Sep 222015
 

Über die Langeweile der Road Novel und das Unbehagen an der Serie »Game of Thrones«

»Game of Thrones« ist unzerstörbar. Sein symbolisches Kapital gleicht längst dem höherer Kunsterzeugnisse. Man guckt nicht nur, man rezipiert es, diskutiert darüber, schreibt Essays, schmückt sich mit Anspielungen. Die Folge solcher Präsenz ist Entwertung. Was zu cool ist, um wahr zu sein, ist bald durch. Dafür schon sorgt der Neid der Zuspätgekommenen, die nicht zur Anhängerschaft hinzustoßen können, weil sie immer als Nachzügler gezeichnet wären. Das Gefühl, ausgeschlossen zu sein, ist ein mächtiger Antrieb der Schmähsucht. Doch auch die Zahl resignierender Anhänger wächst bemerklich. Die Gemeinde dagegen, wen auch wunderts, reagiert empfindlich. Irgendwem fällt immer irgendwas ein, und da die Serie eine Vorlage hat, antworten die Evangelisten auch dann mit dem Vorwurf mangelnder Kenntnis der Romane, wenn es um Adiaphora geht. Nur, der Rückstoß wird hier stärker als die Zielwirkung, denn auch dort, wo andererseits eine wesentliche Differenz zwischen Serie und Buch vorliegt, unterstellt das Argument, dass die Serie nicht als eigenständiges Kunstwerk betrachtet werden kann.

Warum eigentlich ist sie, obgleich so schlecht, so gut? Das war die Frage der ersten Season. Tatsächlich brauchte die Handlung einige Zeit, in Gang zu kommen. Das Mitreißende der folgenden Staffeln fehlte noch. Bemerkbar war derweil die Anlage bedeutsamer Konflikte. In Ned Stark z.B. wurde die Geschichte eines Politikers erzählt, der an seiner Geradlinigkeit zugrunde geht. Er scheitert, weil er nicht intrigieren kann, wie Tellheim also an einem Übermaß an Ehre in einer Welt, die längst nach anderen Regeln funktioniert. Der Kampf zwischen den Häusern Lennister und Stark stellte mehr vor als bloß eine Konkurrenz um denselben Thron. Die Starks im Norden stehen für das Rauhe, Unverbogene, Harte. Alles da oben ist organisch. (You might not have my name, but you have my blood.) In King’s Landing hingegen regieren Geld und List. Die Lennisters sind schlauer, witziger, opulent und ausschweifend; alles hat einen doppelten Boden, selbst die Familienbeziehungen. Sie gewinnen den Krieg, obwohl Rob jede Schlacht für sich entscheidet. Ein echter Kunstgriff ist Tyrion: modern, aufgeklärt, jovial und empathisch, frei von der historischen Borniertheit seiner Welt. Wir lieben ihn für seine Schlagfertigkeit (Cersei: You’re not half as clever as you think you are. Tyrion: That still makes me more clever than you.) und für seinen Schwäche, die er vor sich her trägt wie einen Panzer. Er könnte im heutigen London leben und käme zurecht. Tyrion ist unser Mann in Westeros. Indem er ist wie wir, zeigt er, wie man sich dort auch verhalten kann, und zugleich scheint an ihm der klassischste aller Widersprüche auf, der zwischen Genie und Gesellschaft.

Solche und ähnliche Kollisionen entwickelten eine Dynamik, die den anfänglichen Ennui bald vertrieb; die Geschichte war groß, die Geschichten wurden besser. Das ging vielleicht zwei Staffeln, dann ging es nicht mehr. Aus der Frage, warum die Serie so gut ist, obgleich so schlecht, wurde die Frage, warum sie so schlecht, obgleich so gut ist. Die Dynamik kam zunehmend aus Äußerlichkeiten. Die HBO-Masche, das Spiel mit nackter Haut und Sadismus, erfüllte kaum einen Zweck für die Fabel. Rote Hochzeit, Genitalverstümmlungen, Vergewaltigungen, zuletzt ein Menschenopfer, und praktisch nie wird der Konflikt als Konflikt gezeigt; es bleibt nur das höhnische Lachen oder die Gleichgültigkeit der Beteiligten. Der oft gerühmte Realismus der Serie lässt sich in der Idee zusammenfassen, dass, wer liebt, bestraft werde, und Krieg eben ist, wie Krieg ist. Ein Realismus der Stammtische, Geschichte aufs Augenscheinliche reduziert, Naturalismus also.

Was an der Serie nicht stimmt aber liegt tiefer. In der Dramaturgie selbst. Nirgends wird das deutlicher als beim Killen der Hauptfiguren, jenem Hobby, das George R.R. Martin so sinnfrei betreibt wie der König im »Zerbino« das seine, wenn er bis 15 zählt. Das Killen wird seit Ned Starks Tod diskutiert und ließ sich anfangs wohl noch verteidigen. Es konnte zunächst so scheinen, als räume Martin einfach die Figuren aus dem Weg, bei denen er keine weitere Entwicklung mehr sah. Misstrauisch nur machte auch hier schon die oft unnötig pornographische Darstellung der Tötungen. Wo die Attische Tragödie ihre Morde im Off geschehen ließ und Shakespeare durchaus mit Blut spritzte, beide aber Wohlkonstruiertes auf die Bretter brachten, verstimmt bei Martin, dass die Sudelei zur eigentlichen Nachricht wird.

Zwar hat er, hübsch aristotelisch, den Tod seiner Helden aus ihrer Hamartia begründet und führte etwa auch Oberyns Tod auf dessen Leichtsinn zurück. Doch was Oberyn antreibt, ist Rache und, szenisch, der moralische Ärger über die Behandlung Tyrions. Der Fehler, der ihn zu Fall bringt, findet im Zweikampf selbst statt. Martin hat ihn ad hoc kreiert, damit er Oberyn sterben lassen kann, und der Grund lag offenkundig darin, dass kaum jemand mit dem Ableben einer eben erst eingeführten, zudem charismatischen Figur gerechnet haben dürfte. Ähnlich bei Jon Snow, sofern man annimmt, dessen Tod sei mehr als bloße Cliffhangerei. Der Schock des am allerwenigsten Erwarteten hat hier den Preis, dass nunmehr ein ganzer Handlungsstrang unerzählbar darniederliegt.

Ein wenig allerdings möchte man Martin doch verteidigen, weil sich gegen ihn auch ein affektiver Stumpfsinn artikuliert. Die Unlust am offenbar im voraus kontingentierten Figurentod kommt aus dem Wunsch nach Identifikation. Fandom & Fanfiction sind der vollkommene Triumph der Figur über die Handlung. Nicht die mitgeteilte Geschichte interessiert, sondern ihre Gestalten, die behandelt werden, als könnten sie außerhalb der Erzählung existieren. Man erinnert vielleicht jene rührenden Leserunden, auf denen J.K. Rowling nach dem Ende der Potterbücher mitteilte, dass Neville Longbottom späterhin Professor für Krautkunde wurde oder Draco und Harry, wie Beckenbauer und Nurejew, trotz allem dann doch noch irgendwie miteinander auskommen lernten. Dagegen sind Martins Kapricen erträglich, nur gewiss nicht erhaben. Letztes Jahr gab er bei Conan zu Protokoll, es gehe ihm darum, dass die Leser sich des Überlebens der Helden nie sicher sein können. Wo der Effect on the Reader die Hauptsorge des Schreibens ist, wird Plotting zur Masche, und Maschen sind durchschaubar, womit die angestrebte Wirkung wieder zunichte ist. Das durchaus nicht Erwartete wird erwartet; der Überraschungseffekt verbraucht sich. Was bleibt, ist dramaturgischer Mangel, der als Preis für den Effekt gezahlt wurde.

Durch das frühzeitige Killen der Hauptfiguren wird eigentlich dramatische Kollision verhindert. Die Konflikte werden zwar gekonnt entworfen und angebahnt, doch Martins Schwächen bei ihrer Ausführung sind nicht zu übersehen. Vielleicht ist es schon einfach das, was hinter all dem Budenzauber steckt, dass Martin nämlich nicht weiß, was er mit den von ihm erdachten Relationen anfangen soll, dass er zwar Einfälle hat, doch mit dem Plot im Grunde überfordert ist. Immer wieder werden Lösung oder Katastrophe oder das Umschlagen von Handlung durch frühzeitiges Sterben der Figuren verhindert.

Oder die Figuren verschlägt es irgendwo hin, wo neue Verwicklungen beginnen, ohne dass die vorausgegangenen aufgelöst wurden. So bei Melisandre, Davos und Sansa, so bei Arya und Bronn. Und selbst bei Tyrion und Daenerys fragt man sich, warum sie am Ende der fünften Staffel rochieren. Die Daenerysfabel ist der kraftvollste Strang der Serie und kommt nahezu ohne Episoden aus. Nach anfänglicher Langeweile konnte man an ihr bald die Normallogik von Revolutionszeitaltern nacherzählen: Die Paradoxie jeder Emanzipation, dass die Freiheit zuerst als Unfreiheit (Befreiung) auftreten muss, dass sie nicht allein oder vor allem von den Unterdrückten kommen kann, dass die Beseitigung der alten Herrschaft einen neuen Herrschaftskult hervorbringt (Yunkai), dass jede Revolution die Vermittlung zwischen den früheren Klassen bewältigen muss, was ihr von keiner der Klassen gedankt sein wird, und dass ihre Gewalt dazu neigt, sich zu verselbständigen (Drachen). All das wurde sinnlos unterbrochen, nachdem es Daenerys nun offenbar wieder in die Langeweile der dothrakischen Road Novel verschlagen hat und Tyrion an ihren Platz. Gern hätten wir erfahren, wie der Konflikt von Meereen gelöst wird. Martin offenbar auch.

So ist die Serie eine Ansammlung verpasster Chancen. Sie wird, steht zu vermuten, eher für das gemocht, was sie sein könnte. Auch sie ist zu früh gestorben und wirkt daher, bei aller Klasse im Einzelnen, schon zu Lebzeiten wie ihr eigener Nachruf.

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zuerst in: ND vom 22. September 2015.

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