Okt 012018
 

»The Man Who Killed Don Quixote«

Die langwierige Entstehungsgeschichte dieses Films hat uns immerhin einen Unfall erspart: den ursprünglich geplanten Johnny Depp in der Rolle des Ritters von der traurigen Gestalt. Vielleicht musste sich das alles so hinziehen, ehe Terry Gilliam den Film mit Jonathan Pryce und Adam Driver besetzen konnte, die sich so organisch in die Handlung einpassen, als ob das alles schon immer für sie arrangiert war.

»Don Quixote« ist nicht einholbar. Wenn man diesen Stoff anpackt, sollte man demnach eine tragende Idee haben. Irgendwas, das darüber hinausgeht und nicht gänzlich daran versagt. Gilliam erzählt die Geschichte des Don Quixote neu, indem er die Geschichte eines Films über Don Quixote erzählt. Der schwer gelangweilte, zynische Werbefilmer Toby wird mit seinem ambitionierten Jugendwerk, einer Adaption des Cervantes-Stoffs konfrontiert. Als er an den früheren Drehort reist, stellt er fest, dass sein Film dort vieles zerstört hat, was vorher im Lot schien. Cervantesʼ Roman handelt von Don Quixote, der glaubt, er sei ein Ritter. Gilliams Film handelt von einem Schauspieler, der glaubt, er sei Don Quixote. So weit, so meta.

Es ist eher der zweite Teil des Romans, der der Verfilmung Pate gestanden hat. Dort nämlich lässt Cervantes seinen Helden durch die von der Wirkung seiner Erzählung beeinflusste Landschaft fahren. Don Quixote ist in »Don Quixote« (II) durch »Don Quixote« (I) bereits weithin berühmt. Der Roman selbst wird damit in die von ihm behauptete Welt integriert. Der Film setzt diesen Weg durch weitere Verkehrung fort, indem die in der Fiktion behauptete Wirklichkeit, in die die Wirklichkeit der Fiktion Eingang fand, nun ihrerseits in die Wirklichkeit ausbricht (die Wirklichkeit des Film, die für uns Zuschauer wiederum fiktiv ist). Das Verhältnis des Films zu seiner Vorlage ist damit ebenso folgerichtig wie invers und in der Tat ein vorsätzlich verkompliziertes Beispiel dessen, was Genette ›forgerie‹ genannt hat. Die Fortschreibung der antiken Mythen und das popkulturelle Phänomen der Fanfiction funktionieren nicht anders.

Der Film beginnt stark, verliert dann ein wenig die Kontrolle über die Fabel, kommt aber gegen Ende wieder zu sich. Alles wird zusammengehalten durch die Verflechtung zweier Komödientypen zu einer Handlung. Komische Situationen können entstehen, wenn eine skurrile Person in eine normale Umwelt gesetzt wird, oder aber dadurch, dass eine normale Person in ein skurriles Umfeld verbracht ist. Hier geschieht beides, was sich insonders im großen Maskenfest zeigt, als eine Partygesellschaft den alten Mann als Irren unter Normalen vorführt, während der dem Spektakel angewidert beiwohnende Toby wie ein Normaler unter Irren wirkt.

Wo diese Konfiguration an ihre Grenzen gelangt, liegt die entscheidende Differenz von Gilliam zu Cervantes. Wie der Film handelt der Roman vom Verhältnis, das Traum und Wirklichkeit miteinander eingehen, aber er hält sich einem realistischen Credo verpflichtet, weil stets klar bleibt, was Einbildung und was Fiktion ist. Gilliam spielt mit dem Übergang beider, und insbesondere in der zweiten Hälfte des Films scheint oft unmöglich zu entscheiden, ob das Geschehen eingebildet oder äußerlich ist. Es liegt allerdings auch kein Rätsel vor, das entschlüsselt werden soll. Hier gelangt der Film an seine schwächste Stelle. Figuren können verwirrt sein, der Zuschauer darf es auch sein – nur wo der Eindruck entsteht, dass nicht einmal der Autor selbst noch weiß (oder wissen möchte), was hier was ist, wirkt eine konzeptionelle Schwäche, die vom Publikum auch dann empfunden wird, wenn es sich diese Frage gar nicht stellt. Kunst ist eine Sache, die gemeint sein muss.

Gilliam hat die Mittel, das weitgehend zu überdecken. Die filmischen Griffe, insbesondere Kulisse und Kostüm, sind Stil von seinem Stil. Der Witz kommt nicht bloß aus den Worten (»Heʼs a saint!« – »Heʼs insane!«, »My squirrel« – »My squire«), sondern auch aus der Szene. Das schließt gekonnten Slapstick ebenso ein wie eine Szene, worin die Handlung eines abgespielten Films mit den Vorgängen des Raums, worin der Bildschirm steht, zu kommunizieren scheint. Oder eine Panorama-Einstellung, in der Toby mit dem Motorrad an Windkraftanlagen vorbeifährt, gleichsam als Übersetzung von Quixote, Rosinante und Windmühlen ins Moderne. Wie in »O Brother, Where Art Thou?« mit den Elementen der »Odyssee« gespielt wird, tauchen auch hier alle berühmten Gegenstände des Poems wieder auf: die Hammelherden, die Windmühlen, die durchbohrten Weinschläuche, das Maskenfest, der Ritter vom silbernen Mond.

Die Handlung verflicht drei Komplexe zu einem schließlich doch gelungenen Ganzen. Ein alter Schuster wird von Toby in einem spanischen Dorf für die Rolle des Quixote angeworben. Der Schuster kann nicht spielen, er kann nur sein. Der Preis ist, dass er danach nicht mehr aus seiner Rolle zurückkehrt. Stanislawskis Schule schlägt hier wie ein Bumerang zu, befördert von der Eitelkeit des kleinen Mannes, der lieber als Narr berühmt sein will als gar nicht. Angelica träumt ebenfalls vom Ruhm und ist bereit, sich dafür zu verkaufen. Die Szene, in der ihr Ehemann sie öffentlich demütigt, verstört tief, aber genauer besehen ist Prostitution das Verhalten fast aller Figuren. Toby macht Filme, die er nicht ernstnehmen kann, der Filmchef bezirzt einen kriminellen Geldgeber, seine Frau ist nur des Geldes wegen mit ihm zusammen, jeder am Set kriecht und kuscht. Don Quixote, der Verrückte, scheint der einzige ehrliche Charakter unter den Hauptakteuren zu sein. Die Suche nach den ritterlichen Idealen, die Verklärung der mittelalterlichen Epoche, gerät zum Gefäß des Widerstands gegen Opportunismus und Servilität.

Schließlich findet sich, mit Blick auf Toby, das angespannte Verhältnis von Künstler und Werk verhandelt. Toby ist konfrontiert mit den Folgen, die sein früher Film hatte. Ein Hauch von Goethes »Werther« und Salingers »Fänger im Roggen« weht durch Spanien. Es ist anders als mit den Kindern, die immer anders groß werden, als die Eltern gern hätten. Das Kunstwerk ist ein Kind des Künstlers, das gleich bei der Geburt auszieht und in tausend fremden Wohnungen aufwächst. So wird Don Quixote selbst zur Metapher der Fiktion. Er phantasiert nicht schlechthin, sondern formt den Stoff des Wirklichen um, macht aus Windmühlen Riesen, aus Rotwein Blut usw. Das reale Material wird poetisch. Eben das tut Fiktion, eben das tut Film, nicht nur der hier.

Mit dieser Konzentration aufs Gedankenspielerische geht allerdings die bei Cervantes ausgeprägte gesellschaftliche Komponente unter: die Tragik oder, wie Marx meinte, Komik des zu spät gekommenen Helden, des Repräsentanten einer untergegangenen Klasse, der sterbende Ideale nur mittels massiver Einbildung durch eine Welt befördern kann. Man sieht den Stoff bei Gilliam seiner politischen Dimension beraubt, und nur verstanden als große Metapher auf das Verhältnis von Werk, Künstler und Publikum stellt sich eine andere, wenngleich schmalere Art Realismus wieder her.

»The Man Who Killed Don Quixote«
Spanien, Frankreich, Belgien, Portugal 2018
Regie: Terry Gilliam
Drehbuch: Terry Gilliam, Tony Grisoni
Darsteller: Adam Driver, Jonathan Pryce, Joana Ribeiro
Länge: 131 Minuten
Starttermin: 27. September 2018

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in: ND v. 29./30. September 2018.

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