Mrz 262014
 

In der Ästhetik von Peter Hacks, also jenem System, das sich aus seinen poetologischen Aussagen destillieren läßt, ist nach meinem Urteil eine Fehlerstelle, die unnötig ist. Fehlerstellen, das zur Einschränkung, können natürlich notwendig sein, indem sie sich z.B. aus bestimmten Prämissen ergeben, deren Verwendung aus wiederum bestimmten Gründen unvermeidlich ist. Die Fehlerstelle, von der ich spreche, ist insofern unnötig, als Hacks die größte Menge seiner besonderen ästhetischen Urteile, die ja in aller Regel aus seinen ästhetischen Prinzipien gewonnen sind, auch hätte erlangen können, wenn diese Fehlerstelle nicht vorhanden gewesen wäre. Ein Fehler, der zu guten Ergebnissen führt, ist eine Laune der Logik. Ein Fehler, ohne den man ebenso gut auf Belangvolles hätte gekommen sein können, ist bloß überflüssig. Ich spreche von Hacksens Behauptung, daß Gattungsfrage und Realismusfrage zusammenfallen (aufgestellt im Vorwort seiner »Bestimmungen«). Hätte Hacks diese Verknüpfung nicht vollzogen, hätte sich am restlichen Gefüge seiner ästhetischen Aussagen kaum etwas geändert. Freilich: So manche Herleitung und Begründung wäre etwas verwickelter ausgefallen.

Die Begründung ist schrecklich einfach: Die Gattungsform eines Kunstwerks erkennt man daran, daß sie funktioniert. Das Funktionieren von Kunst erkennt man an seiner ästhetischen Wirkung. Daß es Gefallen erregt auf tragische, komische, idyllische, elegische oder sonstige Weise. Den Realismus eines Kunstwerks erkennt man in seinem Gehalt, seinem Bezug zur Welt, also daran, daß sich die Rätsel des Werks als Welträtsel verstehen lassen. Genaugenommen ist Realismus kein ästhetischer Begriff, sondern ein erkenntnistheoretischer. Es gibt Realismus ohne Gattungstreue und Gattungstreue ohne Realismus. Das Gattungsmäßige ist ein eigenes Prinzip. Das Realistische ebenfalls. Weder logisch noch von der Evidenz her ist die Zusammenfügung beider Prinzipien nachvollziehbar.

Hacksens Motiv scheint gewesen zu sein, daß er in seinem Gebälk ein Knirschen vermeiden wollte. Tatsächlich scheinen der Realismus und das Gattungsgemäße die beiden Säulen zu sein, auf denen Hacksens Ästhetik steht. Da war offenbar ein Bedürfnis, die beiden zu klammern, so als ob er nicht wollte, daß jemand einen Keil zwischen diese beiden Standbeine treiben und das eine gegen das andere auszuspielen kann. Er hat damit manchen Umweg, manche widersprüchliche Herleitung umgangen, und jedes Argument, auch ein zwingendes, macht ein Kalkül schwieriger, weil mit jeder Aussage ein weiterer Widerspruch in es eingebracht wird. Abkürzungen aber sind zumeist nichts anderes als verschleierte Abbrüche. Man kann ein Ziel erreichen, ohne es zu erreichen. Dann nämlich, wenn auf dem Umweg Wichtiges zu holen war. In der Tat steht man, will ich meinen, auf seinen zwei Beinen besser, wenn man sie nicht zusammenklammert, sondern sich durch einen angemessenen Abstand der beiden einen sicheren Halt verschafft.

Sorry, the comment form is closed at this time.