nur nicht geradeaus, sondern wurschtelnd und über allerhand Um- und Schleichwege, bis die Ideen in der Politik ankamen.

Monsieur: Und eine der schwierigsten Fragen überhaupt lautet: Warum ist das so? Warum wurschtelt die Geschichte, das Leben überhaupt, warum geht das nie den Maßgaben der Vernunft entsprechend? Warum setzt sich der Weltgeist stets auf diese grauenhafte Weise durch? Kann er nicht mal einfach nur triumphieren, so wie in der Kunst oder in der Philosophie?

Madame: Natürlich, es liegt an den Menschen. Und vielleicht noch am Wetter. Jedenfalls geht Politik eigentlich nur ohne Menschen und kann nie ohne sie gehen. Daher das Wurschteln, das Irrationale. Das Wurschteln aber, das ist eben Politik. Politik kann zu vernünftigen Ergebnissen führen. Aber sie kann niemals vernünftig sein.

Monsieur: Möchtest du auch einen Kaffee?

Madame: Gern. Wie hat denn Arsenal heute gespielt?

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