Apr 072014
 

Ich mag den Begriff der Kulturindustrie nicht sonderlich, weil er Mißgönnen und Vergnügungsfeindlichkeit hervorruft und wohl auch meint. Er attackiert die Postmoderne, und zwar gerade an dem Punkt, den ich für ihren besten halte: an der Reinstallierung des Publikums als befugte Menge. Ich mag die Aufwertung der U-Kunst und den Versuch, die Maßgaben der Kunst auch in den neuen, elektronischen Medien wiederzuentdecken. Was U- und E-Kunst unterscheidet, ist nicht ihr ästhetischer Wert, sondern ihr weltanschaulicher Zugriff.

Die U-Kunst will nichts als wirken, und sie erreicht infolge dessen eine intensive Wirkung. Die Wirkung der E-Kunst ist weniger intensiv, weil sie Raum für Gehalt läßt, die ästhetischen Mittel folglich sparsamer benutzt und eine Art noble Langeweile erzeugt. Sie versucht nicht aktuell zu sein, weswegen sie einen längeren Atem hat. Gegen »Noises off« oder den »Raub der Sabinerinnen« ist die ästhetische Wirkung des »Hamlet« geradezu schwach; aber er klebt nicht an seinem Stoff oder am Boden seiner Entstehungszeit. Deswegen, und nicht, weil er etwa als Drama unbedingt besser wäre, hat er eine länger anhaltende Wirkung als die zeitlichen Dramen. Es darf, es muß beides geben, den Griff ins Große und die Massenkultur. Es gibt ja auch beide Bedürfnisse, die Lust auf Höheres und die Lust nach Zerstreuung, und wenig vom einen ist im anderen ja auch immer auch enthalten.

Weder die Verwandlung des Kunstwerks in eine Ware noch die modernen Medien haben der Kunst geschadet.

Denke ich. Und dann treffe ich das Immergleiche. Es begegnet mir auf dem Flur eines Tonstudios, zückt den Hut, hält mit dem Fuß die Tür zum Aufnahmeraum offen und sagt: Treten Sie ein, hier gibt es Das Besondere.

Der Vorgang ist: Disney hat einen furchtbar kitschigen Film mit einem furchtbar kitschigen Song unterlegt, der auf den Namen »Le it go« hört. Der Song wurde für die jeweiligen Versionen in 25 Sprachen oder Dialekte übersetzt und von ebenso vielen Sängerinnen eingesungen. Es sind, die Bilder beweisen es, 25 verschiedene Sängerinnen, von denen das Ohr aber kaum etwas hört: ohnehin ähnliche Stimmen, die mit identischer Intonation und identischen rhythmischen Dauern dasselbe Playback in ihrer jeweiligen Sprache einsingen. So originell wie ein Eierbovist bei Regenwetter. Die wenigen Ausbrüche aus dem Muster müssen folglich auch eher als Versehen denn als Suche nach dem Besonderen verstanden werden.

Für einen kurzen, wirklich sehr kurzen Moment möchte man zum kritischen Kunstrichter werden und sich des verklemmten Schimpfworts »Kulturindustrie« bedienen. Aber die moderne Technik, die Warenform, die globale Vermarktung sind dennoch nichts als die Schauplätze, auf denen sich das Immergleiche nunmehr abspielt. Ich habe genügend durchschnittliche Dramatik des 18. Jahrhundert gelesen und genügend Kammer- und Kirchenmusik von der Stange gehört, um mich daran zu erinnern, daß Langeweile aus Durchschnittlichkeit und Durchschnittlichkeit aus Langeweile von jeher die Mehrheit der Kunstäußerungen ausgemacht haben und der Vorzug der Antike einzig darin besteht, daß die Unzahl an Verlierenswertem dort auch tatsächlich verloren ist. Das Immergleiche ist eigentlich ein zweifaches: das Immergleichgute und das Immergleichschlechte.

https://screen.yahoo.com/let-multi-language-behind-mic-224313518.html

Sorry, the comment form is closed at this time.