Jul 132014
 

Menschen, die aus der sicheren Distanz mitteleuropäischer Lebensumstände nicht mit Ratschlägen geizen, Israel Wege aufzuzeigen, wie es aus seinem Schlamassel wieder herauskommt, sind ja durchaus nicht nur ein Ärgernis. Manchmal sind sie sehr unterhaltsam. Wenn man über die Jahre verfolgt, wie sie bei jeder der zyklisch auftretenden Eskalationen um Gaza, dem Staat Israel nun doch das letzte Verständnis aufkündigen, ganz so, als hätten sie je welches aufgebracht, stellt sich ein ähnlicher Effekt ein wie bei der Lektüre des komischen Dialogs »Brokatjacken« von Max Goldt. Selbstgerechte Wutausbrüche, vorgetragen in einer Art Selbstgespräch mit der Rhetorik eines Goldfischs und dem dazu passenden Langzeitgedächtnis.

SIE: Es fängt ja bei der Fahrweise an. Wenn man mal jetzt auf die Straße geht – möglich ist das ja jetzt gottseidank – da wird man ja auch gleich, auf Deutsch gesagt, übern Haufen gefahren. Und dann kriegense noch nichmaln Dankeschön über die Lippen.
ER: Nee, Danke oder sowas ist bei denen nicht drin. Aber es ist ja bei uns fast genau das gleiche.
SIE: Ja, natürlich, wir müssen uns doch auchmal an die eigene Nase fassen. Das ist ja bei uns beinahe noch schlimmer.
ER: Viel schlimmer! Verglichen mit uns gehts doch bei denen zu wie inner katholischen Tanzschule.

Sie irgend aufzuklären bringt bekanntlich nichts. Natürlich kann sich ein jeder darauf herausreden, daß er kein Fachmann ist und dennoch seine Meinung äußern möchte. Wie aber muß denn einer bis hierhin gelebt haben, daß ihm so verläßlich selbst basales Wissen über den Existenzkampf des israelischen Staats entgangen ist? Wo Wut ist, ist auch Eifer, wo Eifer ist, ist auch Beschäftigung. Beschäftigung muß zu Wissen führen, es sein denn, es besteht ein vitales Interesse, eben das zu verhindern.

Müller: Sie sagen, zu diesem massiven Einsatz mit Tausenden Soldaten gibt es auf der Suche nach Attentätern keine Alternative?

Hadas-Handelsman: Nein, gibt es nicht. Wenn Sie eine Alternative, eine bessere Alternative kennen, dann erzählen Sie es uns.

Ist es möglich, immer noch nicht begriffen zu haben, worin die Strategie und das zugrundeliegende Kalkül der Hamas besteht? Die Ideologie der Hamas ist eine der Negation. Das heißt, die Vernichtung des Feindes ist wichtiger als das eigene Überleben. Darin, alle sonstigen Unterschiede zugestanden, gleicht sie der des Nationalsozialismus. Wem wichtiger ist, seinen Gegner zu vernichten oder ihn zumindest leiden zu sehen, der wird sich nicht auf Kompromisse einlassen. Der wird allenfalls Ruhepausen verhandeln, um seine Kräfte zu sammeln. Die Hamas läßt in dieser Frage keine zwei Deutungen zu. Es steht in ihrer Charta und wird kontinuierlich von ihren Führern wiederholt.

»Frieden wird es geben, wenn die Araber ihre Kinder mehr lieben, als sie uns hassen.«

Golda Meir (1957)

Die Hamas weiß, daß sie den Krieg gegen Israel strategisch nicht gewinnen kann. Weder ökonomisch noch militärisch. Israel ist ein hoch produktives und militärisch bestens ausgerüstetes Land, woran weder die Milliardensubventionen des Gaza durch die EU noch die geheime Finanzierung des Terrors durch den Iran etwas ändern. Also bleibt die Propaganda das letzte Feld, auf dem etwas zu holen ist. Die Hamas legt es darauf an, Gaza als Opfer zu inszenieren, Mittel der Inszenierung waren vormals Terroranschläge, heute nahezu kontinuierliche Raketenbeschüsse. Die Hamas braucht keine Gründe, Israel mit Raketen zu beschießen. Sie tut es, so oder so, und mit beachtlicher Regelmäßigkeit. Daß man in den deutschen Medien immer erst dann davon erfährt, wenn Israel dann doch einmal zurückschießt, ändert nichts daran, daß es dennoch passiert.

»[Die Juden] kranken an einer geistigen Verwirrung, weil sie Diebe sind und Aggressoren. Ein Dieb oder ein Aggressor, der Besitz oder Land stiehlt, entwickelt eine seelische Verwirrtheit und Gewissensqualen, weil er etwas genommen hat, das ihm nicht gehörte. Sie gerieren sich vor der Welt, als hätten sie Rechte, aber in Wahrheit sind sie fremde Bakterien – eine Bazille ohne Gleichen in der Welt. Nicht ich bin es, der das sagt. Der Koran selbst sagt, daß sie ohne Gleichen sind: ›Du wirst sehen, daß die stärksten Feinde der Gläubigen die Juden sind.‹ Möge Er diese schmutzigen Menschen auslöschen, die weder Religion noch Gewissen haben. Ich klage jeden an, der an normale Beziehungen mit ihnen glaubt, es gutheißt, daß man sich mit ihnen an einen Tisch setzt, oder glaubt, daß sie zur menschlichen Gattung gehören. Sie gehören nicht dazu. Sie sind keine Menschen. Sie haben keine Religion, kein Gewissen und keine moralischen Werte.«

Abdallah Jarbu’, stellvertretender Religionsminister der Hamas-Regierung (2010)

Da allerdings im Zeitalter der modernen Medien die Erkenntnis verlorengegangen zu sein scheint, daß ein Land auch dann noch existiert, wenn gerade keine Kamera auf es gerichtet ist, funktioniert die Inszenierung. Der Effekt ist die Isolation Israels vor der Weltöffentlichkeit. Die Hamas arbeitet mit der westlichen Erwartungshaltung. Sie kann darauf rechnen, daß man rationalisiert. Der abendländische Mensch hat sich im Laufe der Neuzeit daran gewöhnt, in allem einen Grund zu erblicken und eine grundlegende Vernunft im menschlichen Handeln vorauszusetzen. Er hält es für unmöglich, daß Menschen an ihrer eigenen Vernichtung arbeiten können. Er denkt Sätze wie: Die Palästinenser schießen doch nicht aus freien Stücken ihre Raketen ab; sie müssen doch einen Grund haben; das müssen doch Akte der Verzweiflung sein.

»Es gibt keinen Unterschied zwischen arabischem und jüdischem Terrorismus … Wir werden keine Straßen oder Plätze nach den Mördern benennen. Das unterscheidet uns von unseren arabischen Nachbarn, wo Mörder als Helden verehrt werden und in Schulbüchern nach wie vor gegen Israel gehetzt wird.«

Benjamin Netanjahu, anläßlich des Vergeltungsmords eines arabischen Jugendlichen durch rechtsnationale Terroristen (2014)

Das Verhalten der Hamas läßt sich aber nicht rationalisieren, weil es zum einen auf jener seltsamen Ideologie der Negation beruht, die in dem berüchtigten Satz »Ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod« zusammengefaßt ist, und zum anderen nur in dieser irrationalen Gestalt den gewünschten Solidarisierungseffekt in der Weltöffentlichkeit erzielen kann.

Zur Inszenierung als Opfer gehören Opfer. In ausreichender Zahl. Es ist bekannt, daß die Hamas die Bewohner des Gaza als menschliche Schutzschilde einsetzt, daß sie Abschußvorrichtungen auf Wohnhäusern errichtet und Munitionsdepots in Schulen einläßt. Die israelische Regierung hat die Wahl, entweder das Leben der eigenen Bevölkerung durch anhaltenden Beschuß aus dem Gaza in Gefahr sein zu lassen, oder aber zu riskieren, daß arabische Zivilisten sterben, während die Feuerstellungen ausgeschaltet werden. Wenn zweie sich beschießen und einer der beiden eine unbeteiligte Person in die Feuerlinien zerrt, während er zugleich seinen Beschuß fortsetzt, der andere daraufhin, da er immer noch beschossen wird, sein Feuer nicht einstellt und die dritte Person erschießt, ist es dann wirklich so, daß es ganz in seiner Hand lag, die Person am Leben zu lassen? Ich sage nicht, daß es eine rationale Lösung dieses Dilemmas gibt; nur daß alle Welt darauf besteht, ihn zum Alleinschuldigen zu machen, das ist so verwunderlich, daß man mitunter auf die Idee kommen könnte, die Strategen der Hamas hätten 23 Semester Psychologie in Wien studiert anstatt immer und immer wieder bloß den Koran.

»Palästina von der See bis an den Fluss, vom Norden bis zum Süden ist unser Land, unser Recht und unsere Heimat … Wir können keinen Zoll breit und keinen Teil davon abgeben.«

Khaled Mashal bei seiner Rückkehr nach Gaza (2012)

Iron Dome funktioniert, nach allem, was man hört, gut. Deswegen ist es nicht nötig, auf jeden Raketenangriff aus dem Gaza mit Vergeltung zu reagieren. Aber irgendwann doch reagieren zu müssen ist in der Logik des Militärs unvermeidlich. Die Hamas, die mit ihren Angriffen offensiv kaum etwas ausrichten kann, weiß das. Die Angriffe dienen keinem anderen Zweck als dem, israelische Militärschläge hervorzurufen und auf die Art Opfer zu generieren. Israel wiederum muß dieses Spiel mitspielen, solange ihm die eigene Sicherheit wichtiger ist als die internationale Reputation.

»Wenn es Frieden gibt, werden wir den Arabern vielleicht noch rechtzeitig verzeihen können, dass sie unsere Söhne getötet haben. Aber es wird schwieriger für uns sein, ihnen zu verzeihen, dass sie uns gezwungen haben, ihre Söhne zu töten.«

Golda Meir (1969)

Aus irgend einem Grund weigert sich das vom unbedingten Streben nach Weltfrieden befallene Bewußtsein, verwickelte Lagen als verwickelte Lagen wahrzunehmen. Ich schreibe das nicht zum ersten Mal. Diese Sorte geistiger Trägheit erträgt keine uneindeutigen Antworten. Sie kann keine Prozesse in ihrer Gesamtbewegung beurteilen, sondern sucht sich innerhalb dieser Prozesse einzelne Punkte, an die sie sich halten kann. Sicher ist das Kalkül der Hamas nicht der gesamte Prozeß, und ganz sicher hat auch die israelische Zivilgesellschaft Widersprüche, da sie einmal in einer Umgebung des Wahnsinns wachsen und sich behaupten muß. Man sollte es aber ablehnen, mit Menschen die Verhältnismäßigkeit israelischer Militäraktionen, den Einfluß extremistischer Siedler oder die konstitutiven Widersprüche des Zionismus zu diskutieren, die nicht bereit sind, die Strategie der Hamas zu untersuchen oder auch nur wahrzunehmen.

  2 Responses to “Opferfeste”

  1. […] Die Hamas weiß, daß sie den Krieg gegen Israel strategisch nicht gewinnen kann. Weder ökonomisch noch militärisch. Israel ist ein hoch produktives und militärisch bestens ausgerüstetes Land, woran weder die Milliardensubventionen des Gaza durch die EU noch die geheime Finanzierung des Terrors durch den Iran etwas ändern. Quelle: Felix Bartels […]

  2. […] wurden kam es zum Mord an einem arabischen Jugendlichen durch einen israelischen Extremisten. Benjamin Netanjahu sagte dazu sehr treffend: “Es gibt keinen Unterschied zwischen arabischem und jüdischem […]

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