Jun 112014
 

Alle Sommer gerader Jahre habe ich viel durchzustehen. Mannschaften, die schlechten Fußball spielen und trotzdem gewinnen, WM-Songs, Reinhold Beckmann, vornehmlich aber jene nationale Penetranz, von der man allenthalben angesprungen, mitgerissen und ungefragt fraternisiert wird. Im sogenannten Partynationalismus kommen zwei Momente des Widerwärtigen zusammen. Einmal der schnöde Nationalismus, zum anderen das Volkstümliche, zwanghaft Gutgelaunte, das sommerliche Du. Dem Volksfest kann man fernbleiben, es macht nur Krach und Müll. Es ist ein bißchen anmaßend, aber es unterstellt keine übergreifende Eingemeindung. Es ist unpolitisch.

Das Fußballvolksfest ist mehr. Es gibt keine würdevolle Weise, eine Fahne zu tragen. Das Ausstellen nationaler Zeichen ist von jeher die Kennung derer, die, was sie nicht in sich haben, neben oder über sich suchen. Im Vereinsfußball bedeutet ein Symbol wenigstens nichts anderes als eben den Verein, zu dem man hält. Im nationalen Fußball sitzt ein ganzer politischer Komplex Huckepack. Wer Gelsenkirchner Königsblau schwenkt, mag bedauernswert sein, aber wenigstens macht er sich damit nicht gleich gemein mit dem deutschen Staat, seiner Politik, seiner rechtlichen und wirtschaftlichen Verfaßtheit. Nicht einmal Schalke, ich wiederhole: nicht einmal Schalke ist so ekelhaft wie ein schwarzrotgoldenes Fahnenmeer.

Es geht nicht um Jogi, seine Jungs und die für sich ja durchaus erfreuliche Nachricht, daß ein deutscher Elitekader zur Abwechslung auch mal ansehnlichen Fußball spielen kann. Es geht darum, daß man nicht das eine ohne das andere tun kann. Wer im Zusammenhang von Länderspielen eine Nationalfahne schwenkt, schwenkt nicht bloß die Fahne einer Mannschaft, zu der er hält, sondern die des Staates, für den diese Mannschaft spielt. Er hat damit das Recht, sich von diesem Staat im Geiste abzusetzen, verwirkt. Es sei denn, und das wäre der schlimmere Fall, er gehört zu jenen völkischen Trotteln, die ein Modell der Einbildung, das sie ihr Land, ihre Heimat o.ä. nennen, gegen die eigene Regierung zu schützen vorgeben, ganz so, als sei es nicht etwa das Unmenschliche einer Politik, das es zu bekämpfen gilt, sondern das Undeutsche.

Ich kann nicht verhindern, daß es kommt. Dieses jähe Bedürfnis, spontan einem Passanten die Fahne aus der Hand zu reißen und draufzupissen. Oder eine rote mit Hammer und Sichel zu an der eigenen Häuserwand entrollen. Oder, als Gipfel der Provokation, ein Oranje-Shirt überzustreifen. Diese kindische Lust, sich bei den Schwarzrotgoldschwenkern mit ihren eigenen Mitteln zu revanchieren. Das ist vielleicht, was mich am meisten an dieser Lage nervt. Daß sie einen so nervt, daß man selbst zur Nervensäge werden möchte. Aber ich bleibe ruhig, denn obgleich ich kein halbes Päckchen Kippen dabei habe und Chicago mehr als 106 Meilen entfernt liegt, trage ich Sonnenbrillen. Und daß ich unbeflaggt gehe, kann jeder sehen; ich muß es ihm nicht auch noch mitteilen. Ich trage keine Fahne, aber ich tue das innerlich.

Sorry, the comment form is closed at this time.