Mrz 082015
 

Je nun. Schaun wir uns also Til Schweiger und seine Puller-ab!-Fanboys etwas genauer an. So tief kann man sinken. Doch daß dieser Todenhöfer der Unpolitischen es vermag, hier dennoch zum Gegenstand der Betrachtung zu werden, liegt daran, daß alles politisch ist, auch das Unpolitische. Der Gegenstand ist durch und durch ekelhaft, und genau meint hier daher tatsächlich: genau, nicht ausgiebig. Ich habe keine Lust, die Zeugnisse der Unvernunft auch noch zu dokumentieren. Jeder kann selbst die Facebookprofile ruchbarer Verbalvigilanten besuchen, wie eben Schweiger, Hans Sarpei oder Jan Leyk, von deren Existenz man leider & gottseidank außerhalb solcher Zusammenhänge niemals Zeichen erhält – Schweiger macht Filme mit Dieter Hallervorden, Sarpei hat für Schalke gespielt, und von Leyk weiß ich nicht einmal, ob es ihn überhaupt gibt. Jeder kann sich zugleich auch vom Geschrei ihrer Anhänger ein vitales Bild machen. Ich will demnach nicht über Edathy reden, zu dem mir bei allem auch hier berechtigten Ekel nun wirklich nichts Mitteilenswertes einfällt. Es geht nicht um ihn, die Kinder oder die bundesrepublikanische Rechtspflege, es geht mir nicht einmal um Schweiger selbst, sondern allein um das, was sich in den volkstümlichen Reaktionen auf den Fall des Edathy zum Ausdruck bringt. Wer schreit da, und was schreit da?

Sofort fällt auf, daß die große Mehrheit derer, die nach Abschiebung, lebenslanger Haft, Todesstrafe, Kastration oder simpel körperlicher Gewalt rufen, Männer sind. Es finden sich auch einige Frauen in der Menge der Empörten, aber weder in der Breite noch in der Spitze halten sie mit. Das ist insofern bemerkenswert, als Kinder eigentlich im besonderen Maße das Thema der Frauen sind. Ich rede nicht davon, was sein sollte, ich rede über, was ist. Ich meine hier, inbetreff der Männer wie der Frauen, den Durchschnitt. Im Volkstümlichen – und besagte Schreihälse kommen fast vollständig aus dieser Sphäre – sind Männer häufiger, als einem lieb sein kann, kaputte Menschen, die Schwierigkeiten haben, Liebe zu zeigen. Ihre Frauen haben die Bindung zum Kind offenkundig viel selbstverständlicher, sie müssen nicht wurschteln, sie dürfen sein. Das ermöglicht ihnen, sensibler auf das Kind zu reagieren, besser mitzufühlen, eher zu verstehen, was in ihm vorgeht. Männer können nur selten spielerisch mit ihren Kindern umgehen, also versuchen sie – und das ist dann wieder fast rührend zu sehen –, um ihre vor ihnen selbst und der Umwelt verborgene Liebe herum das Spiel zu organisieren. So, Chantal, Papa kommt jetzt mit dem Eimer, und dann bauen wir eine Burg. Nicht, Chantal, nein, Chantal, nicht die Burg kaputt machen. Chantal, guck mal, die Schaukel, wir gehen zur Schaukel, Papa schubst dich jetzt an. Diese Männer können ihre Liebe nicht als Liebe zeigen, also bemühen sie sich in den Augenblicken, in denen sie es nicht vorziehen, vorm Eingang des Spielplatzes zu bleiben, um einen durchzuziehen, ihre Liebe anhand von Taten zu beweisen. Feldherr sein, ist meine Weise, Dich zu lieben, sagt Amphitryon zu Alkmene. Das Geschrei nun jener forschen Männer gegen Edathy im besonderen und die Pädophilen im allgemeinen ist selbst Ausdruck einer solchen typisch männlichen Kompensation. Das Defizit, Liebe nicht schamlos zeigen zu können, führt zur verlegenen Suche nach Ausdrucksformen im Negativen. Indem er fordert, Kinderschänder zu kastrieren, beweist der volkstümliche Mann, was im Persönlichen zu beweisen ihm viel schwerer fällt: daß nämlich auch ihm seine Kinder lieb sind. Daß unter jenen jungen Herren mit den sadistischen Rachephantasien auch etliche sein dürften, die gar keine Kinder haben, fügt sich in diese Erklärung noch nicht, soll es aber durchaus in die kommende.

Ich behaupte nicht, daß Frauen klüger sind als Männer. Ich denke lediglich, daß sie selbst in denjenigen Kreisen, in denen Klugheit nicht unbedingt zu den Kardinaltugenden gehört, eher Mensch sein können und es auch eher sind als ihre Männer. Und natürlich ist kein Streitpunkt, daß diese Dichotomie in dem Maße aufgehoben ist, in dem Kultiviertheit, Reflexion und Feingefühl zu den gewöhnlichen Umgangsformen gehören. Wir reden, ich sage es noch einmal, von Menschen, die Menschen wie Til Schweiger auf Facebook mit einem Like versehen, von Menschen, die auch vor dessen Statement zur Lage schon wußten, wer Jan Leyk ist, wir reden über den Bodensatz der Gesellschaft, von ihren Durchschnitt also. Wir reden von der unstillen und unstillbaren Wut der Verlierer, und zwar solcher Verlierer, die selbst dann welche sind, wenn sie ökonomisch zu den Gewinnern zählen. Verlierer nämlich ist, wessen Wohlbefinden vom Mißerfolg der anderen abhängt, dessen Fortkommen nicht in seiner eigenen Kraft liegt. Dem sind zwar Frauen ebenso ausgesetzt wie Männer, aber aus welchen Gründen auch immer scheint der Druck dieses Bestehen-müssens-und-nicht-könnens auf Männern stärker zu lasten. Auch die Art der Anforderung ist eine andere. Dem Jungen wird von Anbeginn – wo nicht unmittelbar durch Erziehung, so zumindest vermittelt durch die Inhalte der Bewußtseinsindustrie und das gelebte Beispiel der Erwachsenenwelt – eingetrimmt, daß er sich durchsetzen, sich beweisen muß. Sein Erfolgsbegriff ist immer schon ein negativer; er schließt die Zerstörung des Anderen ein. Das Mädchen lernt dagegen, daß seine Aufgabe darin besteht zu gefallen, was nicht unvermeidlich in Kämpfen enden muß. Der Unterschied – der ganz unabhängig von der schwer zu beantwortenden Frage nach möglichen Ursachen im Biologischen schon deswegen untilgbar scheint, weil Dummheit untilgbar und geschlechtsbezogenes Rollenverständnis eine der naheliegensten und bequemsten Formen der Dummheit ist –, diese Differenz zwischen Männern und Frauen also führt zu unterschiedlichen Arten der Konfliktbewältigung sowie unterschiedlichen Ausdrucksformen des Unbehagens, führt dazu, daß Unzufriedenheit sich bei Männern viel eher in Aggressivität und Sadismus entlädt.

Es geht, wenn ich mich recht fasse, nicht darum, daß die Aktivitäten von Pädophilen einen Menschen, dem seine Kinder lieb sind, beunruhigen müssen. Das liegt in der Natur der Sache, und es wäre in der Tat ein eher schlechtes Zeichen, wenn einer gegenüber dem Vollzug pädophiler Aktivitäten allzu große Gelassenheit aufbringt. Es geht mir aber um die sadistischen Phantasien, die bei einem konstanten, mehrheitlich männlichen, mehrheitlich jungen Teil der Besorgten, und zwar beinahe liturgisch, zum Ausdruck kommen. Das ist das Unnatürliche im Natürlichen.

Derjenige Teil der Welt, der etwas weniger an dieser Neigung krankt, hat Otto Kernberg die Unterscheidung eines negativen und positiven Narzißmus zu danken. Narzißmus, wie man weiß, ist ein festes Element im Ich. Wir alle besitzen vom Impuls her diese unbedingte Gewogenheit gegenüber uns selbst, die erst in der späteren Entwicklung getrübt wird oder werden kann. Erwachsenwerden bedeutet, den unvermeidlichen Verzicht in die eigene Triebstruktur integrieren zu können, Verlust in Gewinn zu ersetzen, das Ideal, das von außen kommt, zum eigenen Anspruch an sich und somit zum Teil des Ichs zu machen. Diese Art Narzißmus ist der Impuls für Höchstleistung im Kreativen, in der Wissenschaft, im Profisport usw. Wer ein Drama schreibt, vor Tausenden in der Waldbühne einen rührenden Song heruntersingt, für seine grandiose Darstellung des Prospero 30 Vorhänge erntet, seine Mannschaft zur Meisterschaft schießt, ein neues Patent entwickelt, eine Inschrift entschlüsselt, einen Staudamm baut oder sonst irgendeiner sinnvollen und mehr als bloß anstrengenden Arbeit nachgeht, bereichert auf diese Weise nicht nur die Welt, sondern immer auch sein Ich. Er tut es, von offenkundigen Gründen wie dem Lebensunterhalt abgesehen, weil es ihm guttut. Das so erzeugte Wohlbefinden öffnet, zumindest der Möglichkeit nach, die Seele fürs Generöse. Obgleich zugestanden sei, daß jede Art Arbeit immer auch eine negative Seite hat, indem ein Konkurrent verdrängt oder etwas Veraltetes überwunden wird, so bleibt dennoch demjenigen, der sich seines Ichs sicher ist und seiner Leistungen wegen Anerkennung erhält, möglich, auch Leistungen anderer, vielleicht sogar seiner Konkurrenten, ohne Neid zu schätzen. Ich idealisiere nicht, daher schrieb ich ja auch: »der Möglichkeit nach«; wovon ich spreche, sind Tendenzen. Ich weiß, daß auch der Wissenschaftsbetrieb und die Literaturszene in gewisser Weise einem Hühnerstall gleichen; jeder schwächelt, so gut er kann. Aber ich neige z.B. dahin, es für keinen Zufall zu halten, daß gerade unter Kopfarbeitern im Privaten eine Tendenz zum Liberalen und im Politischen eine Tendenz zum Sozialen, also nach links, dominierend ist.

Wem jene Art der Befriedigung durch Können versagt bleibt, der hat nur zwei Auswege. Entweder verharrt er in Bescheidenheit, oder er steigert sich in den Haß. Wer sich bescheidet, findet sich, zum Teil auch vermittelt durch Verdrängen oder Vergessen, mit seiner Stellung ab und sorgt dafür, daß sein Leben im übrigen angenehm ist. Das, scheint mir, ist, was die meisten Menschen hinbekommen, und ich kann nicht verbergen, daß es meine Sympathie hat. Wer beim Anblick von Zeitgenossen, die vom Leben nicht mehr wollen als genügend Nacht- oder Beischlaf zu erhalten und nach Feierabend auf der Veranda ein Bierchen zu zischen, nicht das Gefühl bekommt, der Idee des Humanen selbst gegenüber zu sitzen, der sollte sich entweder untersuchen lassen oder aber den Stöpsel aus dem Hintern ziehen. Niemand, der bei Verstand ist, kann etwas gegen Hobbits haben.

Der andere Ausweg ist keiner; er führt nur tiefer hinein. Wo das Individuum es nicht schafft, sich abzufinden, wo es zwar keinen Ehrgeiz entwickelt hat, den Neid aber dennoch nicht abzustellen imstande ist, entwickelt es tendenziell einen negativen, einen malignen Narzißmus, der im äußersten Fall zu sadistischen Handlungen führt, im Regelfall jedoch gedanklich bleibt. Der Vorgang ist, daß das Ich, wenn es sich aus eigener Kraft nicht erhöhen kann, die Erhöhung vermittels Erniedrigung des Anderen erreichen will. Und da es praktisch unmöglich ist, eine ganze Umwelt zu desavouieren, sucht das gekränkte Ich sich konvenienterweise klar abgrenzbare Gruppen oder bestimmte Personen, in deren Abwertung es Abhilfe erhält. Die Liste der in Frage kommenden Subjekte und Gruppen ist lang. Es können Vegetarier sein oder Liberale, Kommunisten oder Juden, Asylanten oder GEZ-Kontrolleure, Homosexuelle oder Fußballkommentatoren. Es kann aber auch der dämliche Nachbar sein, der Schwiegervater oder der Kollege, der schneller als man selbst befördert wurde. Und, wie angedeutet, muß der Sadist nicht notwendig ein sozialer Verlierer sein; er kann auch ein in irgendeinem Bereich des Lebens Gekränkter sein, der seinem malignen Narzißmus darin Abhilfe verschafft, daß er z.B. seine Angestellten wie Dreck behandelt oder politische Kontrahenten vermöge intriganter Netzarbeit zur Strecke bringt. Seis nun gruppen- oder subjektbezogen, seis im Status des Zurückgesetzten oder in dem des Sadisten in machtvoller Position – im Grunde kann dem Verlierer gleich sein, wen er abwertet, solange er überhaupt jemanden hat, den er abwerten kann.

Die Abwertung ganzer Gruppen hat den Vorteil, das in ihr das persönliche Motiv des Abwertenden leichter zu verstecken ist. Wer von Gruppen redet, redet von Prinzipien, von Verallgemeinerbarem. Das ist weniger verdächtig, sieht mehr nach Welturteil statt nach privaten Problemen aus. Wo sich Abwertung allerdings auf Gruppen bezieht, ist sie zumeist politisch. Politik jedoch ist anstrengend, erfordert oft ein Kalkül, eine gewisse Konsistenz in den Aussagen und das wiederholte Aneignen von Kenntnissen. Eine der seltenen Formen gruppenbezogener Abwertung, die ganz im Unpolitischen bleiben, ist dabei in der Tat die organisierte Entrüstung über Pädophilie. Der moderne Antisemit z.B. hat es nicht leicht. Er muß die Süddeutsche Zeitung abonnieren, die Bücher von Edward Said und Judith Butler lesen, gemeinsam mit BDS-Aktivisten Avocados auf arglose Einkäufer werfen und die so unerfreulich häufigen wie unerträglich langen Facebookstatements von Jürgen Todenhöfer und Ken Jebsen verfolgen. Der Päderastenjäger dagegen hats leicht. Til Schweiger schreibt in zwei Sätzen alles, was er zum Thema zu sagen hat. Die Sesselhelden, die ihm folgen, müssen nicht mehr tun als aufschreiben, was ihnen prima facie durch den Kopf geht. Nichts, schrieb ich oben, sei unpolitisch. Das Unpolitische ist bloß die bequemste und primitivste Form des Politischen. Mithin diejenige, worin Sadismus am wenigsten gehemmt und am wenigsten verborgen durch Ideologeme und Kategorische Imperative hervortreten darf.

Die sadistische Talionsrhetorik ist die Karikatur der Störung, gegen die sie zu sein vorgibt. Daß Pädophile in aller Regel keine Sadisten sind, ist hierbei nebensächlich, da es ja nicht um das Phänomen der Pädophilie geht, sondern darum, wie dieses Phänomen von den Vigilanten wahrgenommen wird. Die blicken, wenn sie sich über sexuell Abnormes erregen, nirgendwo sonst hinein als in ihren eigenen Abgrund, und natürlich, wer wills ihnen verübeln, verabscheuen sie, was sie dort sehen. Und noch in ihrer verbalen Gegenhandlung (Fordern sadistischer Strafen für sadistische Handlungen) reproduzieren sie den Anlaß ihrer Entrüstung. So dünken sie sich bessere Menschen, ohne die lästige Pflicht zu spüren, an sich selbst zu bessern.

Einer der erwähnten Wortführer, der auf Facebook zuletzt gefordert hat, Edathy allerorten zu bespucken und mit Steinen zu bewerfen, ist, wie ich erst zum Ende dieser Schreibarbeit erfahre, vor drei Jahren dadurch bekannt geworden, daß er eine Frau gegen einen Tresen gestoßen und anschließend gewürgt hat. Niemand, der bei Verstand ist, mag Orks. Daß sie aber auch immer so sein müssen, wie man sagt, daß sie sind.

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