Nov 202015
 

Paris spült inzwischen schon selbst historisch gewordene Historiographien in mein Sichtfeld. Letztes Jahr unternahmen die Laienprediger von der Anstalt einen Versuch, den IS zu erklären. In 7 Minuten. Das ist eine herausragende Leistung. Golo Mann hätte gewiss 14 gebraucht. Es ist aber auch leicht, wenn man lediglich auf der Ebene der äußeren Anlässe bleibt und die Geschichte der Bewegung selbst nicht einmal anreißt. Ich wurde gefragt, wie eine bessere Darstellung hätte aussehen müssen.

Na wie wärs denn mal mit der Überlegung, dass Schuld am Terror zunächst mal und vor allem der trägt, der die Tat geplant und begangen hat. Aus freien Stücken, ohne dass er dazu gezwungen wurde nämlich. Es gibt viele Regionen auf der Welt, die in einer postkolonialen Lage sind, nur eine davon bildet diese Art unerbittlichen Terror aus. Nicht China, nicht Indien, nicht Südostasien, nicht Südamerika, nicht einmal Afrika (das nördliche abgezogen, das zur arabischen Welt gehört). Es ist allein der vordere Orient. Die Schuld daran liegt nicht bei den Amerikanern, die bestenfalls ein Anlass sind und zudem in dieser Region auch eine nur kurze Kolonialgeschichte haben. Es ist nämlich kein Zufall, dass besagter 7-Minuten-Abriss erst 1953 ansetzt. Weiter zurückgehen und z.B. die Geschichte des Islamismus insgesamt zu betrachen, die bei Al-Banna, Qtub und anderen beginnt, hieße von der flachen Schuldzuweisung ablassen zu müssen, die simpel gestrickte ZDF-Comedians einem urdeutschen Publikum gerade noch anbieten können, das ohnehin nur danach dürstet, seinen primitiven Antiamerikanismus zu befriedigen.

In diesem Bedürfnis geht es darum, Terror zu rationalisieren und auf ein konsensfähiges Feindbild zu verschieben, den Amerikaner, den man um seine Macht beneidet. Der IS wird als selbständiges Phänomen, als Bewegung mit eigenen Absichten und eigenem Denken, überhaupt nicht wahrgenommen, sondern lediglich als passive Reaktionsmasse, was nebenbeigesagt eine Fortsetzung eben jenes kolonialen, eurozentristischen Weltbildes ist, das diese Komiker zu kritisieren vorgeben. Wenn man den Terror begreifen will, muss man aber die Geschichte des Terrors, seine ideologische Architektur und sein psychologisches Kalkül ebenso studieren wie die historischen Umstände, unter denen er sich vollzieht und vollzogen hat. Beiläufig müsste man auch die gesellschaftlichen Probleme des Nahen Ostens als Resultat der dort vorhandenen Gesellschaftsstrukturen, nämlich der — einfach gesprochen — sehr explosiven Basis-Überbau-Konstellation aus Kapitalismus & Sharia, fassen.

Der historische Abriss ist nicht nur historisch keineswegs befriedigend (weder ist er vollständig noch sonderlich genau), er entschuldet auch die eigentlichen Täter und blendet diese komplett aus der Betrachtung aus. Schließlich bedient er auf Schritt und Tritt antiamerikanische Ressentiments.

Ich verlange ja gar nicht, dass man die Geschichte des Nahen Ostens ohne die Vereinigten Staaten schreibe, man kann sie eben nur nicht als Geschichte der Vereinigten Staaten schreiben.

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