Sep 032015
 

Ich schreibe im Grunde nur zwei Sorten Texte: solche, die genau so gemeint sind, wie sie dastehen, und solche, die gestischer Natur sind, in denen ich mich also bewusst in eine bestimmte Haltung begebe. Die letzteren sind, auch wenn sie weniger wahr sind, die persönlicheren. Und sie sind witziger. Ich schreibe jetzt einen Eintrag dritter Sorte, der ganz so gemeint ist, wie er dasteht, und trotzdem sehr persönlich bleibt. Und kein bisschen witzig ist. Ich bitte darum, diese Unhöflichkeit zu entschuldigen.

Ich möchte keine Bilder von toten Kindern sehen. Sie geistern zur Stunde durch Zeitungen und soziale Netzwerke – unerfragt, unvermeidbar. Ich mag nicht, dass man diesen Bildern nicht aus dem Weg gehen kann. Sie treffen mich an einer Stelle, an der ich keinerlei Abwehr besitze. Es tut mir weh, treibt mich zu Tränen und erzeugt ein Gefühl nicht endenwollender Einsamkeit im Gemüt. Ich bitte darum, diese Bitte zu respektieren. Und das nicht, weil ich einen Sohn habe, der gerade ein Stockwerk über mir jenen Schlaf schläft, aus dem man wieder aufwacht. Sondern allgemein aus Gründen der Menschlichkeit und des Respekts. Den Kindern selbst und ihren Eltern gegenüber vor allem, aber auch gegen uns, die wir das Bildwerk betrachten müssen. Niemand verdient eine solche Schockkur, nicht einmal dann, wenn er sie verdient. Es ist nicht die Aufgabe irgendwelcher Journalisten oder Facebook-Blogger, die Zeitgenossen mit den Mitteln des Schauders zu erziehen.

Zudem bewirken diese Bilder nichts. Sie verstärken in uns allen nur das ohnehin Vorhandene. Wer sich in der Asylfrage je für die Menschlichkeit entscheiden würde, hat das längst getan. Er braucht solche Bilder nicht. Wer hingegen erst von solchen Bilden überzeugt werden müsste, kann von einem solchen Bild nicht überzeugt werden. Er hat sich längst entschieden, da er nicht unter dem leidet, woran er leidet, und folglich braucht er solche Bilder ebenso wenig.

Sicher aber machen sie, die nichts bewirken, Wirkung. Sie tun das auch bei denen, die sich in ihrer eigenen Verkehrssprache »Asylkritiker« nennen. Doch diese Leute fallen eher in kurzfristige Empörung, und die wendet sich alsbald und sehr erwartbar gegen das Umfeld der Opfer: Was müssen das bloß für Eltern sein, die ihre Kinder einer solchen Gefahr aussetzen? Asylkritiker, muss man wissen, sind einfach die besseren Eltern.

Wer dagegen zur Menschlichkeit fähig ist, wird im Betrachten solcher Bilder dazu neigen, mehr in die Situation hineinzutragen. Seine eigene Melancholie, seine angestaute Verzweiflung, seine oft verdrängten, rationalisierenden Erklärungen von Bürgerkriegen, Hassmorden usw. Alles verdichtet sich im Moment der Betrachtung eines kleinen Kindes, das leblos am Strand liegt.

Man kann das keinem übelnehmen; es ist unvermeidlich. Aber es bringt dem, der es fühlt, im Ernste nicht mehr ein als ein sublimes Empfinden von Selbstgerechtigkeit und Distinktion gegenüber Gestalten, gegen die erhaben zu sein auch vor ein paar Monaten schon keine Kunst war. Es behagt mir nicht, dass wir den Tod von Kindern dazu nutzen, ein Mitleid zu fühlen, das im Grunde ein Selbstmitleid ist. Und ich mag es nicht, dass ein solches Unglück uns unvermeidlich zum Nachweis zwingt, dass wir doch zu den Guten zu gehören.

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