Sep 082017
 

Ich gucke »Rope«, zum fünften oder sechsten Mal. Das Kammerspiel ohne Schnitte, nur begrenzt durch die Länge seiner Filmrollen. Diesmal hab ich mir vorgenommen, allein auf die Schauspielerei zu achten, was (zumal bei diesem Film) keine leichte Sache ist.

Hitchcock fand Schauspiel ja nicht so wichtig; für ihn waren Darsteller Mittel zum Regiezweck, die möglichst uncharismatisch ihre Rolle herunterzuspielen hatten. Das ist ein Punkt, an dem er, glaube ich, etwas richtiges denkt, aber schließlich doch auf was falsches kommt.

Es ist, wie ich meine, ein begrifflicher Fehler. Hitchcock hatte was gegen das method acting, weswegen er auch mit Schauspielern wie Paul Newman nicht gut klarkam, die immer alles mögliche aus ihrer Rolle herausgeholt haben. Was Hitchcock wollte, war understatement, und das ist ja auch die Spielweise der goldenen Ära. Allerdings halte ich seine Ableitung für falsch. Understatement ist nicht schlechtes Spiel, sondern muss gleichfalls gekonnt sein. Ich denke, Hitchcock verwechselt, wenn er (ich glaube, anlässlich »Sabotage« war das) behauptet, dass seine Szenen keiner herausragenden Schauspieler bedürfen, Spielweise und Niveau des Spiels.

Es mag viele Schauspieler geben, die eine bestimmte Rolle bewältigen können. Aber wenn es konkret wird, werden Einzelheiten wichtig. Die Interpretation des einzelnen Schauspielers ist kein Fetisch, den der gewiefte Zuschauer durchschauen muss, sondern Teil der ästhetischen Wirkung, auf die er sich besser einlässt. Tut er das nicht, ist er der erste, der dabei verliert. Sein Vergnügen am Kunstwerk nämlich. Und das wieder liegt als Möglichkeit vor, wenn es denn vorliegt, ob er sich darauf einlässt oder nicht. Handwerkliches Können des Schauspielers ist die eine Seite der Sache, die andere ist die Typ-Frage. Der Schauspieler muss es spielen können, und er muss passen. Der stets zweideutige, auf innere Zerissenheit deutende Stewart hätte in den Cary-Grant-Rollen bei Hitchcock sehr wahrscheinlich versagt.

Schauspiel muss dienen; darum ging es Hitchcock, wie ich vermute. Aber wenn ich jetzt etwa »Rope« sehe, wie John Dall dort, obgleich das Skript sehr vielseitig geschrieben ist, die komplette Szene beherrscht und sich das schlagartig ändert, indem James Stewart den Raum betritt, der da die Rolle seines Lebens spielt, ganz besonders auch in den Momenten ohne Worte, allein durch seine Blicke, und man kann fast gar nicht mehr auf die anderen Figuren achten, weil man jeden dieser zwielichtigen Blicke erhaschen und interpretieren will, strukturiert durch die Erwartung, wann die bloße Gewohnheitsskepsis des stets forschenden Rupert Cadell in einen konkreten Verdacht umschlägt, dann frage ich mich, wie das wohl wirkte, wenn man es mit weniger guten Schauspielern gespielt hätte. Nee nee, ich glaube, hier irrte Hitchcock.

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