Mai 242015
 

Warum die drohende Zerstörung der antiken Ruinen von Palmyra beinahe mehr Aufmerksamkeit erhält als die Ermordung dort lebender Menschen, ist vielleicht besser zu beantworten, als scheinen mag. Zunächst verstört wohl, daß Gestein mehr Anteilnahme bekommen sollte als Menschen. Das ist offenkundig ungerecht. Doch dieses Gestein ist nicht einfach da, es ist ein Artefakt, also erstarrte Humanität.

Während das Leben ohnehin von Kommen und Gehen geprägt ist, vergegenständlicht sich die Angst vor dem Tod in geformten Steinen als eine scheinbare Ewigkeit. Im Erhalten alter Bauten und Kunstwerke ermöglicht der Mensch sich eine sekundäre Unsterblichkeit. Wer überkommene Kunst hinrichtet, tilgt genau denjenigen Teil der Menschheit, der die Möglichkeit erhalten hat, nicht zu vergehen. Daß es irrational ist, die Vernichtung von Gestein schwerer zu gewichten als die von Menschen, kommt nicht erst in der Beurteilung des Vernichtungsvorgangs zustande, sondern ist bereits im Schaffen und Erhalten von Kunst selbst angelegt.

Von der anderen Seite her, der der Zerstörer, scheint die Unterscheidung von Mensch und seiner Kunst ganz nebensächlich. Für den IS ist alles, was von ihm abweicht, vernichtungswürdig. Alles, was daran erinnert, daß es ein Leben vor oder neben dem Propheten gibt. Und selbst noch all das, was sich in (nach seinem Urteil) falscher Weise auf den Propheten bezieht. Wer sich wegen der vermeintlichen Sinnlosigkeit jener Kunstzerstörung erschüttert zeigt, weil ja diese Bauten eigentlich gar nichts mit den gegenwärtigen Kämpfen zu tun haben, der übersieht, daß der IS nicht bloß einen Kampf mit der Gegenwart führt. Er bekämpft, wie der Islamismus überhaupt, die Welt.

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