Mai 302014
 

Elsässer, glaubt man Elsässer, hat vor dem Münchner Landgericht gegen Jutta Ditfurths Behauptung, er sei ein Antisemit, eine Klage durchgesetzt. Tatsächlich ist, was er erreicht hat, eine einstweilige Verfügung; der eigentliche Prozeß steht noch aus, was Elsässer nicht daran hindert, sich als Sieger zu präsentieren.1 Damit, so fügt er hinzu, sei jeder gewarnt, der es Jutta Ditfurth gleichzutun gedenke. Es ist also ratsam, auf die Behauptung zu verzichten, daß Elsässer ein Antisemit sei. Woraus allerdings nicht folgt, daß man einfach das Gegenteil behaupten müsse. Auch das wäre ja eine Unterstellung, die von einem Gericht geprüft werden könnte und die man also nicht leichtfertig in die Welt blasen sollte. Ungern stünde man am Ende vor einem Richter und sähe sich gezwungenen zuzugeben, daß zum Beweis der Behauptung, Elsässer sei kein Antisemit, einfach nicht ausreichend Material gefunden werden konnte.

In Elsässer vrs. Ditfurth steht die übliche Kollision von Persönlichkeitsrecht und Recht auf freie Meinungsäußerung. Je nach Neigung der Kammer gewinnt eher dieses oder jenes. Es geht mir gegen den Strich, mich in dieser Frage prinzipiell festzulegen. Eine Gesellschaft, in der einer ungestraft jeden Mist über einen anderen behaupten darf, macht mich ebenso scheu wie eine, in der einer ungestraft alles tun darf, ohne daß einem anderen gestattet wäre, das Getane zu benennen. Wenn man dem Grundsatz folgt, daß Behauptungen bewiesen werden müssen, sollte man wissen, daß dieser – abgesehen davon, daß seine strikte Befolgung das Leben sehr langweilig machte – nur dort Sinn ergibt, wo Behauptungen auch beweisbar sind.

Beweisbar sind Behauptungen über Tatsachen. Hier zum mindesten gilt, daß Falsches widerlegt und Unbewiesenes in Zweifel gezogen werden kann. Wenn z.B. einer Jürgen Elsässer unterstellte, er sei Schuld an der Ermordung des Hipparchos 514 v. Chr. zu Athen, läßt sich das leicht widerlegen. Wenn andererseits einer mutmaßte, daß die Rothschilds die geheimen Lenker der Welt sind, wäre das eine These, die er zumindest nicht beweisen kann (und Elsässer, der dergleichen oder ähnliches gern über die Rothschilds behauptet, müßte hier eigentlich dasselbe gegen Schmähung gerichtete Recht, das er Ditfurth betreffend für sich selbst geltend gemacht hat, achten). Beide Beispiele aber, die Rothschilds wie der Tyrannenmörder, gehören zu den Fällen, die der Möglichkeit nach beweis- oder widerlegbar sind. Weil sie sich auf Tatsachen beziehen, die eben entweder vorliegen oder nicht, die aber in jedem Fall eins sind mit sich selbst.

Die Unterstellung seelischer Gründe hingegen zielt auf etwas, das nicht nur in diesem oder jenem Fall, sondern prinzipiell nicht beweisbar ist. Was in den Tiefen eines menschlichen Gemüts vor sich geht, ist immer verborgen. Es kann vollständig verschlossen werden oder auf verdruckste Weise zum Ausdruck kommen oder auch manifest sein. Doch selbst dort, wo es manifest wird, kann es nicht mit Sicherheit bestimmt werden, weil es unmöglich ist, eine Seelenlage an etwas anderem zu messen als den Handlungen und Äußerungen des betreffenden Subjekts. Wo dieses im Wort gegen sein eigenes Handeln zeugt, also abstreitet, gewisse Gründe, auf die es in der Tat Hinweise gibt, in seiner Seele zu haben, entsteht eine Unschärfe, die schwerlich noch in Ordnung zu bringen und erst recht nicht vor Gericht zu verhandeln ist. Denn die betreffenden Handlungen können auch dann, wenn sie klassische Hinweise auf bestimmte Haltungen sind, andere Gründe besitzen.

Nehmen wir etwa die Sexualität. Elsässer, bekanntlich, ist es sehr wichtig, die Welt fortgesetzt davon zu unterrichten, daß er heterosexuell ist. Er tut das mitunter auf ulkige Weise, zuletzt mit einem Photo, das in seiner seltsamen Ästhetik irgendwo zwischen Sky Dumont und Brokeback Mountain auch gut auf dem Titel eines Magazins von Herren für Herren hätte erscheinen können.2 Man könnte es für eine Satire auf die Gedankenwelt von Homophobikern halten, wäre da nicht die Anspielung auf das Coming Out von Thomas Hitzelsberger und Elsässers Engagement für das Primat der Heterosexualität, das er eng verschlungen mit Wahrern letzter Sittlichkeit wie Peter Scholl-Latour, Eva Herman und Thilo Sarrazin in die Medien brachte. Allen Homophobikern ist die dräuende Gleichberechtigung von Homo- und Heterosexualität der erste Schritt zur Vernichtung der vorherrschenden Form. Ob ein Homophobiker aber tatsächlich straight ist, können wir nicht wissen. Wir sind nicht in der Lage, das, was einer möglicherweise in den Tiefen seiner Seele einschließt, einer handfesten Prüfung zu unterziehen, außer er würde sich einer solchen zur Verfügung stellen, also preisgeben, was ohnehin keiner wissen will. Die Motivation einer homophoben Haltung kann in verdrängter Homosexualität liegen oder woanders. Deswegen darf man, auch wenn aggressive Homophobie regelrecht dazu einlädt, mit solchen Überlegungen ruhig etwas zurückhaltend sein.

Aber die Frage nach dem Antisemitismus unterscheidet sich von der Frage nach der sexuellen Neigung in zwei hier relevanten Hinsichten. Einmal ist es nicht gleich, ob einer Antisemit ist oder nicht. Es ist keine Frage von Geschmack und Neigung, sondern eine von Gefahr und Anstiftung. Und zum anderen ist der Begriff selbst unscharf. Der Antisemitismus ist ein Ressentiment. Er ist etwas, das im Verborgenen lebt und nie ganz ans Licht entweichen kann. Wenn man einen des Antisemitismus zeiht, der aber selbst bestreitet, ein Antisemit zu sein, müßte danach gefragt werden, welche Handlungen oder sprachlichen Äußerungen als antisemitisch gelten können. Man sucht also einen allgemeingültigen Maßstab. Über den aber herrscht selbst unter denen, die ihre Zeit damit verbringen, den Antisemitismus zu erforschen, keine Einigkeit. Eine allgemeinverbindliche, übergreifende, mehrheitlich akzeptierte oder gar im allgemeinen Bewußtsein angelangte Definition gibt es erst recht nicht. Das hat zwei Gründe. Einmal den, daß der Judenhaß geschichtlich in so vielen Formen aufgetreten ist, daß er, wie ich einmal geschrieben habe, eher dem Wasser gleicht, das sich um den Stein legt, als dem Stein, der gefunden werden muß. Zum anderen den Grund, daß der Begriff politisch aufgeladen und folglich Instrument interessierter Kämpfe ist. Es gibt keine Einigkeit über den Antisemitismus, und das gilt selbst dort, wo Fachwissen über ihn vorausgesetzt werden kann.

Besäße das Münchener Landgericht denn das nötige Fachwissen, um wenigstens in dieser Hinsicht geeignet zu sein, ein entsprechendes Urteil zu fällen? Kennt es Begriffs- und Tatsachengeschichte aller Formen antijüdischer Ressentiments? Kann es die früheren und gegenwärtigen Schibboleths, die sprachlichen Codes bis in unsere Gegenwart hinein erkennen? Kennt es die zugrunde liegenden ideologischen Strukturen? Hat es die Protokolle oder wenigstens Poliakovs Geschichte gelesen? Kann ein Richter, dessen Aufgabe darin besteht, Streitigkeiten zwischen Prominenten und Klatschblättern zu prüfen, Mordfälle zu verhandeln u.ä., überhaupt begreifen, wovon die Rede ist? Soll man sich wirklich vorstellen, Bohr und Schrödinger z.B. hätten ihre Debatte um die Interpretation der quantenmechanischen Meßergebnisse dem unkundigen Urteil einer juristischen Kammer unterworfen? – Was das Gericht also nur tun kann, um den Streit zu prüfen, ist die Anforderung einer Expertise, aber das Forschungsfeld ist hier derart polar, daß jede Expertise unweigerlich zu einem ex parte würde, und mit jedem weiteren Experten veränderte sich der Gegenstand ein weiteres Mal.

Es ist absurd, diese Frage überhaupt vor Gericht zu verhandeln. Das folgt aus der Unbeweisbarkeit jeglicher Antwort. Wo nichts als Meinung zählt und eine jede Anschauung sogleich ihr eigenes Maßsystem mit sich bringt (sofern sie nicht gar begriffslos und ganz willkürlich ist), wo nicht nur nicht klar ist, ob der Vorwurf zutrifft, sondern auch, was er beinhaltet, wie soll da eine gerichtliche Entscheidung sinnvoll durchgeführt werden? Natürlich kann man in dubio pro reo geltend machen, aber zum einen ist der Vorwurf des Antisemitismus keine gerichtliche Anklage, sondern eben ein Vorwurf. Vor Gericht zerrt ihn erst der, gegen den er sich richtet. Und zum anderen hieße in dubio pro reo hier, daß ein absoluter Schutz aller Spielarten des Antisemitismus geschaffen würde, die sich nicht klar zu dem bekennen, was sie sind. Es wäre damit kategorisch nicht mehr möglich, eine solche Diagnose zu äußern. Auch wenn man sein begriffliches Kalkül luzide herbeistellt und sauber argumentiert, müßte man fürchten, unter Anklage gestellt zu werden. Ein Gericht, das diesem Prinzip folgt, leistet somit Flankenschutz für jede Spielart des Antisemitismus, die sich nicht offen zu erkennen gibt, was in Anbetracht der Tatsache, daß der zeitgenössische Antisemitismus praktisch kaum noch offen zur Äußerung kommt, von einiger Tragweite ist. Salomonisch wäre hier allein ein Gericht, das sich selbst für unzuständig erklärte. Aber das berührt die Frage nach dem Selbstverständnis von Richtern, und das ist schon wieder eine ganz andere Variante des Narzißmus.

Wahrscheinlich hätte Jutta Ditfurth besser daran getan, die Zuschreibungen adjektivisch zu verwenden. Also nicht Elsässer als Person einen Antisemiten zu nennen, sondern diese oder jene seiner Äußerungen als »klassisch antisemitisch« o.ä. zu bezeichnen. Auch das Gerede von sprachlichen Codes schadet oft mehr, als es hilft. Man muß an die begriffliche Struktur selbst gehen, die ist heikel genug, und wenn man die hat, stellt man fest, daß es gar nicht mehr allzu wichtig ist, ob einer Antisemit genannt werden kann oder nicht, ob es bloß Unkenntnisse, bloß Dummheit oder doch ein geheimer Groll ist, der ihn motiviert. In jenem berüchtigten Interview auf 3sat z.B. hat Jutta Ditfurth die nicht minder berüchtigte Äußerung von Lars Mährholz, daß alle Katastrophen und Kriege der letzten 100 Jahre auf das Wirken der amerikanischen Zentralbank zurückzuführen seien, mit den Worten kommentiert: »… dann deutet er damit in diesen Kreisen an: Jüdische Weltverschwörung«. Da sie es darauf anlegt zu wirken, ist der Kommentar nicht gut gewählt. Die Unterstellung bestimmter Codes mag korrekt sein, aber sie nährt vor allem bei den unentschiedenen Beobachtern, denen oft der begriffliche Zugang fehlt, den Eindruck willkürlicher Unterstellung. Es bedarf gar nicht des spezifisch Jüdischen, um das Irrationale, Gemeingefährliche an Mährholzens Äußerung zu zeigen. Die Rückführung aller negativen Ereignisse auf das Wirken eines Akteurs ist bereits als solches reaktionär, nicht nur, weil damit komplexe, strukturell bedingte Bewegungen der Geschichte vereinfacht werden, sondern auch, weil auf die Art eine Umschuldung vorgenommen wird, also die Maßnahmen des Nationalsozialismus vom Nationalsozialismus abgespalten und einem anderen, natürlich im Geheimen wirkenden Akteur zugeschoben werden. Daß dieses Manöver ein klassischer Befreiungsversuch im Nachkriegsdeutschland ist, das seine Vergangenheit lossein will, wird genau dann evident, wenn man Mährholz beim Wort nimmt.

Und auch Elsässer hat durchaus genügend Unrat verbreitet, der sich ohne jede Decodierung gegen ihn verwenden ließe. Sei es die Angst vor der »sexuellen Umerziehung« durch moderne Genderkonzepte, die das natürliche Modell der Familie verdrängen, seine Warnung vor der Bedrohung der deutschen Tugenden »Schaffen, Ackern, Planen, Organisieren, Durchhalten« durch die ethnische Durchmischung der deutschen Nationalelf3, sein devoter Besuch im Iran, sein Traum von Ahmadinedschads Darkrooms, in denen »Discomiezen, Teheraner Drogenjunkies und die Strichjungen des Finanzkapitals« verschwinden oder seine These, daß die NSU-Morde nicht das Werk einer neonazistischen Terrorzelle waren, sondern auf konzertierte Aktionen von Geheimdiensten zurückgehen, deren Wurzeln – wie kann es anders sein? – nicht in Deutschland, sondern im Ausland liegen.

Anders als Ken Jebsen hat Jürgen Elsässer durchaus eine in sich abgestimmte Ideologie; die ist geprägt von einer Sehnsucht nach dem Organischen, und zwar dem deutschen Organischen, das gegen das Künstliche, Zersetzende, vom Atlantik her oder aus der Subkultur Kommende verteidigt werden muß. Das Volkstümliche hat immer das Potential, sich ins Völkische zu entladen; ob es das letztlich tut, ist beinahe unwichtig. Die Struktur ist, was zählt. Die heterosexuelle Familie, die ehrliche Arbeit und das deutsche Volk – dieses dreifaltige Weltbild des Jürgen E. ist tüchtig geerdet und überhaupt aus Lehm.

Immer wenn ich einen Text von Elsässer gelesen habe, bekomme ich das unwiderstehliche Verlangen, einen Clip von Lady Gaga anzuschauen oder »Argo« eine Nacht in Endlosschleife laufen zu lassen. Dagegen bin ich so machtlos wie gegen mein dummerweise gutes Gedächtnis. Weshalb mich in diesem Zusammenhang auch die Erinnerung eines 1996 publizierten Disputs plagt, in dem Elsässer Sahra Wagenknecht mit seiner damals favorisierten Mischung aus Maoismus und Ideologiekritik zu überzeugen suchte, daß die »Hölle der Kleinfamilie« eine »psychische Agentur des Kapitalismus« sei und zerschlagen werden müsse. Man kann wohl sagen, daß es eigentlich gleich ist, auf welcher Seite Elsässer steht und was er gerade vertritt. Eigentümlich ist, daß er das, was er je vertrat, immer auf absurde Weise vertreten hat. Das liegt offenkundig daran, daß er zeitlebens auf der Suche war. Und was immer das ist, was er da sucht, eines ist sicher: Sie ist noch nicht zu Ende. So ist er, der Elsässer Jürgen, ein wandelnder Hüter der Geerdeten, in ständiger Bewegung dem Seßhaften zu Diensten, ein Baumbart, ein Antaios auf hoher See. Und so wird der Wind auch weiterhin in sein nun doch schon graues Haupthaar greifen, während er selbst, als wäre das noch nötig, seinen Kopf in den Nacken wirft und unweigerlich vom Bedürfnis übermannt wird, sich selbst auf die Schulter zu klopfen. Er wird uns nicht enttäuschen. Demnächst auf diesem Kanal.

  1. »Elsässer siegt mit Verleumdungsklage gegen Ditfurth«, Meldung vom 28. Mai auf Elsässers Homepage []
  2. »›Ich bekenne, ich bin hetero!‹ Sensationelles Outing!«, Meldung vom 9. Januar 2014 auf Elsässers Homepage []
  3. »4:4 nach 4:0 – Deutschland schafft sich ab«, Meldung vom 17. Oktober 2012 auf Elsässers Homepage []

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