Jul 162014
 

Bei Fußballkommentatoren werde ich immer traurig. Es gibt wohl keinen Berufsstand, dessen Vertreter so durchgehend Ablehnung erfahren. Sogar Investmentbankern, sogar Anwälten, sogar den jeweiligen Vorsitzenden der Grünen wird wenigstens punktuell etwas Unterstützung zuteil.

Natürlich sind sie alle Schmocks. Und natürlich wird man sich darauf einigen können, daß es auch in diesem Berufsstand ein Besser und Schlechter gibt. Daß Bela Rethy vielleicht doch etwas erträglicher ist als der zwanghaft parteiliche Tom Bartels. Oder daß die Inkompetenz eines Thomas Herrmann unerreicht ist, weshalb dieser Berufshysteriker völlig zu Recht beim Spartensender Sport1 sein Dasein fristet. Oder daß man, vor die Wahl zwischen Waldi Hartmann und Manni Breuckmann gestellt, stets Tor 3 nehmen sollte. Vielleicht wird man es auch traurig finden, daß es kaum Frauen in diesem Beruf gibt, und wenn sich dann doch eine durchsetzen konnte, hat sie wie Sabine Töpperwien alles Weibliche aus ihrer Stimme entfernt und kann in puncto maskuliner Schrulligkeit durchaus mit dem schrecklichsten der Schrecken, dem von Geburt an der Ruhr krankenden Werner Hansch, mithalten.

Doch der Haß gegen die Fußballkommentatoren liegt kaum im Verhalten oder Können der Kommentatoren selbst – alle Berufe werden ja mehrheitlich von Nichtkönnern ausgeübt –, sondern entsteht genuin auf der Seite des Publikums. Fußball ist, auf die Masse gerechnet, eine Sportart, die mehr als durchschnittlich Emotionen hervorruft. Fans reden darüber selten anders als erregt, und worüber sie am liebsten reden, ist nichts anderes als das, worüber auch Fußballkommentatoren am liebsten reden. Da geht es kaum je um Taktik, Ballführung oder Methoden des Trainings, sondern zunächst einmal um Schiedsrichterentscheidungen, Schiedsrichterentscheidungen und Schiedsrichterentscheidungen, nächsthin noch um Mentalität & Leidenschaft der geliebten Mannschaft, den Charakter der einzelnen Spieler, die Beziehungen der Spieler zueinander und, je nach sozialem Ort, noch um die Skandale der FIFA oder um den ethnischen Charakter der gegnerischen Spieler (der Neger neigt zum Hampeln, der Italiener zum Fallen, der Spanier zur gepflegten Langeweile, der Uru zum Treten, der Holländer zum Haß gegen die Deutschen).

Der Tod eines jeden Gesprächs über Fußball ist die Diskussion über den Schiedsrichter. In der Frage, ob dies ein Foul oder jenes ein Abseits war, ob der da Rot oder sein Gegenüber drei Spiele Sperre verdient habe, liegt nicht der geringste Erkenntniswert. Es ist das blanke Historische, was dort verhandelt wird, ohne jeden philosophischen Zusatz. Es geht um Rechthaberei und nicht darum, einer Sache auf den Grund zu gehen. Das nämlich ist, was die volkstümliche Seele bewegt. Erst wenn der Ball ruht, regt sie sich wirklich.

Das Zusammentreffen von Scheu vor der Substanz des Spiels und Lust am Rechthaben über das Vorgefallene macht die mehrheitliche Haltung des Publikums aus. Obgleich die Schiedsrichterentscheidung der ideale Gegenstand dieser Haltung ist, das, woran sie sich am besten entzünden kann, äußert sich die Rechthabrei auch am Spiel selbst. Man kann ja schlecht 90 Minuten Fußball gucken, ohne nicht doch ein wenig über Fußball zu reden. Folglich werden alle Vorgänge durch die Perspektive der eigenen Mannschaft betrachtet. Fällt ein Tor für den Gegner, interessiert nie dessen Leistung, sondern nur der Fehler der eigenen Abwehr (oder, sofern irgend möglich, eine Fehlentscheidung des Schiedsrichters). Fällt ein Tor der eigenen Mannschaft, ist es umgekehrt stets die eigene Leistung und nie der Fehler in der gegnerischen Abwehr. Und was schon vom Fußball überhaupt gilt, scheint noch mehr von der WM zu gelten, wo unfaßbare Mengen an Leuten, die sich außerhalb des Sommers gerader Jahre nie ein Fußballspiel ansähen, zum Public Viewing strömen und dafür keinen anderen Grund anzugeben wissen, als daß wir heute spielen und überhaupt mal wieder den Titel verdient haben. Die Substanzlosigkeit und die Rechthaberei wird durch das Erlebnis des Public Viewing noch einmal gesteigert. Wir sind Melonen und schämen uns nicht dafür.

Des Fußballkommentatoren Leid besteht nun darin, daß er zum einen all diese Affekte teilt, also selbst Fan und Laie ist, bzw. dort, wo er fachlich etwas versteht, das Laienbedürfnis befriedigen muß; also nicht zu viel Technisches oder Taktisches im Kommentar unterbringen, nicht zu intellektuell sein darf, eine gewisse Parteilichkeit an den Tag legen und natürlich vor allem ununterbrochen das Geschehen auf dem Platz, das Spiel der eigenen Mannschaft und die Entscheidungen des Schiedsrichters beurteilen muß. Zum anderen aber ist er, selbst nicht mehr als ein Fan, aus der Menge der Fans abgeordnet, regelrecht ausgestoßen; er sieht und kommentiert nicht mit ihnen das Spiel, sondern wird als Teil des Geschehens wahrgenommen. Das ist zu viel Ehre und zu viel Strafe zugleich. Das Volk erblickt in ihm sich selbst, und natürlich gefällt ihm nicht, was es sieht. Der Kommentator aber erscheint als Teil des Geschehens, der das reine Geschehen (das Spiel auf dem Platz) dennoch stört, den man aber nicht abstellen kann, den man sogar – was den Ärger erst recht vollendet – braucht, weil er hin und wieder wichtige Informationen liefert, die es erleichtern, das Geschehen zu verfolgen. Und zum Überfluß spürt der Zuschauer seine eigene Machtlosigkeit, indem er die Macht des Kommentators erlebt. Da ist eine Stimme, die Einfluß hat, die Millionen Menschen eine Deutung des Geschehens vorgibt, und der Zuschauer, der diesen Umstand gewöhnlich ausblendet, wird immer dann, wenn diese Stimme das Gegenteil dessen mitteilt, was sie mitteilen soll, auf schmerzliche Weise wieder daran erinnert, daß diese Stimme nicht die eigene ist.

Der Haß gegen den Kommentator häuft sich unvermeidlich an. Im Laufe eines Spiels wird er jedem Zuschauer mehrfach in signifikanten Momenten durch ein abweichendes Urteil Ärger bereiten, und da es um nichts anderes als ums Rechthaben geht, ist jeder abweichende Gedanke stets ein feindlicher. In einer substantiellen Diskussion könnte eine Abweichung einfach durch verschiedene Zugriffe auf das Thema bedingt sein, könnten alternative Deutungen koexistieren oder sogar vermittelt werden. In der bloß historischen Perspektive gibt es nichts als ja / nein / weißnich. Entweder wars ein Foul oder keins, oder man war grad Kippen holen. Der Kommentator holt keine Kippen, also macht er sich Feinde. Mit jedem Satz, den er äußert. Zwar erzeugt er mit jedem Satz beim je anderen Teil des Publikums auch Zustimmung, aber an 20 richtige Urteile erinnert sich kein Mensch, wenn ihm das 21. nicht paßt.

Der Rechthaber will ja gar nicht, daß ihm jemand recht gibt; er will, daß ihm keiner widerspricht.

zuerst in: Jungle World 28/2014.

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