Okt 232017
 

Franz Josef Wagner ist, man kann es nicht anders sagen, der Franz Josef Wagner der BILD-Zeitung. Seiner Maxime »1 Satz – 1 Ressentiment« ist er mit sehr wenigen Ausnahmen stets gerecht geworden. Natürlich hat auch er sich jetzt zu #metoo geäußert, jenem Hashtag, der so viel Projektion wie Abwehr erzeugt, dass ich mich bei den Reaktionen wieder an »real men don’t rape« erinnert fand.

Männer, schreibt Wagner, »Hunderttausende Frauen beschuldigen Euch«, wo bleibt euer »not me«? Offenkundig hat er das Bedürfnis, allen mitzuteilen, dass er noch nie eine Frau belästigt habe. Woher dieses Bedürfnis? Wurde er dessen je beschuldigt? Oder hält er das gar für eine Leistung? Der unterdrückte Trieb lebt im Ressentiment fort, wenn das betroffene Subjekt noch Beifall dafür erwartet, dass es ihn unterdrückt hat. Vielleicht fühlt es sich für einige Männer tatsächlich wie eine Leistung an, Frauen nicht zu belästigen, und was immer sie zu #metoo sagen, es klingt stets wie: Nun gebt mir doch endlich ein Stück Zucker – oder bückt euch wieder!

Und weil sich Franz Josef Wagner auch hierin treu bleibt, dass keiner seiner Sätze wahr und ein jeder dennoch sehr ehrlich ist, wird er am Ende nochmal ganz nachdenklich: »Ich weiß nicht, wie ich reagieren würde, wenn mir jemand an den Po fassen würde oder in den Schritt. Ich glaube, ich würde ihm voll eine in die Fresse hauen.«

Es ist gut zu wissen, dass ihm bloß der Konjunktiv II und nicht auch der Kategorische Imperativ abhandengekommen ist. Was er nicht ahnt, ist, dass er hier den Schlüssel zur Entirrung selbst in der Hand hält. Denn eben dass eine Frau sich in aller Regel gegen ihren Belästiger nicht einfach zur Wehr setzen kann, wie das einem Mann möglich wäre, macht die Notwendigkeit solcher Erinnerungsaktionen aus. Obgleich jeder zu wissen scheint, dass es zur Normalbiographie der Frau gehört, hier oder da oder ziemlich oft in ihrem Leben belästigt, respektive ungefragt berührt worden zu sein, ist das gesellschaftliche Wissen um diesen Umstand keine Selbstverständlichkeit.

Das betrifft auch Milieus, die an Gesittung und Reflexion weit über der Gedankenwelt des Franz Josef Wagner hausen. Hier wie überall gilt: Wenn die Frauen es dir nicht sagen, nimmst du es, als Mann, nicht oder nur sehr verzögert wahr. Das hat nicht bloß damit zu tun, dass dem Mann Belästigung seltener passiert, sondern auch damit, dass die Belästigung, die ein Mann erfahren kann, von vornherein nicht diesen bedrohlichen Charakter erhält. Der Mann verbindet mit jener Vorstellung zunächst was ganz anderes. Er kann nicht wissen, wie es ist, ein Leben lang mit der Bedrohung durch das stärkere Geschlecht leben zu müssen, und wie es ist, wenn das Gefühl der Sicherheit sich nicht durch die eigene Stärke, sondern allein durch Vertrauen in den guten Willen des Stärkeren herstellen kann. Er kann es sich vorstellen, wozu etwas Reife, Einfühlung und Reflexion nötig sind, doch nicht einmal dann kann er es wissen.

Dass er, wenn er Belästigung erfährt, sie einfach geschehen lassen oder abwehren kann, sobald er nicht mehr will, das ist ein großer Unterschied, und eigentlich ist das der Unterschied.

[Der Link zur Kolumne fehlt. Den Grund hat Martin Knepper vor Jahren einmal in Worte gebracht: Was auch passiert, nie dürft ihr so tief sinken, / Die BILD, die ihr anclickt, auch noch zu verlinken.]

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