Jan 052017
 

Dass wir sowas wie einen Agrarminister haben, merkt man immer erst dann, wenn mal wieder einer einen Bock geschossen hat. Unvergessen an dieser Front bleibt Karl-Heinz Funkes spanischer Trochäus: »Oldenburger Butter / Hilft dem Vater auf die Mutter«, bei dem verkorkste Metrik und bierseliger Sexismus eine formidable Einheit machen. Nun hat einer namens Christian Schmidt (nicht zu verwechseln mit dem bekannten Autor Christian Y. Schmidt) die Welt von seiner Existenz in Kenntnis gesetzt, indem er ankündigte, im Fall veganer Wurstprodukte gegen die Bezeichnung ›Wurst‹ vorgehen zu wollen, denn die sei … ja was? Irreführend. Ich finde zwar, auch nicht mehr als die Bezeichnung ›Minister‹, aber was weiß ich schon.

Auf die Gefahr hin, für einen gehalten zu werden, der Pressemitteilungen der Bundesregierung verfolgt, will ich die Sache vors Pult zerren. Natürlich ist die Wurst kein schlechterer Gegenstand, den Universalienstreit zu führen, als jeder andere, der in der Welt ist, auch. Ich fürchte aber, dass es gar nichts Philosophisches ist, das den Minister interessiert. Mich wiederum interessiert sein Interesse nicht. Wenn es denn wenigstens seines wäre, und nicht das der Lobby, die er vertritt. Bei solchen Verhältnissen lässt sich nichts denken. Begriffe hingegen sind immer interessant, auch wenn sie nach Koriander müffeln. Dieser hier dürfte schnell abgehandelt sein. Das einzige, was daran dauern könnte, ist die Zeit, die ein Minister braucht, es zu begreifen.

Die Bezeichnung »Vegane Wurst« könnte nur dann irreführend sein, wenn Wurst zwingend aus Fleisch gemacht sein muss. Wurst aber ist kein Rohstoff, sondern ein kultiviertes Produkt mit einer bestimmten Machart und Form. Die Form ist an der Wurst das Wesentliche. (Manche Sätze klingen wie von Hegel, ohne wie von Hegel zu klingen.) Wurst ferner existiert, weil sie einen bestimmten Geschmack bedient. Der Geschmack heißt Umami und bezeichnet die herzhafte Richtung. Man kann Umami auf verschiedene Weisen gewinnen. Die gängigste ist die Verwendung von Fleisch, er findet sich auch in anderen Rohstoffen der Natur, in Pilzen zum Beispiel oder in Tomaten. Wer gegen nicht-fleischliche Herstellung von Wurst etwas hat, verwechselt entweder ein kulturelles Produkt mit einem Ding der Natur (denn nur ein solches konnte im Ernst als gegeben genommen werden), oder er meint, dass nur ein Weg statthaft sei, das Kunstprodukt herzustellen. Warum das so sein soll, wird nicht einmal er selbst beantworten können, denn diese Meinung ist so logisch wie das Argument, ein Elektroauto sei kein Auto, weil es nicht mit Benzin fährt. Artefakte aber definieren sich nicht über die Materialursache, sondern über die Zweckursache.

Ich rede jetzt wieder so, dass auch Agrarminister folgen könnten. Nein, kleiner Scherz natürlich. Kann ich doch gar nicht. Die Begriffstutzigkeit ist keine. Man schreibt in der Presse jetzt zwar brav über das Wesen der Wurst, doch Mangel an Kenntnissen und Unterbegrifflichkeit erklären nicht das Ressentiment. Und was hier wurstelt, ist ein Ressentiment. Denn die vegane Wurst wird, seit sie da ist, schelen Augs betrachtet. Das Kopfschütteln darüber, dass mittels Pflanzen Fleischprodukte nachgeahmt werden, ist fester Bestandteil volkstümlichen Meinens. Ihmchen, Emmes & Blasius sind sich einig. Ich staune, worüber sich alles staunen lässt. Was ernsthaft zum Thema des Unverständnisses werden kann, muss doch was wiegen. Niemand fragt sich zum Beispiel, warum Menschen bei Regen manchmal in Pfützen treten. Das ist realisierter Unfug, aber wen stört es, wenn es dem, der es tut, im Moment, worin er es tut, etwas gibt und wenn kein anderer zu Schaden kommt? Bei der veganen Wurst aber scheint eine rote Linie überschritten. An ihr wird die kosmische Ordnung verteidigt.

Das Bild, das sich viele Zoophagen von Vegetariern machen, ist – ich hatte das schon – ziemlich projektiv. Es spielt keine Rolle, dass nur wenige Vegetarier tatsächlich aggressiv auftreten, den Zoophagen bedrängt bereits ihre Existenz. Die Entscheidung, auf Fleisch zu verzichten, birgt den Eindruck moralischer Überlegenheit, die das schlechte Gewissen, das Fleischverzehr einem Wesen von Mitgefühl bereiten muss, wachruft. Aus diesem Verhältnis hauptsächlich erklärt sich die dauernde Aggression gegen Vegetarier. Das Unbehagen an der veganen Wurst leugnet nicht nur das Primäre dieser Aggressivität, es verleugnet die Aggressivität überhaupt. ›Nein, ich habe nichts gegen Vegetarier. Einige meiner besten Freunde sind Vegetarier. Aber wenn sie schon auf Fleisch verzichten, dann sollen sie doch bitte auch beim Geschmack bezahlen und eben ihre Möhren kauen. Man kann doch nicht einfach, nein, es muss eine Ordnung geben im Kosmos‹ … meiner ganz persönlichen Empfindungen.

Zugleich fühlt der Kritiker der veganen Wurst eine Art Triumph, weil er dem Vegetarier, an dem er auszusetzen hat, dass der seine eigene Lebensweise für die bessere hält, durch den Tatbestand der Fleischimitatio nachweisen zu können glaubt, dass er (der Vegetarier) doch nicht so ganz ohne Fleisch leben kann. Endlich hat er ihn als Pharisäer enttarnt oder wenigstens nachgewiesen, dass der auch bloß mit Fleischbrühe kocht.

Auf die Art wird Bewusstsein in der klassischen Kollision narzisstischer und triebhafter Impulse zerrieben, und so sehr in der fehlerhaften Wurstologie Unkenntnis des Kosmos deutlich wird, so fest ist man entschlossen, die Ordnung der Dinge (die man nicht versteht) zu verteidigen. Die Frage indes nach dem Zusammenhang zwischen Wurstapolologie und Kastrationsangst gebe ich an Leute weiter, die sich dafür interessieren. Ich habe jetzt Hunger.

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